Warum ist „woke“ nicht mehr en vogue? 

Die Rückkehr Donald Trumps und der Aufstieg rechter Parteien in Europa zeigen: Ein großer Teil der Bevölkerung wendet sich angewidert vom liberalen Establishment ab. Zurecht nehmen die Massen besonders Identitätspolitik als Feindbild wahr. Sie steht für Heuchelei und kosmetische Korrekturen an einem System, das sich immer schwerer legitimieren lässt.  

Die AfD nutzt das geschickt – als Partei der „Vergessenen“ gegen die woken, bürgerfernen Establishment-Politiker. Diese Bühne wird ihr von der Linkspartei überlassen, die sich selbst in den Kulturkampf verstrickt, anstatt den berechtigten Zorn der Massen mit Klassenpolitik gegen das Establishment und die Rechten zu wenden. 

Fragmentiert in der Einzelverantwortung 

Wokeness, politische Korrektheit, Förderquoten – all das entspringt der Identitätspolitik, die in den 1960er- und 70er-Jahren entstand. Nach dem Ende des Nachkriegsaufschwungs wurden revolutionäre Bewegungen durch ihre reformistischen und stalinistischen Führungen ausgebremst. Ein Bruch mit dem Kapitalismus blieb aus und Demoralisierung trat ein.  

Gleichzeitig verlor der Marxismus an ideologischer Anziehungskraft: Der Stalinismus hatte ihn auf eine Karikatur reduziert, in der alles auf ökonomische Unterdrückung einseitig verkürzt wurde – während soziale Diskriminierung unbeachtet blieb. 

Viele Akademiker und Aktivisten verlagerten infolgedessen den Fokus von Klassenfragen auf Identitätsmerkmale wie Geschlecht oder Hautfarbe. Klasse wurde zur „weiteren Identität“ degradiert – nicht zur grundlegenden Trennlinie der Gesellschaft. 

Die Unterdrücker sind demnach immer die, die der marginalisierten Gruppe nicht angehören: Männer, Weiße, Heterosexuelle – zum Beispiel „Manspreader“ oder „Karens“. Unterdrückung gilt als individuelle Erfahrung: Jede Gruppe habe ihre „eigene Realität“, nur Betroffene könnten Diskriminierung „richtig“ erfassen.  

Ein Vertreter einer unterdrückten Gruppe kann für sich beanspruchen, „für die eigene Gruppe zu sprechen“. Der „Girlboss“-Feminismus zum Beispiel fördert Diversität in Vorstandsetagen, nicht Gleichheit. Klassengegensätze zwischen weiblichen Chefs und Arbeiterinnen oder zwischen einem schwarzen CEO und seinen Angestellten bleiben außen vor. 

Marge oder Moral? 

Identitätspolitik wird vom Establishment aufgegriffen, weil sie die Arbeiterklasse spaltet und sie mit harmlosen Zugeständnissen beschwichtigen kann. Bewegungen wie #MeToo oder Black Lives Matter wurden integriert – ohne die sozialen Ursachen von Ungleichheit zu berühren. Vielfalt wurde zur PR-Strategie, während Arbeitsbedingungen schlecht bleiben und die Unterdrückung weiter anhält. 

Trumps jüngstes Verbot sogenannter DEI-Programme („Diversity, Equity, Inclusion“) in den USA sorgte im deutschen Establishment für Empörung. Diese Programme galten lange als greifbares Symbol identitätspolitischer Reformversprechen – nun werden sie in bedeutenden Konzernen wie Meta oder Amazon gestrichen. Auch in Deutschland zeigt das Folgen: Der Berliner CSD geriet wegen ausbleibender US-Sponsoren in finanzielle Not. 

Was einst als „Bekenntnis zu Werten“ verkauft wurde, fällt nun dem Stimmungsumschwung in den Vereinigten Staaten zum Opfer. Jetzt zeigen viele Unternehmen offen: Es ging ihnen nie um Vielfalt. Ein US-Banker etwa gab sich gegenüber der Financial Times erleichtert, dass man nun wieder sagen könne, „was man wirklich denkt“ – etwa mit Wörtern wie „Pussy“ oder „Retard“. 

Deutsche Konzerne reagierten zwar entsetzt auf Trumps Verbot, doch weniger aus Überzeugung als aus Kalkül. In der EU sind sie gesetzlich zur Gleichbehandlung verpflichtet – ein vollständiger Rückzug aus DEI-Initiativen im Ausland würde ihre angebliche Werteorientierung als hohle Fassade entlarven. Dennoch haben Unternehmen wie VW und SAP ihre Programme in den USA bereits zurückgefahren, um ihre Geschäfte dort nicht zu gefährden. 

