Überraschend ehrlich erhebt sich der deutsche Militarismus aus der Gruft: „Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen?“ oder „Damit unsere Freiheit grenzenlos bleibt. Arbeite mit uns daran.“ ist in bester preußischer Tradition auf den neuen Werbetafeln der Bundeswehr zu lesen.
Seit der russischen Invasion der Ukraine vollzieht sich in Deutschland eine sicherheitspolitische „Zeitenwende“. 100 Milliarden Euro versprach Kanzler Olaf Scholz (SPD) für die Aufrüstung. Jüngst brachte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) sogar eine Rückkehr der Musterung ins Spiel, um Rekruten für das Heer zu gewinnen.
Dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen einem NATO-Land wie Deutschland und Russland kommt, ist allerdings angesichts der Atomwaffen beider Blöcke höchst unwahrscheinlich. In der Tat steckt hinter dem Comeback des Militarismus der aussichtslose Versuch der Bundesrepublik, sich im imperialistischen Konkurrenzkampf zu behaupten.
Außenhandel rückläufig
Was die meisten Menschen seit Monaten spüren, ist jetzt auch offiziell: Deutschland befindet sich in einer ökonomischen Krise. Das zweite Quartal in Folge ist die Wirtschaft nun geschrumpft. Auch für das kommende Halbjahr rechnen bürgerliche Ökonomen nicht mit einer Erholung. Gelang es hierzulande der herrschenden Klasse im Jahr 2008 noch, die Krise zu exportieren, macht dies der Einbruch des Welthandels und der zunehmende Protektionismus heute unmöglich.
Das zeigen schon jetzt die jüngsten Entwicklungen des deutschen Außenhandels. Im März sanken laut Statistischem Bundesamt die Exporte gerade zu den wichtigsten Handelspartnern enorm: Rückgänge gab es im Geschäft unter anderem mit den Staaten der EU (minus 6,2 Prozent), den USA (minus 10,9 Prozent) und China (minus 9,3 Prozent). Zwar stiegen im April die Exporte verglichen zum März insgesamt um 1,7 Prozent. Doch eine tatsächliche Trendwende erwarten bürgerliche Ökonomen nicht. „Der Zuwachs reicht bei Weitem nicht, um den starken Rückgang vom Vormonat einzuholen“, sagt etwa Chefökonom Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank der Deutschen Presseagentur (dpa). Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING, meint bezüglich des deutschen Außenhandels gegenüber der dpa: „Der allgemeine Trend zeigt nach unten und nicht nach oben.“
Wie lässt sich das erklären? Der Kapitalismus befindet sich im Stadium des Imperialismus. Die Monopole und die Staaten, denen sie angehören, konkurrieren auf der ganzen Welt um Rohstoffe, Absatzmärkte, Einflusssphären und vor allem Investitionsmöglichkeiten. So versuchen die Kapitalisten, die Grenzen zu überwinden, die das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Nationalstaat festlegen. Doch auf kurz oder lang setzt sich die Anarchie des Marktes auch auf globaler Ebene durch: Es werden mehr Waren produziert, als zahlungsfähige Nachfrage nach ihnen besteht. Immer wieder entstehen so im Kapitalismus Überproduktionskrisen.
Deutschland zwischen den Stühlen
Eine solche und deren Folgen – die Abkehr vom Freihandel und von der Globalisierung – erleben wir gerade. Die Nationen müssen in der Krise ihre Einflusssphären und Absatzmärkte ihrer Unternehmen schützen beziehungsweise die Konkurrenz schwächen, im Zweifel auch durch Waffengewalt. Der Krieg in der Ukraine – ein Kampf zwischen dem US- und dem russischem Imperialismus – oder der Handelskonflikt der Vereinigten Staaten mit China sind Ausdruck dieser Tendenz.
Deutschland steht bei dieser Neuaufteilung der Welt zwischen den Stühlen. USA und China zählen zu den wichtigsten Handelspartnern der Bundesrepublik. Auch von Russland waren die Kapitalisten hierzulande abhängig. Dessen billiges Öl und Gas waren ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus importierte Deutschland wichtige Rohstoffe aus Russland. Laut des Instituts der Deutschen Wirtschaft bezogen die deutschen Unternehmen zum Beispiel 40 Prozent ihres Bedarfs an Nickel im Jahr 2019 von dort.
Die Bundesrepublik soll führen
Diese Gemengelage hat der herrschenden Klasse in Deutschland vor Augen geführt, dass sie militärisch und wirtschaftlich nicht stark genug ist, ihre eigenen strategischen Interessen im Konkurrenzkampf mit stärkeren Mächten durchzusetzen. Einer ihrer Lösungsansätze lautet daher Aufrüstung. SPD-Chef Lars Klingbeil nennt das Kind beim Namen: „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben“ in Europa und „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik“ ansehen.
Als größte Volkswirtschaft des Kontinents dominiert die Bundesrepublik die EU politisch und wirtschaftlich. Indem Deutschland sich nun auch militärisch an ihre Spitze stellen möchte, will es sich im imperialistischen Kräfteringen mit China, Russland, aber auch den USA behaupten. So setzt sich etwa die SPD als Macher der „Zeitenwende“ in der Bundesregierung dafür ein, einen europäischen Rüstungskomplex aufzubauen, die militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten der EU zu erweitern sowie die europäische Säule in der NATO zu stärken.
