Deutschland soll wieder Großmacht werden. Die bürgerlichen Parteien und Strategen verfolgen dieses Programm schon lange. Aber aus Furcht vor dem Klassenkampf sind sie dabei bisher eher kleine Schritte gegangen. Im letzten Jahr kam ihnen die SPD-Bundestagsfraktion dann wieder mal zur Hilfe und setzt das Programm des deutschen Imperialismus voll um.
Anfang der 2000er hatte die Arbeiterklasse die Agenda 2010, Hartz IV und Riesterrente zu schlucken – vom deutschen Kapital bestellt, von der Kohl-CDU geplant und vom SPD geführten Kabinett Schöder zusammen mit den Grünen gewürzt und serviert.
Jetzt vollendet die SPD-geführte „Fortschrittskoalition“ (Rot-Grün-Gelb) die militärische Zeitenwende. Sie ist der vorläufige Gipfel eines von deutschen Militaristen über Jahrzehnte verfolgten Strategiewechsels, mit dem Ziel, die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee zu machen, die „weltweit im Einsatz“ sein kann (Weißbuch 2006). Seit den 2010ern wird sie für einen konventionellen Krieg gegen Russland umgerüstet.
Deutschland kann wieder Krieg
Den großen Anfang machte die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) – einst ein viel geachteter Mann in bürgerlichen Kreisen. Die Bundeswehr war im (wohlgemerkt völkerrechtswidrigen) imperialistischen Krieg der NATO gegen Jugoslawien ab 1998 im Einsatz. Bis heute sind Bundeswehrsoldaten als Teil der Kosovo-Truppe (NATO) in dem halbkolonialen Land stationiert.
Der nächste Schritt wurde dann 2002 – erneut unter Rot-Grün – mit der Beteiligung am imperialistischen Krieg gegen Afghanistan vollzogen. Wie schon vorher in Jugoslawien, richteten die deutschen Streitkräfte gemeinsam mit den NATO-Verbündeten Blutbäder und Verwüstung an. Schönrednerisch verklärte der Verteidigungsminister Peter Struck – natürlich mit SPD-Parteibuch – den Afghanistankrieg 2002 damit, dass Deutschlands „Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt“ würde.
Dieser sogenannte „Krieg gegen den Terror“ war eine Terrorkampagne des westlichen Imperialismus, um den Nahen und Mittleren Osten politisch gefügig zu halten und den Zugriff auf die üppigen Rohstoffe zu sichern.
Klassenkampf und Krieg
Einen Rückzieher musste die Schröder-Regierung 2003 beim (mal wieder völkerrechtswidrigen) Irakkrieg der NATO machen. Zeitgleich mit dem Kriegsbeginn setzte sie die Konterreform Agenda 2010 durch, was zu einer tiefen Erschütterung in den Reihen der SPD und der DGB-Gewerkschaften führte. Der Gehrungsprozess in der Arbeiterklasse vertiefte sich – es kam im selben Jahr zu Massenprotestbewegungen und im Verlauf der nächsten Jahre zur Herausbildung der LINKEN aus oppositionellen Parteien und Gruppen gegen den Sozialabbau.
Um eine soziale Explosion zu verhindern, blieb der rot-grünen Regierung nur übrig, 2003 eine Kriegsbeteiligung mit deutschen Soldaten auszuschließen. Auch danach wurde die Bundeswehr in keinen mit dem Jugoslawien- oder Afghanistankrieg vergleichbaren Einsatz geschickt. So lehnte die schwarz-gelbe Bundesregierung (CDU/CSU und FDP) die Beteiligung mit Bundeswehrsoldaten am nächsten imperialistischen NATO-Krieg gegen Libyen 2011 ab.
Die sogenannte Finanzkrise 2008 sowie die Eurokrise ab 2010 und ihre wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen in Deutschland und Europa ließen die herrschende Klasse vor möglichen Folgen einer Kriegsbeteiligung erschaudern. In sämtlichen europäischen Ländern kam es zu Massenprotesten und insbesondere in Griechenland zu zahlreichen Generalstreiks gegen die Spar- und Kürzungspolitik der Troika (EU-Kommission, EZB, IWF). An Kriegsabenteuer konnte die Bundesregierung zu dem Zeitpunkt nicht denken, sie musste die Krisen sowie die wachsende politische Polarisierung managen und dabei die Zentrifugalkräfte innerhalb der EU dämpfen.
