Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine mussten viele im Westen eine bittere Wahrheit anerkennen: Kriege sind keine Sache der Vergangenheit, auch nicht in Europa. Gleichzeitig warnten bürgerliche Medien und Politiker davor, dass Wladimir Putin eines Tages auch Deutschland angreifen könnte.
Laut einer Umfrage der Friedrich-Naumann-Stiftung aus dem Jahr 2024 betrachten 63% der Deutschen Russland als „eine große militärische Bedrohung“ für die Sicherheit in Deutschland und 79% denken, dass die Sicherheitsrisiken für Deutschland zunehmen. Ausgehend davon ist es kein Wunder, dass die Rolle der NATO als vermeintliches Verteidigungsbündnis wieder in den Vordergrund rückt. Bei einer genaueren Betrachtung offenbart sich diese aber als Lüge.
NATO-Imperialismus marschiert gen Osten
Ein Blick in die Geschichte der NATO reicht aus, um ihren wahren Charakter zu offenbaren. Ein Beispiel hierfür ist die Expansion der NATO in den osteuropäischen Raum, der zuvor dem Hegemoniebereich der Sowjetunion angehörte. Allein zwischen 1999 und 2004 wurden zehn Länder des ehemaligen Ostblocks Teil der NATO.
Man darf dabei nicht vergessen, dass zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung westliche Politiker unzählige Versprechungen machten, dass die Sicherheitsinteressen der damaligen Sowjetunion nicht beeinträchtigt werden würden. James Baker, damaliger Außenminister der USA, sagte beispielsweise zum sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, dass sich „die militärische Zuständigkeit der NATO nicht einen Zoll nach Osten ausweiten wird“.
Die massive Ausdehnung der NATO beruhte auf dem Umstand, dass sich Russland nach dem Fall des Stalinismus in einem vorübergehenden Zustand der Schwäche befand. Dieser sollte aber nicht für die Ewigkeit sein. Das zeigte sich im Fall Georgiens, wo Russland 2008 erfolgreich einen kurzen, scharfen Krieg führte, um dessen Beitritt zur NATO zu unterbinden. Hierbei ging es aber nicht nur um Georgien selbst, sondern insbesondere darum, die drohende Einkreisung Russlands durch den westlichen Imperialismus zu unterbinden.
Westen zieht Ukraine in seine Einflusssphäre
Die Ambitionen des Westens, den eigenen Einfluss auszuweiten, fanden damit aber kein Ende. 2013 versuchte die EU, die Ukraine mittels eines Assoziationsabkommens näher an sich (und damit auch an die NATO) zu binden. Weil dies in dieselbe Kerbe wie die vorherige Ausweitung der NATO schlug, intervenierte Russland.
Putin machte dem damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch einen besseren Deal als die EU es tat. Dieser entschied sich für Russland und wurde darin vor allem von den ostukrainischen Teilen der herrschenden Klasse unterstützt, die wirtschaftlich mehr an Russland als an den Westen gebunden waren.
Aus Sicht des Westens war das jedoch die falsche Entscheidung. Bereits im Vorfeld pumpten die USA Geld in die Ukraine, um den Boden für zukünftige Erfolge zu bereiten. Victoria Nuland, damalige Diplomatin der USA für Europa und Eurasien, gab dies bei einer Rede selbst zu: „Wir haben mehr als 5 Milliarden US-Dollar in […] Ziele investiert, die für eine sichere und wohlhabende und demokratische Ukraine sorgen werden.“ Im Sprech des westlichen Imperialismus heißt das nichts anderes, als dass die westliche Einflusssphäre sich fortan auch auf die Ukraine erstrecken soll.
Als dies über den diplomatischen Weg nicht ging, unterstützte der Westen die Euromaidan-Bewegung 2013/2014 und organisierte einen Putsch gegen Janukowitsch. An dessen Stelle wurde ein pro-westliches Regime installiert – eine weitere Grenzüberschreitung gegenüber Russland. Als Reaktion darauf annektierte Putin die Krim und unterstützte die separatistischen Rebellen im Osten der Ukraine.
Ukraine wird Kriegsschauplatz
In den folgenden Jahren wurde die Ukraine als Grenzstaat zu Russland von den westlichen Mächten hochgerüstet und kriegstauglich gemacht, während mit Mazedonien und Montenegro zwei weitere Staaten, die ehemals der russischen Einflusssphäre angehörten, in die NATO aufgenommen wurden.
