Erstmals seit dem kalten Krieg sollen in Deutschland wieder US-Mittelstreckenraketen stationiert werden. Laut Boris Pistorius (SPD) soll das nur zur Abschreckung dienen, was jedoch zu Recht die allgemeine Angst vor einem Krieg in Europa befeuert.
In der Presse werden nun Vergleiche über die US-Mittelstreckenraketen Stationierungen im Zuge des NATO-Doppelbeschluss in den 1980er Jahren gemacht. Auch damals war ein Großteil der Arbeiterklasse und Jugend gegen die geplanten Stationierungen in Deutschland.
Die Stimmung war von der Angst vor einem dritten Weltkrieg und atomaren Konflikten geprägt. Steigende Rüstungsausgaben, deren Kosten auf die Arbeiterklasse abgewälzt wurden, verstärkten diese Angst. Es kam zu massiven Kürzungen im Sozialbereich. Die allgemeine Angst vor einer Wirtschaftskrise ging einher mit der Angst vor wachsender Massenarbeitslosigkeit.
Die Friedensbewegung und die Gewerkschaften
Unabhängig von den Gewerkschaften entstand eine neue Friedensbewegung gegen das atomare Wettrüsten, die viel Sympathie erhielt. Vier Millionen Menschen unterzeichneten 1980 den Krefelder Appell, der die Bundesregierung aufforderte, die Raketenstationierungen zu stoppen. 1983 kamen allein in Bonn 500.000 Menschen zusammen, und in Baden-Württemberg reichte eine Menschenkette von Stuttgart bis Neu-Ulm.
Teile der DGB-Führung versuchten sich bewusst von der Bewegung zu distanzieren und stellten sich selbst als Friedensbewegung hin. So verkündete der DGB-Vorsitzende Heinz Vetter zum Antikkriegstag am 1. September 1981: „Gewerkschaftsbewegung ist immer Friedensbewegung.“ Unter Druck aus der Basis stimmten sie zwar auf dem 12. DGB-Bundeskongress gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen. Jedoch blieb es größtenteils bei Apellen für Frieden und gegen Aufrüstung an die Bundesregierung. Die DGB-Führung versuchte die Bewegung zu spalten und ihr die Kampfkraft zu entziehen, indem sie eigene Aktionen außerhalb der Friedenswoche plante.
Arbeiter für Rüstungskonversion
In den Rüstungsbetrieben stellte sich die Frage anders. Für die Arbeiter dort war die Frage der Aufrüstung direkt an ihre Arbeitsplätze geknüpft. Wie konnte man für Frieden sein und gleichzeitig Fregatten oder Panzer produzieren? Ausgehend von dieser Frage gründeten Arbeiter und Gewerkschafter der IG Metall Arbeitskreise zum Thema „Alternative Produktion“. Sie wurden inspiriert durch ihre Kollegen des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace. Da die Labour Regierung die Rüstungsausgaben einschränken wollte, befand sich die britische Rüstungsindustrie in einer tiefen Krise. Aufgrund der sinkenden Profite standen massive Entlassungswellen an. Da aber auch die Arbeiter die Berechtigung für die Produktion von Rüstungsgütern angesichts des Wettrüstens in Frage stellten, entwickelten sie Konzepte für die Produktion von gesellschaftlich nützlichen Produkten.
Die IG Metall-Arbeitskreise forderten nun auch in deutschen Betrieben die Sicherung von Arbeitsplätzen durch die Umstellung auf gesellschaftlich nützliche Produktion. Da ihnen bewusst war, dass ihre Bosse entscheiden, was produziert wird, forderten sie auch eine Ausweitung ihrer betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten.
So konkretisierten die Arbeitskreise die allgemein gehaltenen Abrüstungsforderungen der Gewerkschaften und stellten sich gleichzeitig auf die Seite der Friedensbewegung. Das geschah zu der Zeit, in der der IG Metall Vorstand noch darauf bestand, sich von dieser abzugrenzen.
Aus den Arbeitskreisen entstanden deutschlandweit hunderte, teilweise bis ins Detail ausgearbeitete Vorschläge. Die Arbeiter wussten zum einen, was sie selbst in der Lage waren zu produzieren. Zum anderen diskutierten sie zusammen mit Experten aus der Friedensforschung über Alternativen zur Rüstungsproduktion und holten sich in einigen Betrieben durch Fragebögen das kollektive Wissen ihrer Kollegen ein.
