Geschichte Israel-Palästinas [Teil 2]

Von der Nakba zur Intifada und den Oslo-Abkommen

In diesen beiden Artikeln erläutert Francesco Merli die dubiosen Geschäfte und Machenschaften der imperialistischen Nationen, die den Weg für die Teilung des damaligen Palästinas geebnet haben. Dieser Abschnitt der Geschichte bestätigt die Kurzsichtigkeit der herrschenden Klasse, die die mit Gewalt und Erniedrigung gefüllte Büchse der Pandora öffnete, welche das Land seither wie eine Plage heimsucht. Wichtige historische Ereignisse werden behandelt, vom Sechstagekrieg bis zur ersten Intifada.

Durch die Betrachtung der gesamten Geschichte der Region und insbesondere Israels und Palästinas werden die Klasseninteressen, die oft verdeckt werden, offen dargelegt.

Hier findest du Teil 1.


Lange vor der Ausrufung des Staates Israel (14. Mai 1948) entpuppte sich der zionistische Traum von der Gründung eines Staates, der die Juden beschützen und dem biblischen Land Israel neues Leben einhauchen sollte, schlichtweg als Albtraum.

Der Slogan „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, der in verschiedenen Varianten von der zionistischen Propaganda ausgerufen wurde, war eine Mystifizierung der realen Situation Palästinas. Er blendete die lästige Anwesenheit der Palästinenser, die das Land bewohnten, aus.

Die zionistische Führung verstand jedoch nur zu gut, dass ein Konflikt mit der arabischen Mehrheit um die Kontrolle über Palästina unausweichlich war. David Ben-Gurion, das erste Oberhaupt des neugeborenen Staates Israel, sagte bereits 1919 auf einer zionistischen Führungssitzung: „Jeder sieht Schwierigkeiten in der Frage der Beziehungen zwischen Arabern und Juden. Aber nicht jeder sieht, dass es keine Antwort auf diese Frage gibt. Keine Antwort! Dieser Abgrund lässt sich mit nichts überbrücken… Ich wüsste nicht, welcher Araber zustimmen würde, dass Palästina den Juden gehören sollte… Wir als Nation wollen, dass dieses Land unser sei; die Araber als Nation wollen, dass das Land ihnen gehört.“

In den Augen der zionistischen Führer stellte jeder Siedler, der Palästina betrat, einen weiteren Soldaten im Krieg um die Eroberung des Landes dar. Alle ihre Handlungen hatten das Ziel, Bedingungen zu schaffen, die ihnen ermöglichen würden, die Mehrheit der arabischen Bevölkerung aus Palästina zu vertreiben und die Geburt des israelischen Staates herbeizuführen.

Der Preis für die Gründung des neuen Staates war die systematische Unterdrückung des palästinensischen Volkes / Bild: public domain

„Der Versuch, die jüdische Frage durch die Zuwanderung von Juden nach Palästina zu lösen, zeigt sich jetzt als das, was er ist: eine tragische Verhöhnung des jüdischen Volkes.“ Diese Zeilen schrieb Leo Trotzki im Juli 1940 und bezog sich auf die Kehrtwende des britischen Imperialismus, der zuerst die jüdische Einwanderung befürwortete, nur um dann zu versuchen, diese gewaltsam aufzuhalten, als sie nicht mehr seinen Interessen entsprach. Trotzki zeigte auf, dass jede Lösung der Judenfrage auf Basis eines morschen kapitalistischen Systems eine blutige Falle für Abertausende Juden werden würde. Trotzki erlebte das Kriegsende nicht mehr und konnte nicht miterleben, welche Auswirkungen das neue Kräfteverhältnis der Nachkriegszeit auf die Perspektiven des Zionismus haben würde.

Im neuen Kräftegleichgewicht, das aus dem Krieg hervorging, wurde plötzlich möglich und schließlich zur Realität, was zuvor unwahrscheinlich erschien. Israel wurde auf den Ruinen des britischen Mandatsgebietes gegründet. Allerdings wurde der Staat auf palästinensischem Blut gegründet. 750.000 Palästinenser wurden aus ihrem Land vertrieben. Der neue Staat entstand um den Preis, dass er sich auf die systematische Unterdrückung der Palästinenser stützen musste. Das zionistische Projekt enthüllte sich als reaktionäre Utopie voller tragischer Konsequenzen. Seine Umsetzung schuf Wunden, die nach über siebzig Jahren noch immer offen sind.

Seit seiner Gründung ist die Geschichte Israels von Kriegen durchzogen. Die Liste ist lang und wir beziehen nur die wichtigsten Kriege mit ein. Wie wir bald sehen werden, ging Israel aus dem sogenannten „Unabhängigkeitskrieg“ von 1948-49 hervor, den die Palästinenser und die arabische Welt als Nakba (Katastrophe) bezeichnen. Darauf folgte 1956 der Suezkrieg; 1967 der Sechstagekrieg; 1973 der Jom-Kippur-Krieg, sowie drei Einmärsche in den Libanon in den Jahren 1978, 1982 und 2006, unzählige Bombenanschläge und Gefechte während des jahrzehntelangen Zermürbungskrieges gegen die Hisbollah im Südlibanon, und ein halbes Dutzend „Kriege“ (meist schwere Bombardements aus der Ferne) gegen die Hamas in Gaza. Die Geschichte Israels ist gekennzeichnet von unzähligen palästinensischen Widerstandsbewegungen, wie etwa Massenaufstände (die erste Intifada 1987-1992 und die zweite Intifada 2000-2003) der unbeugsamen Bevölkerung jener Gebiete, die 1967 besetzt wurden.

Anstatt ein „Schutzraum“ für Juden zu sein, stellte sich heraus, dass die konkrete Realität des „Gelobten Landes“ eine belagerte Festung darstellt, die von feindseligen Völkern und Gegnern umzingelt ist. Die israelische herrschende Klasse nutzte diese Kriege gekonnt aus, um eine tiefe „Belagerungsmentalität“ in der Mehrheit der jüdischen Bevölkerung in Israel und Israels Unterstützern in der jüdischen Diaspora zu verankern.

Zionistischer Terrorismus und der britische Abzug

Während des Krieges kollaborierten die meisten Zionisten und arabischen Nationalisten mit der britischen Armee. Eine jüdische Brigade von 23.000 Mann kämpfte unter dem Kommando der Alliierten. Der palästinensische Trupp zählte 9.000 Mann.

1944 machte das von den Zionisten erworbene Land in Palästina immer noch nicht mehr als 6,6% des britischen Mandatsgebietes aus. Doch der Zionismus wurde durch den Krieg wesentlich gestärkt. Die Jewish Agency war zumindest im Ansatz zu einem Halbstaat geworden, der über eine eigene Wirtschaft, eigene Institutionen und vor allem eine eigene Armee verfügte, die während des Krieges von den Alliierten zu Tausenden ausgebildet und bewaffnet worden war.

Der schwerste dieser zionistischen Terroranschläge versetzte dem Zentrum der Mandatsverwaltung den Todesstoß / Bild: public domain

Sobald der Krieg vorüber war, wechselten die zionistischen Führer ihre Taktik. Zwischen 1945 und 1948 verbündeten sich die Hagana und die Irgun Zwai Leumi (die bewaffnete Miliz der zionistischen Rechten), um Angriffe gegen die britische Besatzung und die arabische Bevölkerung durchzuführen.

Die schwerste dieser zionistischen Terroranschläge versetzte der Mandatsverwaltung einen tödlichen Schlag mitten ins Herz. Am 22. Juli 1946 setzte die Irgun unter dem Kommando des zukünftigen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin genügend Sprengstoff ein, um den Südflügel des King David Hotels in Jerusalem in die Luft zu sprengen, wo sich das Hauptquartier der Zivilverwaltung des britischen Mandats befand. 91 Briten, Palästinenser und Juden wurden in der Explosion getötet, Dutzende wurden verletzt.

Diese plötzliche Eskalation machte die Lage für den britischen Imperialismus unhaltbar. Obwohl Großbritannien im Zweiten Weltkrieg zu den Gewinnern gehörte, ging es geschwächt aus dem Krieg hervor und sein Reich lag in Trümmern. Aus diesem Grund verkündete das Vereinigte Königreich im April 1947, innerhalb eines Jahres aus Palästina abzuziehen.

Das löste eine Debatte über den Status Palästinas aus. Das Zentrum der imperialistischen Macht verschob sich entscheidend zugunsten der aufstrebenden Weltmacht, den Vereinigten Staaten. Sie deuteten die britische Position zu Recht als Zeichen der Schwäche eines überstrapazierten und angeschlagenen Reiches und begannen, den jüdisch-palästinensischen Konflikt als „Keule“ zu schwingen, um den Einfluss ihres ehemaligen Verbündeten im Nahen Osten zurückzudrängen.