Der Druck ließ hiernach aber nicht nach, ganz im Gegenteil: 2021 wurde mit „Defender-Europe 21“ eine massive multinationale Militärübung unter Führung der USA veranstaltet, an der auch die Ukraine teilnahm. Ziel war es, „strategische und operationelle Bereitschaft sowie Zusammenarbeit zwischen den USA, NATO-Verbündeten und Partnernationen aufzubauen“. In welchem anderen Szenario als einem Krieg mit Russland sollte eine derartige Zusammenarbeit zwischen Ukraine und NATO realistisch eintreten?
Das war auch den russischen Imperialisten klar, die als Reaktion darauf eigene Truppenübungen durchführten. Daher stellte Russland Forderungen an den Westen, die im Kern eine Reihe von Sicherheitsgarantien darstellten, darunter auch ein Stopp der NATO-Osterweiterung. Eine diplomatische Einigung an dieser Stelle hätte den folgenden Krieg verhindert. Doch so sollte es nicht kommen.
Auch wenn nie die Absicht bestand, die Ukraine wirklich in die NATO (oder in die EU) einzugliedern, hielten ihr die westlichen Imperialisten fortwährend diesen Köder vor die Nase. Gleichzeitig weigerte sie sich, auch nur ansatzweise auf die Forderungen Russlands einzugehen. Für den russischen Imperialismus ergab sich somit nur ein Ausweg, um nicht noch weiter umzingelt zu werden: den Angriff auf die Ukraine.
Wir fragen nicht danach, wer den ersten Schuss abgegeben hat, sondern wie es zu dem zugrundeliegenden Konflikt gekommen ist. Beim Ukraine-Krieg liegt die Schuld vorrangig beim Westen und dort in erster Linie bei den USA. Das liegt nicht daran, dass diese im Gegensatz zu anderen Mächten besonders böse wären, sondern ausgehend vom konkreten Kräftegleichgewicht viel eher in der Lage sind, offensiv zu agieren. Wäre das Kräfteverhältnis ein anderes, wären auch die Rollen anders verteilt.
Tatsächlich gab es bereits in der Frühphase des Ukraine-Kriegs fortgeschrittene Verhandlungen über einen Frieden. Diese wurden jedoch vom Westen sabotiert. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich bot sich hier die einzigartige Gelegenheit, Russland zu schwächen, ohne auch nur einen einzigen eigenen Soldaten zu verlieren. Dass im Zuge dessen hunderttausende Ukrainer getötet und das Land verwüstet werden würde, war den USA ein akzeptabler Preis.
Aufrüsten für den Frieden?
Selbst, wenn man die Vergangenheit außer Acht lässt und nur die Gegenwart betrachtet, ist es nur schwer möglich, die NATO als rein defensiven Zusammenschluss zu charakterisieren. Trotz ihrer bereits bestehenden militärischen Dominanz, vor allem in einem hypothetischen Verteidigungsfall, rüstet sie massiv auf.
US-Präsident Donald Trump fordert von allen NATO-Mitgliedsstaaten die Erhöhung des Verteidigungshaushalts vom bisherigen Zwei-Prozent-Ziel auf 5% des BIPs. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) übt sich in Bescheidenheit und will für Deutschland lediglich 3,5% festlegen. Es ist klar zu erkennen, dass das Ziel nicht nur ist, sich gegen irgendwelche Bedrohungen zu verteidigen, sondern auch selbst offensiv agieren zu können. Und nicht nur das – Aufrüstung auf der einen Seite provoziert natürlich auch Aufrüstung auf der anderen Seite.
Der Hauptfeind steht im eigenen Land!
All das zeigt eine Sache deutlich auf: Die NATO ist kein Verteidigungsbündnis, sondern ein Zusammenschluss verschiedener Imperialisten unter Führung der USA. Zur Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen nimmt sie es in Kauf, (Stellvertreter-)Kriege zu provozieren und unzählige Unschuldige in den Tod zu schicken.
Wer wirkliche Sicherheit haben will, darf sich nicht auf die NATO stützen, sondern muss gegen sie kämpfen. Das darf aber nicht aus einer Perspektive der „Multipolarität“ – also der Unterstützung anderer Imperialisten – erfolgen, sondern auf dem Standpunkt des proletarischen Internationalismus.
Nur mit internationalem Klassenkampf können wir der Parole Karl Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ die notwendige Wirkmacht verleihen, um Kriege endgültig aus der Welt zu schaffen. Nur mit der sozialistischen Weltrevolution wird endlich Frieden einkehren!