Die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu wenige Monate vor den Wahlen hat die größten Demonstrationen seit der Gezi-Protestwelle von 2013 ausgelöst. Die Festnahme fällt in eine Phase tiefer innenpolitischer Krise in der Türkei: Inflation von 38% im April 2025, Mindestlohn unter dem Hungergrenzwert, 30% junger Menschen leben in Armut. Über 15 Millionen Menschen unterstützen eine Petition zu seiner Freilassung – 13 Millionen davon sind keiner Partei zugehörig.
Die Proteste zeigen das tiefe Bedürfnis nach Demokratie und einem Ende der Repression. Doch viele bleiben parteilos – keine Kraft bietet eine echte Lösung. Die Wut der Massen kann organisiert und das Erdoğan-Regime zu Fall gebracht werden, wenn ein bewusster Kampf gegen die Ursachen der Krise geführt wird.
CHP: Eine falsche Alternative zur AKP
Die „Republikanische Volkspartei“ (CHP) und ihre Führung nutzen die Bewegung hingegen nur, um selbst an den Zügeln der Macht zu kommen. İmamoğlu steht als Bauunternehmer für dieselbe korrupte Elite, die vor Erdoğan mit der CHP den Staat autoritär regierte. In den 1990ern war sie tief verstrickt in Skandale, Vetternwirtschaft und Machtkämpfe, während Millionen in Armut abrutschten.
Genau in dieser Situation inszenierte sich Erdoğan als moralischer Gegenpol: als Sohn eines Straßenhändlers, fromm, bodenständig. Mit dieser Rhetorik gegen die alte politische Kaste – insbesondere gegen die CHP – kam er an die Macht. Doch heute ist er selbst der autoritäre Ausdruck eben jener kapitalistischen Ordnung, die er vorgab zu bekämpfen. Deswegen lehnen viele Erdoğan ab – doch ebenso trauen viele der bürgerlichen Opposition nicht zu, das Land zum Besseren zu verändern.
Linkes Lager: Kandidatenverzicht statt Klassenkampf
Ohne klassenpolitische Alternative bleibt die Arbeiterklasse politisch entwaffnet. Das linksgerichtete Parteienlager um die sogenannte „sozialistisch-marxistische“ TİP und die „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) stellen für die kommenden Wahlen keine eigenen Kandidaten in wichtigen Großstädten auf, um CHP-Kandidaten wie İmamoğlu zu stärken und deckten dabei ohne Kritik die chauvinistische und bürgerliche Linie der CHP. Auch wenn TİP und HDP öffentlich gegen die Repression Stellung beziehen, bleiben sie politisch im Schlepptau der CHP und bieten keine Perspektive.
Wie der Widerstand siegen kann
Die Wut ist da, aber die Lehren der Gezi-Bewegung von 2013 machen deutlich: Damit die Bewegung angesichts von Erdoğans brutaler Repression nicht im Sande verläuft, muss sie um eine zentrale Forderung gesammelt werden: „Nieder mit der Repression! Freiheit für alle politischen Gefangenen“ – so treten auch unsere türkischen Genossen in die Bewegung. Diese Losung muss Ausgangspunkt eines klassenkämpferischen Programms sein, das den Kampf gegen Repression mit sozialen Forderungen nach Lohngleitskala, Preisstopps und Arbeiterkontrolle von Schlüsselindustrien verbindet.
Mit einem solchen Programm, das die sozialen Wurzeln der Wut anspricht und tiefgreifende Veränderungen fordert, können jene passive Millionen gewonnen und mobilisiert werden, die weder der AKP noch der CHP vertrauen. Nur so kann die Wut in eine viel größere soziale Kraft verwandelt werden, die fähig ist, das Regime zu stürzen.
Doch dieser Kampf kann nicht auf die Türkei beschränkt bleiben. Die Unterdrückung durch Erdoğans Regime wird mit deutscher Rückendeckung ermöglicht. Deshalb kämpfen wir als RKP auch in Deutschland. Wir entlarven unsere herrschende Klasse, die von Demokratie und Menschenrechten spricht, während sie Waffen an Erdogan liefert, ihn als Bollwerk gegen Flüchtlinge nutzt und seine politischen Gegner verfolgen lässt. Internationale Solidarität beginnt mit dem Kampf gegen die Politik der eigenen Regierung, für eine vereinte Bewegung der Unterdrückten, in der Türkei, in Deutschland und weltweit!