Am 29. November 1947 wurde die UN-Resolution 181 auf Druck der USA verabschiedet. Zusammengefasst teilt der UN-Plan Palästina in drei Gebiete auf: einen arabischen Staat (mit einer Fläche von 11.500 km² für 804.000 Palästinenser und 10.000 Juden); einen jüdischen Staat (11.400 km² für 558.000 Juden und 405.000 Palästinenser); und ein Gebiet (Jerusalem), das unter internationale Kontrolle gestellt werden sollte. Dieser Plan war utopisch, wenn man bedenkt, dass die beiden Staaten einer palästinensischen Wirtschaftsunion beitreten und Währung, Ressourcen und Infrastruktur (Häfen, Postämter, Bahnstrecken, Straßen) miteinander teilen hätten sollen, als ob nicht über 20 Jahre lang ein erbarmungsloser Krieg zwischen Zionisten und Palästinensern geherrscht hätte.

Die zionistische Offensive

Mit den britischen Besatzern auf dem Rückzug erkannte die zionistische Führung, dass sie die Chance hatte, das Vakuum zu füllen und die Bedingungen einer Teilung nach ihren eigenen Vorstellungen festzulegen.

Ende des Jahres 1947 entfesselten die Hagana, die Irgun und die Stern-Bande, nun im gemeinsamen Kampf verbündet, eine Terrorkampagne mit einer Reihe von koordinierten Angriffen auf palästinensische Dörfer mit Dutzenden zivilen Opfern. Die Angriffe intensivierten sich in den ersten Monaten des Jahres 1948: auf Tantura, Tira, Sasa, Haifa, Al-Husayniyya, Al-Sarafand; allesamt mit hunderten palästinensischen Opfern.

Am 9. April wurde die Bevölkerung des Dorfes Deir Yasin, nahe Jerusalem, von der Irgun niedergemetzelt. Das Rote Kreuz fand 254 Männer, Frauen und Kinder ermordet auf. Manche von ihnen waren verstümmelt und in ihre Brunnen geworfen worden. Begin prahlte öffentlich mit dem Massaker.

Aufgrund dieser Terrorkampagne, die durch von den Zionisten verbreitete Drohungen und Gerüchte verstärkt wurde, flohen hunderttausende unbewaffnete Palästinenser aus ihren Häusern, die später dem Erdboden gleichgemacht wurden, um eine Rückkehr unmöglich zu machen. Die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge stieg innerhalb eines Monats von 60.000 auf 350.000. Dann nahm der zionistische Terror die Städte ins Visier: Am 22. April wurde Haifa mitten in der Nacht angegriffen, wobei 50 getötet und 200 verletzt wurden. 100 weitere wurden getötet und Hunderte verletzt, als die Zionisten eine Kolonne palästinensischer Frauen und Kinder angriffen, die versuchten zu fliehen.

Das zynische Kalkül der zionistischen Führer bestand darin, so viel Land wie möglich zu erobern und die Rückkehr der palästinensischen Bevölkerung unmöglich zu machen / Bild: Regierungspresseamt Israel

Wie kann man sich solch eine Grausamkeit erklären? Die zionistischen Führer kalkulierten zynisch, soviel Land wie möglich zu erobern und die Rückkehr der palästinensischen Bevölkerung unmöglich zu machen: den Palästinensern Angst einzujagen, sie tatsächlich zu terrorisieren, zur Flucht zu zwingen und ihre Häuser niederzureißen – das war im Wesentlichen der Plan. All das, um eine Teilung Palästinas durchzusetzen, die vorteilhafter für den zukünftigen Staat Israel wäre.

Der Staat Israel wurde am 14. Mai 1948 ausgerufen. Alle wichtigsten zionistischen Führer waren an den Massakern und dem großflächigen Terrorismus beteiligt. In dieser Hinsicht gibt es keine Unterschiede zwischen der zionistischen Linken und der Rechten. Mosche Dajan, Golda Meir, David Ben-Gurion, Menachem Begin und viele andere, der jüngere Ariel Scharon, Jitzchak Schamir und Jitzchak Rabin – die wichtigsten Führungspersonen des zukünftigen israelischen Staates – lernten aus ihren konkreten Erfahrungen, wie sehr die mit Stahl und Feuer vor Ort geschaffenen Machtverhältnisse den Rahmen möglicher Szenarien im Bereich der internationalen Diplomatie bestimmen. Eine Lehre, die sie sich aneignen und in den kommenden Jahrzehnten systematisch anwenden würden.

Die Nakba

Unmittelbar danach, am 15. Mai, marschierten ägyptische, syrische, libanesische und transjordanische Armeen in Palästina ein und erzielten in der ersten Phase gewisse militärische Erfolge. Die UN schlug im Juni einen Waffenstillstand vor, der von beiden Seiten akzeptiert wurde, aber nur den Zionisten half, sich zu organisieren und aufzurüsten.

Der Gegenangriff der zionistischen Armee nach dem 8. Juli brach den Widerstand der arabischen Streitkräfte, die schlecht koordiniert und häufig der Leitung britischer Offiziere unterstellt waren. Die Führer der arabischen Regimes gaben nie den Versuch auf, heimlich eine Einigung mit den Zionisten zu erzielen, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Abdallah I., der König von Transjordanien, traf sich mehrere Male mit Golda Meir und Mosche Dajan, um über die Annexion der Westbank durch sein Königreich zu verhandeln (welche sich im Dezember 1948 ereignete), während die Ägypter den Gazastreifen besetzten.

Die zionistischen Führer waren fest entschlossen, alle Hindernisse zu beseitigen. Der UN-Vermittler Graf Folke Bernadotte wies am 13. September Israel an, die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen und deren Häuser wiederaufzubauen. Vier Tage später wurde er zusammen mit seinem Assistenten, dem französischen Oberst Serot, von der Stern-Bande ermordet.

Die Waffenstillstandsabkommen von 1949 besiegelten die arabische Niederlage und beendeten, was die Israelis als ihren „Unabhängigkeitskrieg“ betrachteten. Wieder einmal leugnete die von den Siegern geschriebene Geschichte jegliche Hinweise auf die erfolgten Massaker und Gräueltaten und versuchte, diese aus den offiziellen Aufzeichnungen zu entfernen. Für die Palästinenser war 1948 stattdessen das Jahr der Nakba, der Katastrophe, einer Niederlage, die die palästinensischen Massen über zwanzig Jahre lang in einen tiefen Zustand der Unterwerfung und der Apathie befördern sollte.

Die Flüchtlingsfrage und die „israelischen Araber“

Von insgesamt 750.000 palästinensischen Flüchtlingen flohen 39% in das Westjordanland; 10% landeten in Jordanien; 26% flohen in den von Ägypten besetzten Gazastreifen, dessen Bevölkerung sich innerhalb weniger Wochen verdoppelte; 14% flohen von Nordpalästina in den Libanon und 10% überquerten die Golanhöhen nach Syrien. Nur wenige (1% der gesamten Bevölkerung) entkamen nach Ägypten. Fast alle Flüchtlinge wurden unter völligen Armutsbedingungen in „vorübergehenden“ Lagern am Rande der Städte zusammengepfercht, und diese Bedingungen blieben für sie und ihre Nachkommen bis heute bestehen, obwohl sich die Flüchtlingspopulation verachtfacht hat.

1950 wurde das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (englisch: United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees – UNRWA) gegründet. Seitdem erreichte die Anzahl der registrierten Flüchtlinge aus der Vertreibung 1948 sowie deren Kinder laut offiziellen Angaben der UNRWA – drei Generationen später – die schwindelerregende Zahl von 5,9 Millionen, wobei diese Summe die Flüchtlinge aus dem Sechstagekrieg von 1967 nicht berücksichtigt. Mehrere Generationen kennen nur diese Lager und Zustände. Viele der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und ihre Nachfahren haben keine Staatsbürgerrechte in den Ländern, die sie beherbergen, geschweige denn in Israel, und sind auf die Unterstützung der UNRWA angewiesen.

Die meisten palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und ihre Nachkommen haben keine Staatsbürgerrechte in den Ländern, die sie beherbergen / Bild: public domain

Die Frage des Rechts der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr steht im Mittelpunkt der Palästinenserfrage. Sie kann im Kapitalismus nicht gelöst werden. Nur eine sozialistische Revolution im Nahen Osten und die Errichtung einer sozialistischen Föderation aller Völker mit dem Recht auf Selbstbestimmung für Minderheiten kann die Bedingungen schaffen, unter denen die seit Jahrzehnten klaffenden Wunden heilen können. So kann materiell die Grundlage für die Lösung der Frage gelegt werden, die alle Missstände beenden kann, ohne ein weiteres monströses unterdrückerisches System zu schaffen.

Etwa 150.000 Palästinenser verblieben auf ihrem Land innerhalb der „Grünen Linie“, dem 1948 von Israel besetzten Gebiet. Heute machen sie mehr als 20% der israelischen Bevölkerung aus. Der israelische Staat enteignete mithilfe von Ad-hoc-Gesetzen Grundbesitze und Ländereien der Geflüchteten und untergrub systematisch die Rechte der verbliebenen Palästinenser, mit Gesetzen wie dem Gesetz über das Eigentum von Abwesenden (1950), dem Gesetz über den Erwerb von Land (1953) und weitere. 1952 wurde den arabischen Israelis (die Palästinenser innerhalb der Grünen Linie) durch das Staatsbürgerschaftsgesetz formell die Staatsbürgerschaft gewährt.