Die Sympathien für Kriegseinsätze waren stets sehr gering in der deutschen Arbeiterklasse und Jugend – insbesondere nach zwei bestialischen Weltkriegen und dem Holocaust. Zudem mussten die Massen in Deutschland seit den 90er Jahren mit wirtschaftlicher Stagnation, steigender Ausbeutung und ständigen Krisen kämpfen – keine guten Voraussetzungen für Hurra-Patriotismus.
Vor allem die SPD – seit 1998 mit Ausnahme von 2009 bis 2013 in Regierungsbeteiligung – musste nach ihrer inneren Krise ab 2003 in militärischen Fragen zumindest zeitweilig vorsichtiger handeln, um den Schwund ihrer sozialen Basis zu verlangsamen – worin sie nicht erfolgreich war. Insbesondere die LINKE wurde bis etwa Mitte der 2010er Jahre der politische Anlaufpunkt für Gegner von Sparpolitik und Militarismus.
Umbau der Bundeswehr
Trotzdem führten alle Bundesregierungen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Schritt für Schritt Umstrukturierungen der Bundeswehr durch – inklusive wachsender Budgets für Rüstung. Weg von einer Bundeswehr, die im Rahmen der NATO einen konventionellen Krieg gegen den Ostblock und die Sowjetunion führen kann.
Die Bundeswehr wurde insbesondere unter CDU-Verteidigungsministern – von Franz Josef Jung bis Annegret Kramp-Karrenbauer – in eine schnell in aller Welt zum Einsatz bereite Armee umgewandelt. Das in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 vorgelegte und ins Weißbuch 2016 eingefasste Ziel: „ungehinderte Nutzung globaler Informations-, Kommunikations-, Versorgungs-, Transport- und Handelslinien“ und „gesicherte Rohstoff- und Energiezufuhr“. Deutsche Interessen müssten im Zweifel auch militärisch durchgesetzt werden.
Entsprechend sind die meisten Auslandseinsätze der Bundeswehr darauf fokussiert, Flüchtlinge zu bekämpfen sowie den Zugang zu Rohstoffen und den Schutz von Investitionen europäischer Kapitalisten zu sichern. So z.B. der Einsätze in Mali und Niger, wo von europäischen Mächten abhängige Regime durch die Bundeswehr gestützt werden sollen. Diese Einsatzländer wurden und werden durch den historischen Kolonialismus und den bestehenden Imperialismus europäischer Mächte wie Deutschland und Frankreich dauerhaft in politische und soziale Krisen gestürzt.
Ganz in kolonialer Manier werden deutsche Truppen in solche „Krisenregionen“ entsendet, die im Namen der „Menschenrechte“ dann „die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ herstellen sollen. Nach der „Konzeption der Bundeswehr“, soll sie im Zweifel gar die Regierungsgeschäfte übernehmen können. In der Regel werden einheimische militärischen Einheiten ausgebildet, die den Schutz der imperialistischen Interessen und der korrumpierten lokalen Regierungen gewährleisten sollen.
Think Tank mit einschlägiger Vergangenheit
Führende Strategen des bürgerlichen Establishments – aus Politik, Wirtschat, Wissenschaft, NGOs, etc. – hinter diesem Wandel wurden 2013 von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem German Marshall Fund (GMF) zusammengebracht. Sie erarbeiteten eine Blaupause für die Bundesregierung, die der weiteren Entwicklung des deutschen Militarismus zum Durchbruch verhelfen sollte.
Die SWP wurde 1962 auf Initiative des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegründet. Der BND ging wiederum aus der Organisation Gehlen hervor, deren langjähriger Leiter der Generalmajor a. D. Reinhard Gehlen war – Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost im Oberkommando der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Er wurde dann erster Präsident des BND bis 1968.
Die USA finanzierten die Organisation Gehlen ab 1946, um mit Ranghohen deutschen Faschisten zusammen zu arbeiten, die sich durch ihre „Expertise“ über die Sowjetunion und deren Streitkräfte auszeichneten und deshalb bei den Entnazifizierungsverfahren ihre Persilscheine erhielten. Die USA im Verbund mit ranghohen Nazis („Experten“) bauten den BND von Beginn an als Bollwerk des Antikommunismus und der imperialistischen Aggression gegen die Sowjetunion auf.