Was heute noch als zähneknirschendes Zugeständnis an Trump erscheint, kann morgen schon in eine reaktionäre Gegenbewegung umschlagen. Wenn sich die Stimmung in Deutschland weiterdreht, werden dieselben Unternehmen bereitwillig den Kulturkampf von rechts mitführen. Um ihre Profite zu sichern, werden sie jeden Schwenk mitmachen. DEI war nie mehr als Fassade, nie mehr als Imagepflege ohne Substanz. 

Identitätspolitik webt der AfD den roten Teppich 

Trump, AfD & Co. inszenieren sich als Anti-Establishment-Kräfte, indem sie gegen Wokeness auftreten. Sie greifen reale Probleme wie explodierende Mieten oder fehlende Kitaplätze auf, leiten sie aber in migrationsfeindliche Bahnen. So wird soziale Wut in den Kulturkampf umgelenkt, strukturelle Ursachen bleiben im Dunkeln. 

In einer sozialen Krise erscheint Identitätspolitik als Bevorzugung einzelner – während sich die eigene Lage verschlechtert. Gerechtigkeit für Minderheiten wird als Ignoranz gegenüber der sozialen Misere der Mehrheit wahrgenommen, die sich zusätzlich verraten fühlen.  

Genau in diesem Licht steht die „feministische Außenpolitik“. Angesichts von Völkermord in Gaza und Krieg in der Ukraine war das moralisierende Auftreten der Ampelregierung elitär und weltfremd. Wer unter Preisexplosionen leidet, empfindet diese Symbolpolitik als blanke Verhöhnung. 

Diese Dynamik verschafft rechten Positionen Zulauf – weniger aus Überzeugung, sondern als Ausdruck des Frusts über soziale Schieflagen. Identitätspolitische Scheinreformen, gerade von denjenigen, die den Lebensstandard seit Jahren angreifen, schüren diesen Hass. 

Repräsentationspolitik als Bumerang 

Die Führung der Linkspartei trägt Mitschuld. Statt dem Klassenkampf neue Schlagkraft zu verleihen, stellt sie sich im Kulturkampf auf die Seite des Establishments. Wenn sie die AfD pauschal als „faschistisch“ brandmarkt, wirkt das auf viele nicht wie ein politisches Argument, sondern wie moralischer Tadel. Wer so adressiert wird, fühlt sich entmündigt – und wandert weiter in die Arme der Rechten. Viele Arbeiter erleben „linke“ Politik daher zurecht als herablassend und abgehoben. 

Woke ist nicht nur das Establishment, sondern auch die Führung der Linkspartei – während Rechte sich als radikale Alternative inszenieren. Nach Trumps Sieg und dem aktuellen AfD-Erfolg dämmert es manchen, welche die Unfähigkeit der moralisierenden Phrasendrescherei beider Seiten durchblickt haben: Wokeness führt in eine Sackgasse. Doch ohne Bruch mit dem Kapitalismus bleibt die Erkenntnis ohne fortschrittliche Wirkung. Im schlimmsten Fall führt sie zur Anpassung an den rechten Kulturkampf, wie die Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht von der Linkspartei zeigt. 

Zeit für Klassenpolitik 

Die Linkspartei erscheint den Massen nicht als Alternative, sondern als moralisches Feigenblatt der herrschenden Ordnung in einer Zeit des Stimmungsumschwungs. Die AfD nutzt dieses politische Vakuum und beutet den Frust der Massen für ihre Zwecke aus.  

Der Gegensatz zwischen Woke und Anti-Woke ist jedoch ein falscher. Beide Lager verteidigen denselben Kapitalismus: Die einen mit Schulungen zur Diversität, die anderen mit Männlichkeitskult und Remigrationsdebatten. 

Ohne klassenkämpferische Perspektive bleibt Frust über Armut und Entfremdung politisch wirkungslos. Die Ablehnung von Identitätspolitik ist nicht gleichzusetzen mit einem gesellschaftlichen Rechtsruck – oft ist sie Ausdruck echter Sehnsucht nach Veränderung, weil Repräsentation keine Miete zahlt. 

Trump, AfD & Co. glauben, den Kulturkampf dauerhaft für sich nutzen zu können. Doch ihre Antworten sind so hohl wie die der liberalen Gegenseite. Beide Fraktionen haben Sozialabbau durchgesetzt, Kriege mitgetragen und betreiben rassistische Migrationspolitik.  

Die Identitätspolitik hat keine ihrer Versprechen eingelöst und die sozialen Verwerfungen werden zunehmen. Damit wächst auch die Chance auf klassenkämpferische Gegenwehr. Nicht über Lifestyle, Sprache oder Hautfarbe, sondern über die gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse: gegen die Profitgeier, ihre Medien und ihren Staat. 

Marxisten lehnen Unterdrückung nicht aus Moral ab – sondern weil jede Unterdrückung das System der Ausbeutung stützt und die Einheit der Arbeiterklasse untergräbt. Förderquoten sind billig. Es braucht keine neue Repräsentation – sondern einen Bruch mit der Herrschaft des Kapitals. 

SCHLIESS DICH DEN KOMMUNISTEN AN!

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