Doch bis 1966 unterlagen die Palästinenser in Israel dem Kriegsrecht, und sie lebten in einem Zustand der Segregation mit immensen Bewegungseinschränkungen, wodurch die israelischen Behörden sogar den Besitz derer enteignen konnten, die innerhalb des Landes vertrieben und physisch an der Rückkehr zu ihren Häusern gehindert wurden.

Innerhalb weniger Jahre schrumpfte die Zahl der palästinensischen Dörfer, die die Nakba überlebt hatten, von 550 auf 100. Über 25% der palästinensischen Bauern wurden enteignet und mussten in „Geisterdörfern“ Zuflucht suchen, die in Israel als verboten galten und regelmäßig von der Armee dem Erdboden gleichgemacht wurden, nur um später wiederaufgebaut zu werden. Ihre Standorte wurden aus den Landkarten gestrichen.

Nach 1967 lockerte die israelische Regierung den Druck auf die palästinensische Bevölkerung und bemühte sich um eine stärkere Integration der israelischen Araber, während sie die neuen territorialen Eroberungen des Sechstagekriegs festigte: die besetzten Gebiete der Westbank, Gaza, die Golanhöhen und Ostjerusalem.

Die Festigung des israelischen Kapitalismus

Für die Palästinenser stellte Israel ein feindseliges Regime dar, das ihr Land an sich riss und verantwortlich für Völkermord und Massendeportationen war. Für die jüdischen Flüchtlinge, die aus Europa, nach der Schoa, oder aus der arabischen Welt, wo das jahrhundertealte Gleichgewicht der Koexistenz durch die Folgen der Nakba zerbrochen war und es hunderttausenden Juden unmöglich machte zu bleiben, weiter zuwanderten – für sie wurde Israel immer mehr zur besten Möglichkeit, ihre durch Krieg und Verfolgung zerstörten Leben wiederaufzubauen.

Zwischen 1948 und 1951 hatte sich Israels Bevölkerung mehr als verdoppelt (von 650.000 auf 1,4 Mio.) und stieg aufgrund der jüdischen Zuwanderung in den folgenden Jahrzehnten weiter rasch an. Israels Bevölkerung erreichte 1973 über 3 Millionen und hat inzwischen die 9-Millionen-Marke überschritten.

Die israelische zionistische Bourgeoisie und der Imperialismus konnten die Entschlossenheit der jüdischen Massen, einen Ort zu errichten, in dem sie vor Verfolgung Zuflucht finden würden, mit bemerkenswertem Zynismus ausnutzen. Während der 1950er und 1960er Jahre nutzten sie die Masse der jüdischen Flüchtlinge als günstige und stets erneuerbare billige Arbeitskraft für die Industrie und falls notwendig als Soldaten, um Israels Vormachtstellung in der Region zu sichern. Die beachtliche Entwicklung des israelischen Kapitalismus hätte aber ohne wesentliche Subventionen und Investitionen der USA (von 1949 bis Mitte der 1990er geschätzt 140 Milliarden US-Dollar) nicht stattgefunden.

Trotz des erheblichen Zuzugs an Einwanderern wurden über die Jahre immer mehr israelische Juden innerhalb von Israel geboren: 27,7% im Jahr 1949, 44% im Jahr 1968, 57% im Jahr 1981. Heute machen die in Israel geborenen Juden 75% aus. Die hebräische Sprache, die Ende des 19. Jahrhunderts von Eliezer Ben-Jehuda entworfen worden war, schlug unter den jüngeren Generationen vermehrt ihre Wurzeln und ersetzte allmählich das Jiddisch der Aschkenasim und das Ladino der Sephardim. Viele Israelis der zweiten Generation gaben die Sprachen ihrer Herkunftsländer auf.

Die jüdischen Massen waren natürlich unempfänglich für die nationalistische Propaganda der arabischen Regime, die sie als Feinde darstellten, die vernichtet werden müssen. Die ständige militärische Bedrohung durch die arabischen Nachbarregime sowie die Taktiken des Individualterrorismus, die von den palästinensischen nationalistischen Organisationen seit Mitte der 1960er angewandt wurden, trieben die Mehrheit der Israelis in die Arme des zionistischen Staates. Dies half dem Zionismus, basierend auf der Angst, dass die Araber sie zerstören wollten, bei der Herausbildung eines israelischen Nationalbewusstseins.

Der Wirtschaftsboom der 1950er bis 1970er Jahre, verstärkt durch die Hilfe der USA, bedeutete, dass die israelischen Arbeiter (zu einem gewissen Maß auch die arabisch-israelische Minderheit) einen deutlich höheren Lebensstandard erreichen konnten als die arabischen Massen in den Nachbarländern. Diese materiellen Errungenschaften stellen für die israelischen Arbeiter ein Kapital dar, das verteidigt werden musste, besonders, wenn Angriffe von außen drohten.

Obwohl die palästinensische Minderheit in Israel stark diskriminiert wurde, waren sich viele bewusst, welche Trostlosigkeit und welches Elend die autokratischen und reaktionären arabischen Regime bereithielten.

Die saudische Monarchie, Kuwait, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und der Rest der ölreichen Golfstaaten erklärten sich zwar zu „Freunden“ der Palästinenser und finanzierten die PLO, bedienten sich aber hunderttausender Palästinenser und anderer armer Gastarbeiter, um sie unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten zu lassen. Sie gaben gut acht, ihnen keine politischen oder gewerkschaftlichen Rechte einzuräumen, geschweige denn Bürgerrechte, und beuteten sie gnadenlos aus. Bis in die frühen 1990er wurde dieses Spiel weitergetrieben, bis die Auswirkungen des Ersten Golfkrieges die Regime dazu veranlassten, von den palästinensischen Arbeitern abzulassen und den Blick nach Indien, Pakistan und Nepal als Hauptquelle billiger Arbeitskräfte zu werfen.

Klassenwidersprüche in Israel

Abgesehen von diesen grundlegenden Faktoren, die dem israelischen Kapitalismus eine gewisse Unterstützung garantierten, vor allem wenn er bedroht war, muss gesagt werden, dass die israelische Gesellschaft tief polarisiert und von Homogenität weit entfernt war und auch heute noch ist.

1974 lösten gewaltsame Proteste der israelischen Black Panthers eine Regierungsuntersuchung aus. Diese Proteste waren vom zionistischen Staat rabiat unterdrückt worden. Die Untersuchung befasste sich mit den Lebensbedingungen der sephardischen Juden, die großteils ab 1948 aus Nordafrika, dem Irak, Jemen und den übrigen Regionen des früheren Osmanischen Reichs nach Israel gekommen waren und die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Israels ausmachten.

Diese Untersuchung enthüllte ein ausgebeutetes „zweites Israel“. 92% der unterernährten Kinder und 90% der jüdischen Häftlinge waren sephardischer Abstammung; nur 17% von ihnen hatten eine Oberschulausbildung – im Gegensatz zu 41% der europäischen Juden (Aschkenasim); in den Universitäten waren 20% sephardischer Abstimmung und 78% Aschkenasim. Die Sephardim gehörten zu 62% der Arbeiterklasse an (Aschkenasim: 39%) und zu 5% der Bourgeoisie (Aschkenasim: 14%). Der Höhepunkt der sozialen Diskriminierung war die geringe Anzahl von „Mischehen“: Nur 17%. Der radikale Aufstand der sephardischen Jugend in Israel gegen Unterdrückung und Diskriminierung fand sein Vorbild nicht zufällig im Kampf der Black Panthers in den USA.

In den vergangenen Jahrzehnten ist der israelische Kapitalismus immer ungleicher geworden. 1992 entfielen auf die reichsten 10% der Bevölkerung 27% des Nationaleinkommens, auf die ärmsten 10% nur 2,8% davon (CIA World Factbook 1999). Seitdem hat sich die Ungleichheit bedeutend verschärft. Laut dem World Inequality Report 2002, herausgegeben vom World Inequality Lab, ist „Israel eines der ungleichsten Länder mit hohem Einkommen. Das kaufkraftbereinigte Durchschnittseinkommen der unteren 50% der Bevölkerung beträgt 11.200 Euro oder 57.000 Schekel, während die oberen 10% 19-mal mehr verdienen (211.900 Euro oder 1.096.300 Schekel). Die Ungleichheit ist damit auf einem ähnlichen Niveau wie in den USA: Auf die unteren 50% der Bevölkerung entfallen 13% des nationalen Gesamteinkommens; auf die oberen 10% entfallen 49%.“

Die wirtschaftliche und militärische Macht Israels wurde nicht weniger als in jedem anderen kapitalistischen Land auf der Ausbeutung errichtet, der Ausbeutung der israelischen und palästinensischen Arbeiterklasse. Tatsächlich demonstrieren diese Zahlen, was die Spaltung der Arbeiterklasse bedeutet. Der israelische Staat gründet sich auf der Unterdrückung und systematischen Diskriminierung der Palästinenser, aber das bedeutet nur die kontinuierliche Ausbeutung der Palästinenser und der normalen israelischen Arbeiter, während die israelischen Kapitalisten gewaltige Vermögen angehäuft haben.

