Hunderttausende Beschäftigte haben 2025 gestreikt: bei der Post, in Krankenhäusern, bei der Bahn, an Flughäfen, in Metallbetrieben. Die Welle war da – aber die Resultate? Kompromisse, Reallohnverluste, Enttäuschung. Und jedes Mal spielte die Schlichtung eine zentrale Rolle.
Bereits ab 1923 regelte die Weimarer Republik Schlichtungsverfahren gesetzlich, ab 1926 mit dem Arbeitsgerichtsgesetz. SPD-Arbeitsminister Rudolf Wissell setzte auf „sozialen Ausgleich“ der Klassen, doch faktisch wurden Streiks per Schlichtung in die Niederlage geführt. Die Kontrolle ging an staatlich eingesetzte Gremien, oft dominiert von Beamten und Unternehmern.
Nach 1945 übernahm die BRD dieses Modell: Das Tarifvertragsgesetz von 1949 ermöglichte freiwillige Schlichtungsabkommen – insbesondere im öffentlichen Dienst und der Industrie. Friedenspflicht während der Schlichtung bedeutete faktisch: Streikverbot.
Seit den 1980er Jahren wurde diese Praxis verschärft. Im Namen des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“ wird Lohnverzicht als patriotische Pflicht verkauft – während Profite ungebremst steigen. Unter SPD-Kanzler Helmut Schmidt wurden Lohnzurückhaltung für „Wettbewerbsfähigkeit“ Alltag, der DGB passte sich an. Schlichtung wurde Routine, Streiks wurden systematisch beendet, Niederlagen als „Kompromiss“ verkauft.
Was wie ein neutrales Vermittlungsverfahren klingt, ist in Wirklichkeit ein zentrales Instrument zur Entschärfung von Klassenkämpfen – durch Demobilisierung, Delegitimierung und Disziplinierung.
Was passiert bei einer Schlichtung?
Wenn die Bosse die Tarifforderungen ablehnen und die Verhandlungen scheitern, schlägt meist die Unternehmerseite eine Schlichtung vor. Eine „unabhängige“ Kommission – zwei politische Schlichter – erarbeitet einen Vorschlag. Sobald dieser Prozess beginnt, gilt Streikverbot. Die Kontrolle über den Kampf wird den Arbeitern entzogen und einem intransparenten, elitär besetzten Gremium übergeben. Doch genau in diesem Moment – wenn Streiks wirken, der Druck steigt, die Medien berichten – liegt die reale Macht bei den Beschäftigten. Und gerade diese Kraft wird durch Schlichtung unterbrochen.
Die angebliche „Neutralität“ ist eine Illusion. Schlichter wie Roland Koch (CDU) oder Ex-Beamte aus SPD-Ministerien vertreten nicht „das Volk“, sondern den bürgerlichen Staat. Unternehmer öffnen keine Bücher, behaupten aber, sie könnten nicht zahlen – und die Schlichtung übernimmt diese Behauptung ungeprüft. Das Verfahren ist nicht öffentlich, nicht demokratisch kontrolliert, nicht transparent.
Wie die Schlichtung 2025 kämpfende Belegschaften entwaffnete
Die Schlichtung erzeugt den Anschein eines Gleichgewichts, wo in Wahrheit die Arbeiterklasse gerade im Vorteil ist. Sie tarnt den Reallohnverlust als fairen Kompromiss, entpolitisiert den Arbeitskampf und liefert der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsführung eine willkommene Ausrede, ihn abzubrechen, ohne offen Verantwortung für die Niederlage zu übernehmen.
Ein Blick auf die Schlichtungsergebnisse 2025 zeigt: Überall dasselbe Muster – Mobilisierung von unten, Zugeständnisse nach oben, Reallohnverluste am Schluss.
In der Metall- und Elektroindustrie einigte sich die IG Metall mit den Unternehmerverbänden nach langem Tauziehen auf +5,5% über 25 Monate: 2% ab April 2025, weitere 3,1% ab April 2026 – dazu eine Einmalzahlung von 600 Euro. Gefordert wurden ursprünglich 7% für 12 Monate. Bei einer kumulierten Teuerung von über 22% seit 2019 bedeutet das: ein klarer Reallohnverlust.