Die SWP wurde auf Drängen von US-Außenpolitikern wie Henry Kissinger sowie des BND von eben einem solchen „Experten“ gegründet und bis 1988 geleitet. Klaus Ritter war in der gleichen Abteilung der Wehrmacht wie Gehlen und ein Gründungsmitglied der Organisation Gehlen.
Als Think Tank sollte die SWP Einfluss auf die Regierung nehmen, indem bürgerliche Strategen im Vorfeld Positionen erarbeiten und dann politisch durchsetzen. Ging es zuerst darum Strategien im Kampf gegen den Ostblock und die Sowjetunion zu entwickeln, so hat diese „regierungsnahe Stiftung“ – finanziert aus dem Haushalt des Bundeskanzleramts – heute die Aufgabe, Strategien zu entwickeln, die dem deutschen Kapital zur Weltmacht verhelfen sollen.
Im Angesicht des Niedergangs …
Die 2013 im Rahmen der SWP und des GMF ausgearbeitete Strategie tauften die Vordenker auf den pflichtbewussten Namen „Neue Macht – Neue Verantwortung“ (NMNV). Die Begründung für ihr Engagement: „Die Umwälzungen in Deutschlands strategischem Umfeld – in der Europa- und der Sicherheitspolitik, im Umgang mit neuen Mächten und bei der Erneuerung der globalen Ordnung – verlangen eine neue Definition deutscher Staatsziele.“
Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die „regelbasierte Weltordnung“ im Umbruch begriffen ist. Gemeint ist die von den USA, der NATO und EU zum eigenen Vorteil entwickelte und der restlichen Welt aufgezwungen Weltordnung. Eine Ordnung, die darauf beruht, dass die USA und ihre Verbündeten regelmäßig in aller Welt (völkerrechtswidrige) militärische Interventionen durchführen; sich in die Geschicke anderer Nationen einmischen; mit Institutionen wie dem IWF, der Weltbank und EZB ganze Kontinente in die Schuldknechtschaft und neokoloniale Beherrschung zwingen; Ressourcen plündern und für Extraprofite den Arbeiterklassen der ehemaligen kolonialen Länder extreme Ausbeutung aufzwingen.
Dass diese Ordnung der imperialistischen Interessen des Westens in einer tiefen Krise steckt, liegt daran, dass der Kapitalismus als Ganzes weltweit im Niedergang begriffen ist. Den alten Mächten widersetzen sich emporkommende (regionale) Mächte wie Russland und Indien, sowie die Großmacht China, die ihre eignen, nicht weniger räuberischen imperialistischen Interessen verfolgen.
Im jüngsten Weißbuch (2016) der Bundeswehr – ein Leitfaden der Bundesregierung für sicherheitspolitische Entscheidungen und Handlungen – wurde die Einsicht des eigenen Niedergangs festgehalten: „Perspektivisch wird Deutschland gleichwohl seine Stellung als weltweit viertgrößte Wirtschaftsmacht einbüßen. Die Volkswirtschaften aufstrebender Mächte in Asien und Lateinamerika werden nach heutigem Ermessen in den kommenden Jahren das deutsche – wenn auch nicht das europäische – Bruttoinlandsprodukt überholen.“
… Machtansprüche geltend machen
Auf die verblassenden europäischen Mächte – die nur durch die EU und ihre Mitgliedschaft in der NATO noch etwas in der Welt zu sagen haben – wächst der Druck, eigene militärische Kapazitäten aufzubauen, um sich im globalen Konkurrenzkampf behaupten zu können. Nicht zuletzt auch ohne oder gegen den „Partner“ USA, was insbesondere seit der Präsidentschaft Donald Trumps zu einem zentralen, wenn auch zurückhaltend nach außen getragenem Ziel geworden ist (Stichwort „Strategische Autonomie“ der EU).