Ein Wendepunkt: Der Sechstagekrieg

Das Jahr 1967 war ein Wendepunkt in der Geschichte des Nahen Ostens / Bild: Pressebüro der Regierung Israels

Das Jahr 1967 war eine Zeitenwende in der Geschichte des Mittleren Ostens. Bis dahin hatten die meisten palästinensischen Flüchtlinge in den verschiedenen arabischen Ländern die Hoffnung gehegt, dass durch eine Intervention der Streitkräfte Ägyptens, Syriens und Jordaniens eines Tages die Wiederherstellung der Rechte der Palästinenser garantiert werden könne.

Nach einem Monat zunehmender Scharmützel und Spannungen entfesselte die israelische Luftwaffe am Morgen des 5. Juni einen Blitzangriff auf die Flughäfen Ägyptens und Jordaniens. 90% der Luftwaffe dieser Länder wurde zerstört, bevor die Flugzeuge auch nur abheben konnten. Am selben Tag marschierte die IDF im Westjordanland und Gaza ein und besiegte nach wenigen Tagen erbitterter Kämpfe die jordanische Arabische Legion und die in Gaza stationierte ägyptische Armee. Am sechsten Tag eroberten sie Gaza und am siebten Jerusalem, womit die Besatzung des Westjordanlandes vollendet war. Vor den Augen der fassungslosen arabischen Welt hatte Israel am 10. Juni nicht nur das ganze britische Mandatsgebiet Palästina unter seiner Herrschaft vereint, sondern auch die syrischen Golanhöhen und die ägyptische Sinai-Halbinsel besetzt, seinen arabischen Feinden eine erschütternde Niederlage zugefügt und eine neue Flüchtlingswelle 300.000 palästinensischer Flüchtlinge ausgelöst.

Die verheerende Niederlage im Sechstagekrieg wirkte sich auf das palästinensische Volk jedoch nicht derart demoralisierend aus wie die Nakba. Jetzt überwog nicht die Resignation, sondern die Wut. Die Niederlage der Araber beendete (entgegen den Prognosen der zionistischen Strategen) alle verbliebenen Illusionen darüber, dass eine Intervention von außen „es richten“ könnte.

Die Palestine Liberation Organization (Palästinensische Befreiungsorganisation, PLO) war 1964 durch einen Beschluss der Arabischen Liga auf ihrem ersten Gipfeltreffen gegründet worden. In den ersten Jahren war sie nichts weiter als ein Anhängsel der Regime, die in der Liga vertreten waren. Sie war mit wachsendem Widerstand von seiten des palästinensischen Widerstandes konfrontiert, etwa von Kräften wie der Fatah, der Guerillaorganisation von Yassir Arafat, und anderen, die wie er die Gelegenheit gehabt hatten, in den frühen 1960er Jahren die Gefängnisse der „befreundeten“ Regimes von innen zu sehen. 1967 drückte sich die unterschwellige Radikalisierung des palästinensischen Kampfes in der Gründung der Volksfront für die Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine, PFLP) unter George Habasch aus.

Der bürgerliche arabische Nationalismus war durch die krachende Niederlage im Sechstagekrieg völlig diskreditiert und entlarvt worden. Unter den Palästinensern, die sich mit einem Mal unter direkter israelischer Herrschaft befanden, und unter all jenen in den überfüllten Flüchtlingslagern Jordaniens, Syriens und Libanons entwickelte sich ein fruchtbarer Boden für Kritik am arabischen Nationalismus und den arabischen Regimes. Dieser Gärungsprozess gab dem palästinensischen Widerstand (insbesondere der Fatah und der neugegründeten PFLP) einen gewaltigen Auftrieb. Schließlich erlangte er eine Massenbasis in den Flüchtlingslagern.

Am 21. März 1968 zog die israelische Armee aus, das Hauptquartier des Widerstands im jordanischen Dorf Karameh anzugreifen. Die Kämpfer der Fatah aber waren gewarnt worden und schlugen den Angriff zurück. Die unvorhergesehene Härte des Widerstandes zwang die IDF zum Rückzug. 28 israelische Soldaten wurden getötet, 69 verletzt. Über 100 palästinensische Kämpfer wurden getötet, aber diese Episode löste in der ganzen arabischen Welt einen gewaltigen Gefühlsausbruch aus. Denn der palästinensische Widerstand hatte geschafft, woran die Armeen der arabischen Länder immer gescheitert waren: Der israelischen Armee ihre erste Niederlage zuzufügen. Das brachte die Fatah und Arafat 1969 an die Spitze der umkämpften PLO.

Der palästinensische Widerstand untergräbt die arabischen Regime

Die palästinensischen Flüchtlinge wurden dem Elend der überfüllten Flüchtlingslager überlassen. 1968 erreichte ihre Bevölkerungszahl anderthalb Millionen. Die Kapitalisten der jeweiligen Länder nutzten sie als billige Arbeitskräfte aus und hielten sie in erniedrigenden Lebensbedingungen. Der Aufstieg des Widerstandes in den späten 1960ern stellte den Stolz der Palästinenser wieder her und machte die Lager zu Zufluchtsorten für die Organisationen des Widerstandes.

Das machte die Lager und die Länder, in denen sie sich befanden, zu Angriffszielen für brutale israelische Vergeltungsmaßnahmen. Die ständigen Konflikte zwischen der Widerstandsbewegung und den Regierungen dieser Länder verschärften sich durch die Verbreitung revolutionärer Ideen unter den Palästinensern. Zunehmend betrachteten sie die palästinensische Revolution als Teil einer umfassenderen arabischen Revolution mit sozialistischem Charakter. Diese Positionen wurden durch das wachsende Prestige des palästinensischen Widerstandes gestärkt und stießen auf Gehör bei den libanesischen und jordanischen Massen.

Die erste Krise entlud sich 1969 im Libanon, der ohnehin von Spannungen zwischen der maronitisch-christlichen Minderheit und der muslimischen Mehrheitsbevölkerung geprägt war. Im Herbst 1969 kam es zu einem gewalttätigen Konflikt, in dem die libanesische Armee von der PLO besiegt wurde. Das Kairoer Abkommen beendete diese Konfrontation vorübergehend.

Der Schwarze September

Ähnliche Prozesse vollzogen sich schon seit geraumer Zeit in Jordanien. Die wachsende Abscheu, ausgelöst durch die engen Beziehungen zwischen der haschemitischen Monarchie unter König Hussein und dem US-Imperialismus sowie die unterdrückerischen Verhältnisse, denen der überwiegende Großteil der Bevölkerung ausgesetzt war, fand in der Perspektive einer palästinensischen Revolution einen Anknüpfungspunkt.

Die PLO gab sich große Mühe, eine direkte Konfrontation mit Hussein zu vermeiden, doch der revolutionäre Aufstand der jordanischen Massen zerschlug jedes Hindernis. Die Massenbewegung, die dem jordanischen Regime entgegentrat, war wegen des Zögerns der PLO ohne Führung. Im Sommer 1970 begannen die Zusammenstöße zwischen palästinensischen Widerstandskämpfern und der Armee zu eskalieren. Eine Reihe von Flugzeugentführungen (PanAm, Swissair und British Airways, aber ohne zivile Opfer) durch die PFLP waren der Vorwand, den Hussein brauchte, um die Repression vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen.

Doch der palästinensische Widerstand setzte sich durch und eroberte binnen weniger Wochen einen Großteil der Hauptstadt Amman. Hussein bildete am 16. September eine Militärregierung, die am Morgen des 17. September eine Offensive gegen die palästinensischen Flüchtlingslager begann. Armeeeinheiten der Beduinen, die von der revolutionären Stimmung weniger erfasst waren, bombardierten die Lager unter der Führung des Generals al-Madschali mit Phosphor und Napalmgeschossen und setzten Panzer gegen die Arbeiterviertel von Amman ein. Trotz des militärischen Kräfteungleichgewichts war der Widerstand so entschlossen, dass die Kämpfe noch fast zwei weitere Wochen anhielten. Am 27. September sah Hussein sich gezwungen, einen Kompromiss zu schließen. Die palästinensische Widerstandsbewegung sagte zu, Jordanien zu verlassen und sich in den Libanon zu begeben.

Die genaue Opferzahl des Schwarzen Septembers in Jordanien ist nie bekannt geworden. Palästinensische Quellen sprechen von 20.000 Toten, andere Quellen von 5-10.000 hauptsächlich zivilen Opfern.

Die Haltung der PLO-Führer und Arafats wurde von einem sehr großen Teil der palästinensischen revolutionären Bewegung, die nach den jordanischen Ereignissen in Trümmern lag, scharf kritisiert. Frustration und Wut über das von Hussein verübte Massaker und das Schweigen der anderen arabischen Nationen waren unter den Palästinensern weit verbreitet und ließen Raum für die Entwicklung extremistischer Terrororganisationen (z. B. der Terrorgruppe Schwarzer September).