Das langfristige Ziel ist, im Zweifel auch ohne oder womöglich gegen die Interessen der USA kriegsfähig zu sein. Wie es im Thesenpapier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ heißt, hätte „insbesondere die Amtszeit von Präsident Donald Trump“ gezeigt, „dass Europa sich souveräner aufstellen und mehr in die eigene Sicherheit investieren muss“.
Regierung sichert den Profit
Dass Regierung, Unternehmen und Banken verschmelzen, um die Interessen der Kapitalisten durchzusetzen, ist ein wesentliches Merkmal des Imperialismus. Nicht nur militärisch soll der deutsche Staat seinen Konzernen zur Seite springen. Etwa forderte Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dass die Bundesrepublik ein Rohstoffministerium einrichtet. Dieses soll den Zugang des deutschen Kapitals zu seltenen Erden, Energiequellen und anderen wichtigen Rohstoffen sichern.
In diesem Kontext ist auch der Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Südamerika zu verstehen. Heil unterzeichnete eine gemeinsame Erklärung mit seinem brasilianischen Amtskollegen Luiz Marinho. Ziel sei es, „faire und vereinfachte Strukturen zu schaffen, um den beidseitigen Fachkräfteaustausch zu fördern“. In einem vor ihrer Reise veröffentlichten Gastbeitrag von Baerbock und Heil in der FAZ hieß es, dass bundesweit 1,7 Millionen Stellen unbesetzt seien und in 200 Berufen Engpässe bestünden. Doch anstatt die Arbeitsbedingungen hierzulande zu verbessern, was an die Profite der Kapitalisten ginge und ein Nachteil im internationalen Konkurrenzkampf bedeuten würde, sichert der deutsche Staat seinen Konzernen die Ausbeutung ausländischer Arbeiter.
In der Ukraine gibt die Bundesregierung deutschen Unternehmen und Banken seit Jahren Investitionsgarantien. Auch während des Kriegs läuft die Förderung weiter. Denn das Land ist bekannt für seinen Rohstoffreichtum und kaum vorhandene Arbeiterrechte. Diesen Wettbewerbsvorteil im internationalen Konkurrenzkampf will sich der deutsche Imperialismus nicht entgehen lassen. So garantiert der Staat Unternehmen Entschädigungen – beispielsweise, wenn ein Fabrikgebäude durch Raketenangriffe zerstört wird. Bei seinem Besuch in der Ukraine ließ Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) durchblicken, was ihm das Geschäft dort wert ist: „Wir können nicht Investitionen in ein Kriegsgebiet absichern. Wenn das zerschossen wird, ist das Risiko zu hoch. Aber hier tun wir das.“
Unaufhaltsamer Niedergang
Die globale Krise des Kapitalismus zwingt den deutschen Imperialismus also in die Offensive. Er muss sich im sich zuspitzenden internationalen Konkurrenzkampf um Rohstoffe, Absatzmärkte, Wettbewerbsvorteile wie billige Arbeitskräfte und Investitionsmöglichkeiten behaupten. Dazu stützt sich die herrschende Klasse in Deutschland auf die EU. Jedoch steigern sich mit der kapitalistischen Krise die ökonomischen Widersprüche zwischen den Mitgliederstaaten der Union – bis zu ihrem Zusammenbruch.
Die Illusionen eines gemeinsamen europäischen Rüstungskomplex und der EU als einheitlichem Machtzentrum werden sich so in Luft auflösen. Zum einen schützt jeder europäische Staat die eigene Rüstungsindustrie. Nationale „Schlüsselkompetenzen“ möchte die Bundesregierung nicht aus der Hand geben. Zum anderen kauft z.B. die polnische Regierung statt Leopard-Panzer aus deutschen Rüstungsschmieden lieber 250 Abrams-Panzer aus den USA und 1000 koreanische Kampfpanzer K-2 Black Panther. Das ist nicht nur ein verlorener Milliardengewinn für die deutsche Rüstungsindustrie, sondern auch eine herausfordernde Ansage an die deutschen Ambitionen auf militärische „Führungsmacht“ in Europa.
Der deutsche Imperialismus steckt also in einer Sackgasse. Auch wenn er jetzt mit dem Säbel rasselt und den „Anspruch einer Führungsmacht“ verkündet, wird er früher oder später zwischen den tatsächlichen Großmächten USA und China zerrieben werden. Durch den Niedergang des deutschen Imperialismus verliert die herrschende Klasse auch die Mittel, mit denen sie sich zuvor den sozialen Frieden erkaufen konnte. Gleichzeitig bedeutet die Aufrüstung eine Verstärkung der Sparpolitik und der Inflation.
Diese Erschütterungen werden der Arbeiterklasse vor Augen führen, dass ihr der Kapitalismus nichts zu bieten hat als Kriege und Angriffe auf ihre Lebensstandards. Der Imperialismus versperrt den Weg zu einer tatsächlichen Globalisierung und solidarischer internationaler Zusammenarbeit im Interesse der Arbeiterklasse. Um dorthin zu kommen, muss der Kapitalismus in Deutschland und weltweit gestürzt werden.