Mit den Vorschlägen aus den Arbeitskreisen belegten sie, dass es genügend alternative Produkte gab. Sie zeigten auf, dass sie Blockheizkraftwerke produzieren können anstelle von Kriegsschiffen. Statt Kampfflugzeuge wollten sie Luftschiffe bauen, die geeignet waren, Umweltverschmutzer auf den Meeren aufzuspüren. In einem anderen Rüstungsbetrieb haben die Arbeiter Triebwagen für die Bundesbahn konzipiert, die manchen Schienenweg wieder einsetzbar gemacht hätten.
Soziales statt Aufrüstung
Einige Betriebe, wie die Arbeiter des Stahlkonzerns Hoesch, bildeten betriebliche Friedensinitiativen und brachten die Forderung nach Arbeitsplätzen und Abrüstung in Verbindung mit Investitionen in die soziale Infrastruktur. Sie lehnten die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen ab und forderten neben dem Erhalt der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie auch Investitionen von 50 Milliarden D-Mark in die soziale Infrastruktur, finanziert aus den Geldern des Rüstungshaushalts.
Auch weitere Arbeiter im Ruhrgebiet stellten die Rüstungsausgaben mit denen für Soziales gegenüber. Ein Betriebsratsmitglied im Bochumer Opel Werk rechnete beispielsweise aus: „Für die von der Bundeswehr bestellten 322 Tornados könnte man 200.000 Sozialwohnungen, für eine Fregatte 31 Schwimmhallen bauen.“ Die Friedensinitiativen des Ruhrgebiets versuchten so, ihre Forderungen mit der Friedensbewegung zu verknüpfen.
Fünf Minuten Arbeitsruhe
Innerhalb der Gewerkschaften nahm die Diskussion über das Wettrüsten zu. Aus verschiedenen Gewerkschaftsgliederungen, insbesondere der IG Metall Jugend, nahmen die Forderungen nach Streik als politischem Kampfmittel zu, um die Raketenstationierungen zu verhindern. Der Druck auf die Gewerkschaftsführung stieg an. Die DGB-Führung lehnte solche Streiks jedoch entschieden ab und erklärte sie als rechtswidrig, da sie nicht direkt die Arbeitsbedingungen oder Lohnforderungen betroffen hätten.
Um dem Unmut einen Ausdruck zu geben, rief der DGB zu fünf Mahnminuten auf und appellierte so symbolisch an die USA und Sowjetunion, ihre Friedensverhandlungen erfolgreich abzuschließen. Diesem Aufruf folgten Millionen von Arbeitern, was zeigt, dass ein enormes Mobilisierungspotenzial vorhanden gewesen wäre. Statt darauf zu setzen und einen ernsthaften Kampf zu führen, lenkte die Gewerkschaftsführung die Bewegung für die Herrschenden in sichere Bahnen.
Klassenkampf statt Klassenkollaboration
Für die Gewerkschaften gab es sehr viele Möglichkeiten, die Kämpfe, gegen die Sparpolitik und Stellenabbau, Aufrüstung und für Frieden miteinander zu verbinden. Sie hätten dem Wettrüsten die Macht der Arbeiterklasse entgegensetzen können. Sie ist es, die allen Reichtum der Welt produziert. Ohne ihren Willen können Waffen weder hergestellt noch geliefert werden. Wenn die Arbeiterklasse streikt, steht alles still. Somit ist sie die einzige Klasse, die gegen die Profitgier der Herrschenden und für Frieden kämpfen kann. Doch die DGB-Führung setzte nicht auf diese Kraft und trug so die Politik der Kapitalistenklasse und ihrer Vertreter mit.
Obwohl die Gewerkschaftsführung die Bewegung ausbremste, war der Druck der Massen enorm. Das konnte weder von der herrschenden Klasse in Deutschland noch der USA ignoriert werden. Die Friedensbewegung mobilisierte Massen und die Diskussionen in den Betrieben um Rüstungskonversion stellten unausgesprochen die Machtfrage. Unter diesem Druck mündeten die Friedensverhandlungen zwischen USA und Sowjetunion in den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty), der die Abrüstung nuklearer Mittel- und Kurzstreckenraketen vorsah.
Nach dem Beschluss flaute auch die Friedensbewegung ab. Die Vorschläge der Arbeiter in den Rüstungsbetrieben kursierten weiterhin in den Gewerkschaftsgremien, jedoch gab es keinen ernsthaften Versuch sie umzusetzen.
Die Arbeiterbewegung hat auch heute die Aufgabe gegen die Profitgier und Kriegstreiberei zu kämpfen. Denn in Deutschland sollen hunderttausende Stellen gestrichen werden, ob bei Thyssenkrupp oder VW. Die Gewerkschaften können alle diese Kämpfe zusammenführen, wenn sie sich auf ein anti-imperialistisches Programm gegen Krieg, Aufrüstung, Kürzungspolitik und Stellenabbau einigen.