Die diplomatische Wende der PLO

Die Niederlage in Jordanien trug nicht dazu bei, die wesentlichen Beschränkungen des palästinensischen Widerstandes zu beheben. Die Vorstellung von einem Befreiungskampf „von außen“ sprach den palästinensischen Massen der besetzten Gebiete nur eine rein passive Rolle zu. Paradoxerweise wurde das Bekenntnis der PLO zur „Nichteinmischung“ in die inneren Angelegenheiten der arabischen Länder noch verstärkt.

Die Idee, dass das palästinensische Volk selbst den Befreiungskampf führen sollte, wurde aufgegeben / Bild: public domain
Die Beschränkung des Kampfes auf einen rein nationalen Rahmen verschob die Frage, welche Art von Gesellschaft im befreiten Palästina errichtet werden sollte, auf eine ungewisse Zukunft und gestattete so der PLO, eine trügerische Einheit mit den arabischen Regimes zu wahren. Das schützte sie aber nicht davor, von diesen Regimes bei der erstbesten Gelegenheit verraten zu werden, wenn die arabischen Massen versuchten, sich von ihren Ketten zu befreien und dabei in Konflikt mit den grundlegenden Interessen ihrer Unterdrücker gerieten.

Unter Arafats Führung erlangte die PLO die massenhafte Unterstützung der Palästinenser. Doch unter internationalem diplomatischem Druck, gerade von Seiten der arabischen Regimes, vollzog er eine 180-Grad-Wende: Die Idee, dass der Befreiungskampf vom palästinensischen Volk selbst geführt werden sollte, wurde verdrängt durch das Konzept des bewaffneten Kampfs als Instrument, um zusätzlichen internationalen diplomatischen Druck aufzubauen.

Am 6. Oktober 1973, dem Vorabend des jüdischen Jom-Kippur-Festes, wurde Israel von Syrien und Ägypten angegriffen. Der israelische Verteidigungsapparat wurde überrascht und erlitt eine empfindliche Niederlage. In den besetzten Gebieten beteiligte sich der palästinensische Widerstand an den Kämpfen. Jordanische, irakische und marokkanische Einheiten sowie eine symbolische Abteilung aus Tunesien beteiligten sich ebenfalls an diesem Krieg. Anfängliche Erfolge der arabischen Kräfte galten den arabischen Massen als Entschädigung für die schmähliche Niederlage des Jahres 1967.

Der Jom-Kippur-Krieg hatte eine entscheidende Auswirkung auf die israelische Gesellschaft: Er erschütterte die Gewissheit, dass die israelische Armee unbesiegbar sei. Allerdings organisierte sich die IDF schließlich neu und machte den verlorenen Boden wett, und am 22. Oktober kam es zu einem Waffenstillstand, als Israel bereits wieder die Oberhand gewonnen hatte.

So verstärkte sich die „diplomatische Wende“ weiter. Die PLO wurde am 27. November 1973 von der Arabischen Liga als „einzige legitime Repräsentantin des palästinensischen Volkes“ anerkannt. Im Mai 1974 wurde die Palästinensische Nationalcharta dahingehend abgeändert, dass erstmals die Perspektive einer teilweisen Befreiung Palästinas (und damit einer impliziten Anerkennung Israels) aufgestellt wurde. Arafat wurde eingeladen, am 13. November 1974 eine Rede vor den Vereinten Nationen zu halten. In seiner berühmten Rede verurteilte er den Zionismus, sagte aber: „Ich bin hierhergekommen mit einem Ölzweig in der einen und der Waffe des Freiheitskämpfers in der anderen Hand. Lasst den Ölzweig nicht aus meiner Hand fallen.“

Arafats Wende ermöglichte es den verräterischen arabischen Regimes, die Initiative zurückzuerlangen. Diese Linie verfolgte er um den Preis, die einzige wirkliche Kraftquelle des Widerstandes zu schwächen: Die Verankerung der Bewegung in den palästinensischen Massen.

Revolution und Konterrevolution im Libanon

Trotz der jordanischen Erfahrung und der Zusammenstöße von 1969 wuchs im palästinensischen Widerstand im Libanon das Vertrauen in seine immer größere Stärke. Im Libanon herrschten tiefe Spaltungen zwischen der von den Franzosen eingesetzten christlich-maronitischen herrschenden Klasse und den verschiedenen muslimischen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Fraktionen.

Wie in Jordanien war auch hier die wachsende Autorität des palästinensischen Widerstandes eng mit der Entwicklung revolutionärer Bestrebungen der libanesischen Massen verknüpft. Die Palästinenser in den Flüchtlingslagern waren ein integraler Bestandteil der libanesischen Arbeiterklasse geworden. Die libanesischen Kapitalisten hatten ihre Arbeit jahrelang ausgebeutet, ihre Lager an die Stadtränder verlegt und versucht, die Flüchtlinge auszunutzen, um die starken Organisationen der libanesischen Arbeiterklasse zu schwächen. Diese zynische Berechnung hatte aber bald den Effekt, die palästinensische Befreiungsbewegung und die revolutionären Bestrebungen der libanesischen Arbeiter zusammenzuschweißen.

Die Zwangsumsiedelung tausender PLO-Kämpfer aus Jordanien machte den Libanon zwangsläufig zu ihrem Hauptstützpunkt. Ganze Stadtviertel von Beirut wurden von der PLO kontrolliert, die sich als Alternative zur Staatsmacht herauskristallisierte und dabei von weiten Teilen der libanesischen Massen unterstützt wurde. Im Umfeld der PLO kam es – ermöglicht durch Gelder, die dem Widerstand gespendet wurden – zu einem Aufblühen von verschiedenen sozialen Institutionen wie Schulen und Krankenhäusern, deren Leistungen oft eine höhere Qualität hatten als jene des libanesischen Staats. Die ganze Bevölkerung hatte Zugang zu diesen Institutionen.

Mitte der 1970er Jahre kippte das labile Gleichgewicht. Ein „Bürgerkrieg“ wurde von der christlich-maronitischen herrschenden Klasse, der Armee, den christlichen Phalange-Milizen und ihren Verbündeten angezettelt. Das war in Wirklichkeit ein konterrevolutionärer Klassenkampf mit dem Ziel, die Kontrolle dieser Kräfte über die Gesellschaft wiederherzustellen. Die libanesischen Massen und ihre Organisationen, etwa die Libanesische Nationalbewegung unter Kamal Dschumblat, mussten ebenso zerschlagen werden wie der palästinensische Widerstand. Israel intervenierte mit häufigen Einmärschen in den Südlibanon, um den Widerstand anzugreifen.

Am 26. Jänner 1975 intervenierten palästinensische Kämpfer, als die Armee versuchte, den Streik der Fischer in Sidon niederzuschlagen. Der palästinensische Widerstand zwang die libanesischen Sicherheitskräfte zum Rückzug und tötete zehn seiner Männer. Die christliche Phalange ging mit eisener Faust gegen die PLO vor. Im Februar wurde ein propalästinensischer libanesischer Abgeordneter, Maarouf Saad, angeblich von der libanesischen Armee erschossen. Am 13. April wurde ein Mordversuch am Phalange-Führer Pierre Gemayel damit vergolten, dass in einem Bus in das Flüchtlingslager Tall el-Zaatar sämtliche 27 Fahrgäste massakriert wurden, was wiederum Kämpfe in ganz Beirut auslöste.

Im gesamten Jahr 1975 beschränkte sich die Haltung der PLO darauf, die Milizen der libanesischen Linken mit logistischer Unterstützung und Waffen zu unterstützen. Die „abwartende“ Taktik der PLO diente lediglich dazu, den Konflikt in die Länge zu ziehen, aber die Entscheidung der Phalange, die Flüchtlingslager Dbayeh und Tall el-Zaatar zu belagern, zwang die bewaffneten palästinensischen Widerstandsgruppen dazu, sich mit aller Kraft in den Konflikt einzuschalten. Die konterrevolutionären Phalangisten wurden in die Berge gejagt, bis sie kurz vor der Niederlage standen. An diesem Zeitpunkt kam es zu einer spektakulären Kehrtwende.

Als die Möglichkeit der Bildung einer revolutionären Regierung der libanesischen Linken im Raum stand, brach die arabische Front der „Freunde“ des palästinensischen Kampfes zusammen. Ägypten und Jordanien fürchteten die Perspektive einer Ausbreitung der Revolution im gesamten Nahen Osten. Der offene Verrat kam jedoch von dort, wo man ihn am wenigsten erwartet hatte. Der Vorkämpfer des antiimperialistischen Kampfes, Hafez al-Assad, Syriens Baath-Präsident, vollzog eine spektakuläre Kehrtwende und entsandte im Juni 1976 syrische Truppen zur Unterstützung der Phalangisten.

Die syrische Intervention stellte das Kräfteverhältnis auf brutale Weise auf den Kopf. Der Widerstand musste sich unter schweren Verlusten in die Städte zurückziehen, während die Phalangisten, geschützt von der syrischen Armee, das Lager von Tall el-Zaatar erneut belagerten. Nach 52 Tagen, am 12. August, ergab sich Tall el-Zaatar und die Phalangisten und Syrer übten Rache, indem sie dreitausend Palästinenser bei der Räumung des Lagers massakrierten.