Die daraus erwachsende Notwendigkeit aus Sicht der deutschen Militaristen wurde im NMNV-Papier so formuliert: „Wenn Deutschland die eigene Lebensweise erhalten und schützen will, muss es sich folglich für eine friedliche und regelbasierte Weltordnung einsetzen; mit allen legitimen Mitteln, die Deutschland zur Verfügung stehen, einschließlich, wo und wenn nötig, den militärischen. […] Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu. […] Das verlangt mehr militärischen Einsatz und mehr politische Führung.“
Ukraine sei Dank
Kriege sind schrecklich vorteilhaft um eine angebahnte militaristische Trendwende zu vollziehen. In dieser Hinsicht wurde die Ukraine seit 2014 durch die deutsche Kapitalistenklasse und ihre politischen Vertreter mindestens zwei Mal missbraucht. Das erste Mal kurz nach Erscheinen des NMNV-Papiers, das etwa zeitgleich mit dem Beginn des Ukraine-Konflikts veröffentlich wurde.
Damals erklärte der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede bei der 50. Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014 fast wortgleich mit dem NMNV-Papier, dass Deutschland sich „als guter Partner früher, entschiedener und substantieller“ bei internationalen Einsätzen „einbringen“ müsse – im „äußersten Fall“ auch militärisch. Auch aus den Reihen der SPD erhielt er dabei Zustimmung, so erklärte der damalige Außenminister und gegenwärtige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf der gleichen Konferenz, dass Deutschland zu groß sei, „um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“.
Der Ukrainekonflikt war der perfekte Vorwand für deutsche herrschende Klasse, um die Umsetzung des NMNV-Papiers einzuleiten. Schon 2016 erschien ein neues Weißbuch, das dessen ausgearbeiteter Zwilling ist. Damit einher ging vor allem eine Aufrüstungskampagne unter dem Stichwort „Agenda Rüstung“. Waren die Militärausgaben von 2000 bis 2014 von 24,3 Mrd. Euro bereits auf 32,5 Mrd. angewachsen, so schossen sie seitdem bis 2022 auf 50,3 Mrd. Euro.
Die zweite Chance, jegliche Zurückhaltung endlich fallen lassen zu könne, lieferte der imperialistische Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland in der Ukraine ab dem 24. Februar 2022. Nur drei Tage später konnte der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag die „Zeitenwende“ einleitete: „Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten […]. Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. […] Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“
Das Ganze wurde im Grundgesetz abgesichert. Die Rüstungsindustrie hörte die Kassen klingeln. Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, Hensoldt und andere Waffenschmieden hatten sogleich fertige Bestelllisten parat.
SPD und Zeitenwende
Innerhalb eines knappen Jahres wurde dann die SPD von der Bundestagsfraktion bis weit in den Parteiapparat umgekrempelt und auf Kurs gebracht. Vorreiter des Militarismus aus dem Seeheimer Kreis – Steinmeier, Scholz, Lars Klingbeil & Co. – hatten über Jahre die nötige Vorarbeit geleistet. Im letzten Jahr dann konnte die SPD-Führung der herrschenden Klasse versichern, dass sie volle „Verantwortung übernimmt“ für die nationalen Interessen – Profit- und Machtinteressen des deutschen Imperialismus.
Ein klares Signal in diese Richtung war der Personalwechsel im Verteidigungsministerium Anfang 2023. Die vom liberalen und kriegsbegeisterten Lager bekämpfte sowie von der Rüstungsindustrie wenig geliebte Christine Lambrecht (SPD) musste Platz machen für den sicherheitspolitischen Hardliner Boris Pistorius (SPD). Seitdem schwelgen die bürgerlichen Medien überwiegend im Glück über einen echten Kenner und Kameraden aus der Truppe, der beherzt den Militarismus voranbringt.
Mittlerweile ist die Bedeutung der Zeitenwende aus Sicht der SPD in dem Papier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ festgehalten. Vom NMNV-Papier unterscheidet das Dokument kaum etwas. Noch eindeutiger wird Russland als Hauptfeind Europas ausgemacht und auch China verstärkt als „Wettbewerber“ und „Systemrivale“ definiert – entsprechend der strategischen Konzeptionen von NATO und EU im Jahr 2022.
In militärischen Fragen passt kein Blatt mehr zwischen SPD und das bürgerliche Lager. Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil stellt klar: „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben“ und „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik“ ansehen.