Bei der Deutschen Post, trotz massiver Streikbereitschaft und lahmgelegter Zentren im Frühjahr, brachte das Schlichtungsverfahren ebenfalls nur einen mageren Abschluss: 2% mehr Lohn ab April 2025, weitere 3% ab April 2026, ein zusätzlicher Urlaubstag. Von struktureller Verbesserung keine Spur. Auch hier lautete die ursprüngliche Forderung: 7% mehr Lohn auf 12 Monate plus drei Urlaubstage.
An den Flughäfen, wo das Bodenpersonal sichere Dienstpläne, mehr Personal und bessere Nachtzuschläge forderte, kam es zu spontanen Streiks in Frankfurt und München. Das Medienecho war groß, die Kampfbereitschaft ebenso. Doch auch hier: Schlichtung. Das Ergebnis? Zwei kleine Entgelterhöhungen (April 2025, Mai 2026), einige Zulagen für Schichtarbeit, ein zusätzlicher Urlaubstag – allerdings erst ab 2027. Von echter Entlastung oder mehr Personal keine Rede. Stattdessen mehr „Flexibilisierung“ auf dem Rücken der Arbeiter.
Die Frage ist nicht: Wie „fair“ war der Kompromiss? Sondern: Warum wurde der Kampf im Moment der Stärke abgebrochen? Warum entscheiden nicht die Streikenden selbst? Warum wird immer wieder auf das „neutrale“ Gremium verwiesen, statt sich auf die eigene Kraft zu stützen?
Die Antwort liegt auf der Hand: Die Schlichtung ist ein politisches Instrument der Herrschenden. Der Druck von unten war da – die Beschäftigten waren kampfbereit. Doch statt die Stärke zu nutzen, wurde der Arbeitskampf durch die Schlichtungen systematisch abgebrochen: im Namen eines angeblich „gesamtgesellschaftlichen Interessenausgleichs“, eingebettet in die Logik der Standortverteidigung.
Die Fesseln der Sozialpartnerschaft brechen
Manche sagen: „Die Gewerkschaftsführung will halt nicht kämpfen.“ Ja, aber die Frage ist, warum. Es ist nicht allein persönliches Versagen, sondern eine politische Logik – die der Sozialpartnerschaft. Dahinter steht die Illusion, dass Kapital und Arbeit sich am Verhandlungstisch einigen könnten. Doch in der Realität ist jeder Verzicht der Arbeiterklasse ein Sieg fürs Kapital.
Die Bürokratie handelt so, weil sie gelernt hat, zu vermitteln – nicht zu kämpfen. Ihr Horizont endet dort, wo der offene Konflikt beginnt. Deshalb gibt es keine Streikversammlungen, keine gewählten Delegierten, keine echte Debatte über Schlichtung.
In vielen Betrieben herrscht Enttäuschung. Der Unmut über die passiv abnickende Führung wächst spürbar. 69% im Gesundheitswesen lehnten das Schlichtungsergebnis ab, 84% sagen: Unsere Führung ist nicht mehr glaubwürdig.
Die Wut an der Basis ist Ausdruck einer tiefer werdenden Kluft zwischen der wachsenden Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse und einer Gewerkschaftsführung, die an die Logik der Sozialpartnerschaft gebunden ist.
Die Aufgabe der Kommunisten ist es, diesen Widerspruch nicht nur zu benennen, sondern eine Alternative aufzuzeigen für eine kämpferische, demokratische Gewerkschaftsbewegung, die sich auf die Kraft der Klasse stützt und mit der Logik der Sozialpartnerschaft bricht.
Die Schlichtung ist ein Herrschaftsinstrument in Klassenkämpfen, sie ist Klassenpolitik von oben. Wir müssen sie nicht akzeptieren, sondern mit einem kämpferischen Programm beantworten:
• Offene Versammlungen, auch während der Friedenspflicht – damit der Kampf nicht hinter verschlossenen Türen entschieden wird.
• An jedem entscheidenden Schritt braucht es offene demokratische Diskussion in Betriebsversammlungen sowie bindende Abstimmungen durch alle Beschäftigten über die nächsten Schritte.
• Kein Streikverbot durch Schlichtung – das Streikrecht ist unverhandelbar!