Syrien, das „fortschrittlichste“ aller arabischen Regime, hatte, sobald es sich durch die Entwicklung der Revolution – wenn auch nur indirekt – bedroht sah, keine Sekunde gezögert, sich auf die Seite des reaktionärsten Flügels der bürgerlichen Konterrevolution gegen denselben palästinensischen Widerstand zu stellen, dessen Hauptquartier es in Damaskus und Syrien beherbergt und jahrelang finanziert hatte.

Die herrschenden Cliquen der Arabischen Liga standen am Fenster und schauten erleichtert zu, ohne einen Finger zu rühren. Nach 19 Monaten Krieg und 60.000 Toten wurde der Libanon in Zonen aufgeteilt, in denen die verschiedenen Konkurrenten ihre Positionen durch einen fragilen „Waffenstillstand“ festigten. Trotz Assads Verrat verausgabte sich die Führung der PLO in demütigenden Verhandlungen, um die Kluft zu „flicken“ und die „arabische Front“ neu zu formieren.

Israelische Invasionen im Libanon

Für Israel war die bloße Anwesenheit palästinensischer Kämpfer auf libanesischem Boden unerträglich. Am 14. März 1978 marschierte Israel in den Südlibanon ein und überwältigte innerhalb weniger Tage den palästinensischen Widerstand, der von der libanesischen Armee im Stich gelassen wurde.

Unter dem Druck von US-Präsident Jimmy Carter beschloss der israelische Premierminister Jitzchak Schamir jedoch, sich zurückzuziehen, bevor er seine Ziele erreicht hatte. Carter hatte beschlossen, bilaterale Geheimverhandlungen zwischen Schamir und dem ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat zu unterstützen, die auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Ägypten abzielten. Am 18. September 1978 wurde in Camp David, einer Erholungsanlage des US-Präsidenten, ein Abkommen offiziell ratifiziert.

Für Israel war das Problem jedoch nicht gelöst. Am 6. Juni 1982 startete die IDF unter dem Kommando von Ariel Scharon, dem Verteidigungsminister der Begin-Regierung, eine zweite groß angelegte Invasion im Libanon. Die Invasion wurde zu einem Blutbad. Innerhalb weniger Stunden fiel ein Flammenmeer der israelischen Luftwaffe auf die Städte und Flüchtlingslager hernieder, während Panzerkolonnen auf Beirut vorrückten und eine Schneise von Tod und Zerstörung hinterließen: 14.000 Opfer allein in den ersten zwei Wochen.

Die IDF belagerte West-Beirut in einer tödlichen Umklammerung, die 78 Tage dauerte, in der alle Vorräte blockiert waren und die Stadt unerbittlich bombardiert wurde. 7.000 tote libanesische Zivilisten und eine nicht näher bezeichnete Zahl palästinensischer Opfer (deren genaue Zahl nie ermittelt werden wird) reichten nicht aus, um den Widerstand zu brechen.

Die Pattsituation ermöglichte es der imperialistischen Diplomatie, die vollständige Evakuierung des palästinensischen Widerstands aus dem Libanon auszuhandeln. Ende August 1982 verließen mehr als 10.000 palästinensische Kämpfer unter den wachsamen Augen einer französisch-italienisch-amerikanischen Truppe Beirut. Doch der Preis, den die Massen für den Erhalt der PLO-Strukturen zahlten, war extrem hoch. Die libanesische Bevölkerung und die zehntausenden Palästinenser, die sich weiterhin in den Flüchtlingslagern drängten, waren der Rache der Phalangisten, der pro-syrischen schiitischen Milizen von Amal, der syrischen Armee und der israelischen Armee ausgeliefert. Für sie garantierte allein ein in den Sand geschriebenes Abkommen, an dessen Einhaltung niemand Interesse hatte.

Die Rache der Israelis war unmittelbar und schrecklich. Zwischen dem 16. und 18. September, sobald das internationale „Friedens“-Kontingent den Libanon verlassen hatte (nachdem die verbliebenen palästinensischen Kämpfer entwaffnet und evakuiert worden waren), massakrierten die libanesischen Phalangisten unter dem Schutz der IDF 3.000 wehrlose palästinensische Flüchtlinge, indem sie die Flüchtlingslager Sabra und Shatila in Beirut 40 endlose Stunden lang verwüsteten.

Berichten zufolge beobachtete Ariel Scharon die Operation von der Spitze eines Gebäudes aus, 200 Meter von der Mauer des Lagers Schatila entfernt, von seinem Hauptquartier aus. Genau wie die Syrer sechs Jahre zuvor in Tall al-Zaatar leistete die israelische Armee lediglich logistische Unterstützung für die Phalangisten, indem sie das Gebiet mit Leuchtraketen beleuchtete, alle Fluchtwege aus den Lagern blockierte und die Phalangisten, die das Massaker durchführten, versorgten und unterstützten.

Die Auswirkungen des Massakers in Sabra und Schatila erschütterten sogar Israel. Am 25. September 1982 überschwemmte eine Massendemonstration von 400.000 Menschen, aus Abscheu gegen die Rolle der IDF und Scharons bei dem Massaker, die Straßen von Tel Aviv. Es wurde eine offizielle Untersuchung eingeleitet, um die Bewegung zu entschärfen und die Rolle der IDF zu vertuschen, aber selbst der beschönigende Bericht dieser Untersuchung konnte die persönliche Verantwortung von Ariel Sharon nicht verbergen. So musste er zurücktreten.

Die Führung der PLO zog nach Tunesien, wo Arafat und sein Gefolge in einem luxuriösen Exil lebten, bis sie 1994 nach Gaza zogen. Ihre ganze Energie wurde darauf verwendet, Verhandlungsstrategien zu entwickeln, Rivalitäten zwischen den arabischen Regimen zu jonglieren und „normale“ Beziehungen zu den Golfmonarchien wiederherzustellen.

Die Politik der PLO basierte zunehmend darauf, Stabilität im Nahen Osten gegen Zugeständnisse einzutauschen. Um an einem Verhandlungstisch in den Augen des US-Imperialismus und Europas Einfluss zu gewinnen, verließ sich Arafat auf den Widerstand und sogar zunehmend auf individuelle terroristische Taktiken (die von der PLO formell verurteilt wurden), während die Kraft der Massenwiderstandsbewegung infolge ihrer Niederlagen nachließ.

Die besetzten Gebiete am Vorabend der Intifada

Während der zwanzigjährigen militärischen Besatzung waren die besetzten Gebiete für Israel ein zusätzlicher Markt für seine Produkte und eine Quelle ungelernter Arbeitskräfte gewesen. Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung, das Westjordanland und die Golanhöhen zu besetzen, war die Aneignung der Wasserressourcen der Region. Das Letzte, was Israel wollte, war, dass die Gebiete ein Eigenleben entwickelten.

Die israelische Regierung erdrückte schrittweise das wirtschaftliche Leben der besetzten Gebiete, die überwiegend auf die Landwirtschaft mit begrenztem Kleinhandwerk ausgerichtet war. Dadurch wurde die Lebensgrundlage der Bauern und Landarbeiter untergraben, die nun gezwungen waren, so wie bereits 120.000 Palästinenser, täglich zur Arbeit nach Israel zu pendeln (ein Anteil von einem Drittel der Arbeitskräfte im Westjordanland und 50% der Arbeitskräfte im Gazastreifen). Die Notwendigkeit, die „Grüne Linie“ zu überschreiten, wurde vom israelischen Staat als Vergeltungswaffe gegen palästinensische Arbeiter eingesetzt. Er drohte ständig mit willkürlichen Grenzschließungen.

Die Wirtschaft dieser Gebiete war (und ist) sogar grundlegende Konsumgüter betreffend vollständig von Israel abhängig. Die israelische Politik verschärfte die natürliche und historische wirtschaftliche Abhängigkeit der Gebiete vom Rest Palästinas. Im Jahr 1970 waren bereits 82% der Importe israelischen Ursprungs, 1987 stieg der Anteil auf 91%. Die hunderttausenden Palästinenser im Ausland unterstützten ihre Familien mit einer Vielzahl von Überweisungen, die damals 37% des BIP der Gebiete ausmachten. Auch heute noch machen Überweisungen einen erheblichen Teil (etwa 20%) des BIP des Westjordanlandes und des Gazastreifens aus. Dies trug paradoxerweise dazu bei, einen Markt aufrechtzuerhalten, in den israelische Produktionsüberschüsse exportiert werden konnten.

In den ersten zehn Jahren der Besatzung betrug die Gesamtzahl der israelischen Siedler in den besetzten Gebieten nicht mehr als 7.000. Mit der Machtübernahme des zionistischen rechten Likud im Jahr 1977 eskalierte die Kolonisierungspolitik jedoch rasch. In den folgenden zehn Jahren wurden auf palästinensischem Land 18.000 Häuser und 139 Siedlungen für insgesamt 80.000 Siedler gebaut. Um die Siedler von den Palästinensern zu trennen, wurde ein spezielles Straßennetz errichtet, was die Bewegungsfreiheit der Palästinenser stark einschränkte. Die wachsende Präsenz der jüdischen Siedler wurde zum abscheulichsten Ausdruck der Besatzung.