Damit vollzieht der SPD-Apparat und vor allem die Bundestagsfraktion eine weitere Anpassung an die Programmatik des Finanzkapitals, übernimmt den außenpolitischen und militärischen Kurs der Liberalen (Grüne, und FDP) sowie der Konservativen (CDU) und setzt auf eine noch tiefere Integration in den Staatsapparat.
Parlamentarische Linke zieht mit
Diese Politik teilt wohl auch das linke Feigenblatt der SPD-Bundestagsfraktion – die Parlamentarische Linke. Diese Parteilinke hat am SPD-Dokument fleißig mitgearbeitet. Die Berliner-Zeitung kommentierte das so: „Offenbar haben Parteilinke zum Beispiel dafür gesorgt, dass der Begriff Führungsmacht aus dem Papier verschwunden ist und durch Führungsrolle ersetzt wurde.“
Die vormaligen Kritiker eines zu beherzten Militarismus aus den Reihen der „Parteilinken“ in der SPD-Bundestagsfraktion haben mittlerweile ihren Frieden damit gemacht. Außer dem kosmetischen Schleifen an einzelnen Worten keine Spur von Opposition. Die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken (Parlamentarische Linke) erklärte Anfang des Jahres, dass es für die SPD im Ukrainekrieg „keine roten Linien“ gibt.
Opposition in der SPD?
Die Spitzen der SPD – egal ob Seeheimer Kreis oder Parlamentarische Linke – sind Handlanger der Interessen des deutschen Kapitals. Sie halten die größte deutsche Arbeiterpartei in einer Zwangsehe mit dem Klassenfeind gefangen.
Diese bürgerlichen Agenten in der SPD sind ein zentraler Pfeiler, auf den sich die Kapitalistenklasse stützt, um Konterreformen und Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchzuführen – sie binden die Spitzen der DGB-Gewerkschaften ein und können so zumindest zeitweilig die arbeitende Klasse passiv halten. Es gibt keine Alternative zu solcher Politik … die „Friedensdividende“ ist aufgezehrt … Das ist für unsere Freiheit und unsere Werte notwendig … So verkaufen es die Reformisten den Gelackmeierten.
Bis Dezember sollen jetzt die aktiven SPD-Mitglieder und die unteren Reihen des Parteiapparats eingepeitscht und auf Kurs gebracht werden. Das Dokument „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ wird beim Bundesparteitag im Dezember zur Abstimmung stehen. Dort wird sich zeigen, wie stark die linke Opposition in der SPD noch ist, nachdem linke Hoffnungsträge wie Kevin Kühnert in den letzten Jahren bankrottiert haben.
Deutsche „Führungsrolle“ in Europa
Das SPD-Dokument setzt ganz im Sinne der bürgerlichen Strategen auf „Verantwortung für die Durchsetzung unserer gemeinsamen Interessen im Sinne einer wertebasierten Friedensordnung“. Die Zeitenwende soll der „Katalysator einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ sein, mit Deutschland als Führungsmacht (Lars Klingbeil) an der Spitze der EU.
Die Bundesregierung hat schließlich diesen Juni eine „Nationale Sicherheitsstrategie“ vorgelegt, in welcher sie die den Führungsanspruch Deutschlands in Europa und den Militarismus zur Staatsräson erklärt: „Die Bundeswehr stärken wir als einen Grundpfeiler der Verteidigung in Europa. Landes- und Bündnisverteidigung ist Kernauftrag der Bundeswehr; dieser umfasst auch unseren Beitrag zur Abschreckungsfähigkeit der Allianz.“ Mit Deutschland an der Spitze soll die „Europäische Union zu einer geopolitisch handlungsfähigen Akteurin“ werden.
Um diesem Anspruch einer deutschen Großmacht auf dem Boden der EU gerecht zu werden, setzt sich die SPD in der Regierung dafür ein, einen europäischen Rüstungskomplex aufzubauen, die militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten der EU auszubauen sowie die „europäische Säule in der NATO“ zu stärken. In dieser Hinsicht ist eine enorme Aufstockung der Kapazitäten der Bundeswehr vorgesehen. Im Verbund mit der NATO oder innerhalb einer von der EU gestellten Kriegsallianz soll Deutschland gegen das gegenwärtig als Hauptfeind ausgemachte Russland Krieg führen zu können.
Die Realität sieht anders aus
Dass die Vision eines europäischen Rüstungskomplex weithergeholt ist, zeigen allein zwei Punkte. Zum einen bedeutet die Zusammenlegung von Rüstungskonzernen unter kapitalistischen Bedingungen, dass die produktiveren Konzerne die schwächeren vom Markt verdrängen. Im Umkehrschluss werden alle europäischen Konkurrenten sich selbst vor einer Übernahme schützen. So gibt die Bundesregierung deutschen Rüstungskonzernen vor, nationale „Schlüsselkompetenzen“ zu schützen. Alle europäischen Rüstungskonzerne und Regierungen sehen das für sich nicht anders.
Zum anderen ist ein kürzlicher Rüstungsdeal der polnischen Regierung symbolträchtig. Ganz zum Verdruss deutscher Panzerproduzenten kauft der einst wichtige Abnehmer von Leopard-Panzern stattdessen 250 Abrams-Panzer aus den USA und 1.000 koreanische Kampfpanzer K-2 Black Panther. Nicht nur ein verlorener Milliardengewinn für die deutsche Rüstungsindustrie, sondern auch eine herausfordernde Ansage bezüglich der deutschen Ambitionen auf „Führungsmacht“ in Europa.
Durchzogen von nationalen Interessensgegensätzen wird die EU nicht zu einer Großmacht mit integriertem Rüstungskomplex und gemeinsamen militärischen Apparat heranwachsen. Mit jeder Zuspitzung der kapitalistischen Krise werden die Zentrifugalkräfte und damit die Widersprüche in der EU wachsen – bis zu ihrem Zusammenbruch.
Der Zusammenhalt der EU war nur so lange gegeben, wie es ökonomische Vorwärtsentwicklung durch die „Globalisierung“ gab. Das hat sich seit Mitte der 2010er Jahre weitgehend erledigt. Jetzt stehen die nationalen Interessen viel stärker in Vordergrund, wie etwa der sogenannte „Doppel-Wumms“ und der geplante „Industriestrompreis“ der Bundesregierung zeigen. Nationale Alleingänge mitten in Europa, angeführt von der aspirierenden Großmacht.
Deshalb ist die Strategie der herrschende Klasse in Deutschland und damit auch der SPD-Führung zum Scheitern verurteilt, sie weist keinen Weg aus der Krise. Es ist ein letztes Zähnefletschen eines geschlagenen Hundes, dessen Beine langsam versagen.
Keine Hürden mehr im bürgerlichen Lager
Was die von der SPD verkündete „Zeitenwende“ vor allem bringt: Sie öffnet blankem Militarismus Tür und Tor. Mit der Anpassung der SPD-Bundestagsfraktion und Parteiführung sitzen im Bundestag nur noch Parteien, deren Programm die Aufrüstung fordert – mit Ausnahme der zunehmend schwankenden LINKEN. Egal welche Regierung kommt, einen Trendwechsel wird es nicht mehr geben.
Ideologisch wird das Ganze mit hemmungsloser Hetze und Angstmacherei in den Medien begleitet, weil die Kriegsbegeisterung in der Arbeiterklasse und Jugend sich bis heute auf niedrigem Niveau hält, wie die ständige Personalnot der Bundeswehr verdeutlicht. Auch hier ist der Ukrainekrieg den Herrschenden ein willkommenes Geschenk, um schwerere verbale Geschütze aufzufahren.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) erteilt im ARD Lektionen in Sachen militaristischer Demagogie: „Wenn hier ein Krieg ausbräche, was Gott verhüten möge, würde jeder, der hier in Deutschland lebt, letztlich, wenn es um sein Hab und Gut, um seine Familie, um seine Kinder ginge, mit Sicherheit auch eine Waffe in die Hand nehmen.“ Mit solchen Phrasen versuchen die Bürgerlichen, ihre Aufrüstungspläne zu legitimieren und auszuweiten. Dass die Gier der Militaristen und der Rüstungsindustrie maßlos ist, bewies die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) zu Jahresbeginn im Interview mit der FAZ: „Man bräuchte 300 Milliarden Euro, um in der Bundeswehr signifikant etwas zu verändern. […] Es gibt unendlich viel, das instand gesetzt oder neu beschafft werden muss.“
Sozialismus ist die Antwort
Diese Aufrüstungsvorhaben in Deutschland und Europa werden enorme Ressourcen auffressen und die Arbeiterklasse Europas verarmen. Aufrüstung ist ein Milliardengrab von Steuergeldern und Schulden – gezahlt von der Arbeiterklasse –, das den europäischen Rüstungskonzernen gewaltige Profite staatlich verordnet zukommen lässt.