Die palästinensische Bevölkerung der Gebiete hatte während der zwanzigjährigen Besatzung eine bemerkenswerte Bevölkerungsexplosion erlebt. 1987 waren 75% der Bevölkerung unter 25 Jahre und 50% sogar unter 15 Jahre alt. Die Mehrheit hatte – am Vorabend der Intifada – nichts anderes gekannt als das zunehmend unerträgliche, demütigende und unterdrückerische Regime der israelischen Besatzung.

Die Intifada

Vier Jahrzehnte nach der Nakba und zwanzig Jahre nach dem Sechstagekrieg waren die Aussichten für den nationalen Befreiungskampf der Palästinenser düster. Die revolutionären Bewegungen in Jordanien und im Libanon waren blutig unterdrückt, der palästinensische Widerstand zerschlagen worden. Die enormen Opfer der palästinensischen Massen in den Flüchtlingslagern hatten keinen konkreten Nutzen gehabt. Israel hatte seinen Griff über ganz Palästina gefestigt.

Die Kluft zwischen der PLO-Führung in Tunis und der Realität in den besetzten Gebieten war so groß geworden, dass selbst Arafat mit seiner sonst so ausgeprägten Auffassungsgabe die zahlreichen Anzeichen eines Stimmungsumschwungs vor Ort nicht bemerkt hatte.

Einige Monate vor der Intifada hieß es in einem Bericht des West Bank Data Base-Instituts des israelischen Soziologen Meron Benvenisti: „Gewalt geht zunehmend von unorganisierten, spontanen Gruppen aus… Zwischen April 1986 und Mai 1987 wurden 3.150 gewalttätige Vorfälle registriert, angefangen vom einfachen Steinewerfen über Straßensperren bis hin zu etwa hundert Angriffen mit Sprengstoff oder Schusswaffen.“ Die zunehmende Radikalität der palästinensischen Bevölkerung unter Besatzung zeigte sich in den Tagen des 5. und 6. Juni, als anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der israelischen Besatzung ein Generalstreik stattfand.

Das Wort Intifada (ein Begriff, der mit „Abschütteln“ übersetzt werden kann) beschreibt die Reaktion der palästinensischen Massen sehr gut / Bild: Abarrategi, Wikimedia Commons

Am 7. Dezember 1987 geschah etwas, was sowohl für den israelischen Geheimdienst als auch für die PLO-Führer völlig unerwartet war: Ein Vorfall, der sich auf die eine oder andere Weise öfters ereignete, löste einen spontanen Aufstand von zehntausenden jungen Menschen und Arbeitern gegen die israelische Besatzung mitten im Herzen der besetzten Gebiete aus. Diese Zone hatten die PLO-Führer als Schauplatz für Massenkämpfe längst abgeschrieben.

Ein IDF-Lastwagen kollidierte mit einem Zivilfahrzeug und tötete vier palästinensische Arbeiter. Ob es sich dabei um eine vorsätzliche Vergeltungsaktion der Soldaten für die Tötung eines Israelis in Gaza am Tag zuvor handelte oder nur um einen Unfall, spielte dabei eigentlich keine Rolle. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Dieser Funke entzündete das brennbare Material, welches die israelische Besatzung zwanzig Jahre lang produziert hatte.

Das Wort Intifada (ein Begriff, der mit „Abschütteln“ übersetzt werden kann) beschreibt die Reaktion der palästinensischen Massen gut. Nachdem er einmal begonnen hatte, warf der Aufstand innerhalb weniger Stunden das seit langem bestehende Kräftegleichgewicht über den Haufen und wurde über Monate hinweg immer stärker, was die Besatzungstruppen auf eine harte Probe stellte. Die Intifada hatte auch eine enorme internationale Auswirkung. Sie hatte innerhalb Israels die Unterstützung der israelischen Araber und löste auch bei der jüdischen Jugend immer mehr Abneigung gegen die brutalen Methoden zur Unterdrückung des Aufstands aus.

Selbst die brutalste Repression erwies sich als wirkungslos. Israel setzte systematisch Verwaltungshaftstrafen von bis zu einem Jahr ohne Anklage oder Gerichtsverfahren durch. Innerhalb weniger Monate kam es zu 9.000 Festnahmen; hunderte Menschen wurden getötet und tausende verletzt; es kam zu Zerstörungen von Häusern und Vergeltungsmaßnahmen gegen die Familien der Getöteten oder Festgenommenen; kollektive Repressalien gegen Dörfer oder Stadtteile fanden statt – gekrönt durch den Befehl des israelischen Verteidigungsministers Rabin, denjenigen, die beim Steinwerfen erwischt wurden (die meisten von ihnen waren Kinder), „Arme und Beine zu brechen“ – ein solch rücksichtsloses Maß an Repression führte zu nichts, außer die Revolte weiter anzuheizen.

Der Kampf nahm die Form von Generalstreiks, Straßenblockaden und Hinterhalten auf israelische Patrouillen an, die von den steinewerfenden Shebabs, den Burschen des Aufstands, angegriffen wurden. Es handelte sich um Formen des zivilen Ungehorsams wie einen Steuerstreik und die Weigerung, die von den israelischen Behörden festgelegten Öffnungszeiten der Geschäfte einzuhalten. In Ostjerusalem versuchte das israelische Militär während einer Aussperrung vergeblich, die Öffnung von Geschäften zu erzwingen.

Unter Drohungen sperrten die Ladenbesitzer auf und schlossen die Läden wieder, sobald die Soldaten abgezogen waren.

Seit den Anfängen der Intifada entstanden überall spontan Volkskomitees. Sie koordinierten zunächst Jugendgruppen, die mit Schleudern und brennenden Reifen gegen die Besatzungstruppen, IDF und Polizeipatrouillen kämpften. Im weiteren Verlauf des Kampfs verteilten die Volkskomitees während Streiks und Aussperrungen auch Grundversorgungsgüter und gründeten Gruppen, die mit dem Schutz der Gemeinden beauftragt waren. Diese Organe versammelten und organisierten die Jugend- und Arbeiteraktivisten (von denen die überwiegende Mehrheit nicht Teil bereits bestehender Organisationen war) und übernahmen die Führung des Kampfes, wobei sie sich um jeden Aspekt der unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung und deren Aufgaben kümmerten, die sich aus dem Kampf ergaben.

Spezifische Komitees organisierten verschiedene Aspekte des Kampfes. In Stadtteilen und Dörfern wurden Kliniken eingerichtet und das Bildungswesen wurde neu organisiert, nachdem die Schulen aller Ebenen im Februar 1988 von den Besatzungsbehörden geschlossen worden waren. Honorare, Mieten und Preise wurden gedeckelt. Man organisierte den Kampf gegen das Hamstern, den Boykott israelischer Produkte, die Verteilung knapper Vorräte. Sie versuchten sogar, auf die Nahrungsmittelkrise mit der Entwicklung von Subsistenzlandwirtschaft und Viehzucht zu reagieren. Es wurden Volksgerichte eingerichtet. Frauen spielten eine wichtige Rolle bei der Funktionsweise dieser zahlreichen Komitees.

Aufgrund der erdrückenden militärischen Besatzung konnten die Komitees ihr Potenzial als Alternativmacht zu den Kolonialbehörden durch eine Koordination auf allgemeiner Ebene nicht voll ausschöpfen. Während der ersten Phase der Intifada waren sie die Strukturen, durch die die Massen ihre Macht und Radikalität zum Ausdruck brachten.

Im Mai 1988, sechs Monate nach Beginn des Aufstands, gab es nach Schätzungen israelischer Quellen 45.000 aktive Komitees. Diese begannen sich auf Stadtebene zu koordinieren, während auf Initiative der wichtigsten Parteien der palästinensischen Linken (PFLP, DFLP und PCP) sofort ein einheitliches Intifada-Kommando eingerichtet wurde.

Anders als später behauptet wurde, wurde die PLO-Führung in Tunis durch die explosionsartige Entwicklung der revolutionären Mobilisierung in den Gebieten völlig gestürzt. Arafats Anweisungen wurden vom Einheitskommando weitgehend ignoriert, bis ein Jahr später, im September 1988, die israelische Repression die Bewegung ihrer ursprünglichen Führung enthauptet hatte.

Spaltungen in Israel

Die stärkste Armee der Region wurde gegen Kinder eingesetzt, die nur mit Steinen und Mut bewaffnet waren. Das erinnerte an den biblischen Mythos vom Kampf Davids gegen Goliath, nur dass David hier Palästinenser war. Die Besatzungstruppen führten routinemäßig Durchsuchungen durch, um „gefährliche Waffen“ wie Schulbücher, Medikamente und medizinische Hilfsgüter zu beschlagnahmen und zu verbrennen und die Gärten zu zerstören, die überall entstanden waren, um die in bitterer Not lebende Bevölkerung zu ernähren. Dies erschütterte das Selbstvertrauen der jungen IDF-Soldaten und löste bei Teilen der israelischen Jugend eine zunehmende Abneigung gegen die Besatzung aus.

Die scharfen Spaltungen erreichten im März 1988 ihren Höhepunkt mit der Gründung des Rats für Frieden und Sicherheit durch eine Gruppe pensionierter israelischer Generäle, deren Position von General Orr, dem ehemaligen Oberbefehlshaber der IDF in der Nordregion (Libanon), folgendermaßen zusammengefasst wurde: „Wir sind uns alle einig, dass die Besatzung enden muss, denn ihre Aufrechterhaltung stellt eine weitaus größere Gefahr für unsere Sicherheit dar als ihre Beendigung.“ (Le Monde, 2. Juni 1988). Ihre Petition wurde vom ehemaligen Chef des Mossad (Yariv) und dem ehemaligen Verwalter des Westjordanlandes (Sneh) sowie von 30 Divisionsgenerälen und 100 Brigadegenerälen – der Hälfte der Reservegeneräle – unterzeichnet.

Schamir hingegen fasste den Beschluss, aus der Krise herauszukommen, indem er das Vorgehen in den Territorien noch verschärfte. Im August 1988 wurden die Volkskomitees verboten und für ihre Mitglieder wurden Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren verhängt. Ein Jahr nach ihrem Beginn bekam die Intifada die Folgen der Repression und der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage zu spüren.

Das Intifada-Kommando erkannte Ende 1988 die Autorität der PLO als „alleinige Vertretung des palästinensischen Volkes“ an. Am 15. November proklamierte Arafat die Unabhängigkeit eines palästinensischen Staates in den von Israel besetzten Gebieten. Die PLO machte sich daraufhin daran, die Kontrolle über die Mobilisierung in den Territorien zurückzugewinnen. Die Komitees wurden in die Wohlfahrtsstrukturen der PLO integriert und ihrer Rolle als embryonale Machtorgane der Masse der Palästinenser beraubt.

Dies versetzte dem Massencharakter der Intifada einen entscheidenden Schlag und eröffnete eine zweite, härtere Phase des Aufstands, der unter einer Schicht der Jugend eine verzweifelte Wendung nahm. Es ist kein Zufall, dass mit dem Nachlassen des Massencharakters des Aufstands die Rolle islamischer Gruppierungen wie Hamas und Islamischer Dschihad zunahm.

Die Hamas

Die Muslimbruderschaft spielte in der ersten Phase der Intifada keine Rolle. Die Hamas wurde als eigenständige Organisation gegründet, nachdem die Intifada bereits begonnen hatte, um die Interessen von Mujama Al-Islamiya zu schützen, der Organisation, die vom Führer der Gaza-Bruderschaft, Scheich Ahmed Yassin, gegründet wurde.

Ein aufschlussreicher Artikel von Andrew Higgins im Wall Street Journal aus dem Jahr 2009 beleuchtet die Rolle Israels bei der Förderung dessen, was später zur Hamas werden sollte.

Nach zwei Jahrzehnten der Unterdrückung durch das ägyptische Regime fand die Muslimbruderschaft im von Israel besetzten Gazastreifen günstige Bedingungen vor. Israel hatte Mujama Al-Islamiya in den 1970er und 1980er Jahren erlaubt, sich als Wohltätigkeitsorganisation zu registrieren, legal zu operieren und Geld und Vermögen anzuhäufen. Rund um die Organisation herum bot ein Netzwerk aus Schulen, Vereinen, Moscheen und der Islamischen Universität von Gaza der Muslimbruderschaft das perfekte Umfeld für die Entwicklung ihrer Aktivitäten. Israels Ziel war es, die islamischen Fundamentalisten zu nutzen, um die revolutionäre linke Bewegung des palästinensischen Widerstands zu untergraben.

Die Mujama lieferte sich heftige Auseinandersetzungen mit der palästinensischen Linken, um die Kontrolle über Institutionen wie den palästinensischen Roten Halbmond (die muslimische Version des Roten Kreuzes) zu erlangen, indem sie deren Büros stürmte.

Der Kampf entbrannte auf allen Ebenen. Islamisten griffen Kinos und Geschäfte an, die Alkohol verkauften. Das israelische Militär stand größtenteils abseits und schaute zu.

Die Beziehungen zwischen der Mujama und den israelischen Geheimdiensten wurden auch nach der Verhaftung von Scheich Yassin im Jahr 1984 aufrechterhalten und beinhalteten Beratungen auf höchster Ebene. Lange nach dem Ausbruch der Intifada erzählte Herr Hacham, ein israelischer Militärexperte für arabische Angelegenheiten, dass er einen der Gründer der Hamas, Mahmoud Zahar, im Rahmen regelmäßiger Besprechungen zu einem Treffen mit dem israelischen Verteidigungsminister Jitzchak Rabin mitnahm.

Das Massaker in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem im Oktober 1990 und die Verzweiflung, die nach einem so langen und perspektivlosen Kampf aufkam, schufen günstige Bedingungen für das Wachstum der Hamas.

Die Oslo-Abkommen von 1993

Arafat und die PLO unterstützten den Irak im Golfkrieg 1990. Saddam Hussein hatte die palästinensische Frage gegen den US-Imperialismus ins Feld geführt, indem er die Doppelmoral gegenüber dem Irak und Israel anprangerte und den Rückzug aus Kuwait anbot, sollte Israel dasselbe mit den besetzten Gebieten tun. Dies provozierte einen Bruch der PLO mit den USA, aber auch mit der Arabischen Liga, die sich hinter Bush gestellt hatte.

Die US-Imperialisten dachten, sie könnten Arafats Schwäche zu ihrem Vorteil nutzen. Die „Lösung der Palästinenserfrage“ wurde an einem Verhandlungstisch in Madrid im Sommer 1991 diskutiert. Die PLO beteiligte sich daran, die Hamas nannte es einen „Ausverkauf Palästinas“. Bilaterale israelisch-palästinensische Verhandlungen führten schließlich zur Unterzeichnung des Oslo-Abkommens, das am 13. September 1993 im Weißen Haus mit dem berühmten Händedruck zwischen Jassir Arafat und dem israelischen Premierminister Jitzchak Rabin offiziell besiegelt wurde.

Auf israelischer Seite stellten die Abkommen eine Anerkennung der durch die Intifada offengelegten Tatsache dar, dass eine weitere Durchsetzung der direkten Besetzung der Gebiete unmöglich war.

Rabin hatte den größten Teil seines Lebens damit verbracht, gegen die Palästinenser zu kämpfen. 1948 nahm er an den Angriffen auf Lydda und Ramle zwischen Tel Aviv und Jerusalem teil. Bei dieser Operation wurden hundert Menschen erschossen. 1967 war Rabin während des Sechstagekrieges Stabschef der IDF und erlangte danach den Status eines israelischen Helden. In den späten 1980er Jahren leitete er als Verteidigungsminister unter Schamir die israelische Repression gegen die Intifada und befahl israelischen Soldaten, palästinensischen Jugendlichen, die beim Steinewerfen erwischt wurden, die Arme zu brechen, was er später bestritt.

Gerade die Intifada überzeugte ihn davon, dass der Status quo unhaltbar geworden war. In einem Artikel im New Yorker (19. Oktober 2015) wurde Rabin zitiert, der 1988 einer Gruppe seiner Parteikollegen bei der sozialdemokratischen Awoda sagte: „Ich habe in den letzten zweieinhalb Monaten etwas gelernt. Unter anderem, dass man eineinhalb Millionen Palästinenser nicht mit Gewalt regieren kann.“

Rabins Worte veranschaulichen, wie tief der revolutionäre Aufstand der Intifada die Grundfesten der israelischen Besatzung erschüttert hatte. Dies zwang die zionistische Führung, ihre Taktik zu ändern. Rabins Autorität erlaubte ihnen dies, allerdings um den Preis, den wachsenden Unmut der zionistischen Rechten zu provozieren, der Rabin 1995 das Leben kostete.

Der „Erzfeind“, die PLO-Führung, wurde von der israelischen herrschenden Klasse in einem unsicheren Kompromiss kooptiert, der sich als Falle zusammenfassen lässt. Die PLO stimmte zu, das Existenzrecht Israels anzuerkennen und gab die Forderung nach dem Recht der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 auf Rückkehr auf. Israel stimmte der Einrichtung einer Palästinensischen Autonomiebehörde in einem Teil der besetzten Gebiete des Gazastreifens und des Westjordanlands zu, die für die Sicherheit Israels verantwortlich gemacht werden sollte. Mit anderen Worten: Die PLO übernahm die Aufgabe der Überwachung ihres eigenen Volkes im Austausch für das Scheinbild eines palästinensischen Halbstaates, der auf allen Ebenen von der Willkür Israels abhängig ist. Die Einigung wurde unter der Schirmherrschaft der arabischen Regime, der „Freunde“ Palästinas und des US-Imperialismus erzielt.

Die Oslo-Abkommen stellten einen Wendepunkt in der Situation dar und begünstigten den Untergang des palästinensischen Widerstands. Die Hamas war die einzige bedeutende palästinensische Kraft, die sich den Abkommen widersetzte. So reiften die giftigen Früchte des vom US-Imperialismus gesteuerten sogenannten Friedensprozesses heran, der bis heute den Rahmen des israelisch-palästinensischen Konflikts prägt.

SCHLIESS DICH DEN KOMMUNISTEN AN!

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