Um nur einen Einblick zu bekommen: In den nächsten Jahren sind für bestimmte Aufrüstungsprojekte der verschiedenen deutschen Streitkräfte folgende Mindestbeträge vorgesehen: Luft 34 Mrd. Euro, See 9 Mrd. Euro, Land 16 Mrd. Euro. Hinzu kommt die Digitalisierung der Bundeswehr, wofür mind. 21 Mrd. Euro geplant sind. Dazu kommen die Kosten der Instandhaltung dieser Tötungsmaschinen, die mindestens drei Mal so viel kostet. Die Soldaten, die Standorte, weitere Waffen – eine unendliche Liste – müssen bezahlt werden. Hunderte und Tausende Milliarden Euro, die für Profitinteressen letztlich von der Arbeiterklasse gezahlt werden sollen.
Gleichzeitig verfallen Schulen, Kitas, Krankenhäuser; die Inflation frisst die Löhne; die neue Rezession hält das Damoklesschwert der Massenarbeitslosigkeit über dem Haupt der Arbeiterklasse. Von den 100 Mrd. Euro als Sondervermögen deklarierten Sonderschulden könnte man zusammengenommen 150.000 neue Pflegekräfte, 150.000 neue Pädagogen und ebenso viele neue Lehrkräfte vier Jahre lang beschäftigen – da wäre das Geld noch nicht mal aufgebraucht.
Militarismus und Aufrüstung geht immer auf Kosten der arbeitenden Klasse. Diese bürgerliche Politik der Kapitalisten in Europa wird nur die Klassenwidersprüche in jedem europäischen Land zuspitzen und die Zentrifugalkräfte in der EU befeuern. Statt einer Großmacht Europa, wird sie ein großes Inferno des Klassenkampfs und der sozialen Revolutionen auf dem europäischen Kontinent zum Ergebnis haben.
Die Arbeiterklasse und die Jugend werden diese Politik nicht lange dulden. Sie werden sich dagegen auflehnen. Das wird die Grundlage für eine sozialistische Arbeiterbewegung legen. Der Kampf gegen Aufrüstung, Militarismus und Imperialismus kann nur als Klassenkampf gegen das kapitalistische System als Ganzes geführt werden. Imperialismus ist Kapitalismus im Zustand wachsender Fäulnis. Er muss durch die sozialistische Revolution überwunden werden.
Damit dieser Kampf erfolgreich ist, bauen wir eine marxistische Strömung in der Arbeiterbewegung und ihren Massenorganisationen auf. Nur mit der marxistischen Theorie und mit einem sozialistischen Programm werden wir es schaffen, die Agenten des Kapitals aus den Massenorganisationen der Arbeiterklasse zu verjagen und die Arbeiterbewegung für den erfolgreichen Kampf für den Sozialismus zu rüsten. Schließ dich uns jetzt an!
Wir fordern:
- Stopp aller Rüstungsprojekte!
- Rüstungshaushalt abschaffen und Sondervermögen auflösen – mehr Geld für Soziales, Bildung und Kultur!
- Profite der Rüstungskonzerne und aller Kriegsprofiteure konfiszieren, zur Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der ökologischen Transformation!
- Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr! Alle Truppen abziehen!
- Überführung der Bundeswehr in zivilen Katastrophenschutz und andere zivile Dienste!
- Enteignung und Konversion der gesamten Rüstungsindustrie unter Kontrolle und Verwaltung der Arbeiterklasse, für sozial und ökologisch notwendige Produktion.
- Für den Sturz des deutschen Imperialismus und Kapitalismus!
- Für den Sozialismus! Mit Planwirtschaft und Arbeiterdemokratie eine Zukunft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg aufbauen!