Schnappatmung, Haareraufen, wildes Fluchen: So reagierte das westliche Establishment auf das Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dessen russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Alaska. Dabei hatten sich diese Damen und Herren kurz zuvor noch selbst gefeiert. In ihrer Vorstellung war es ihnen gelungen, Trump von neuen Sanktionen gegen Russland zu überzeugen. Diese sollten greifen, falls Putin sich im Gespräch nicht auf einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine einlassen würde.
Genau das hatten Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, und die europäischen Kriegstreiber vor dem Treffen als Bedingung für „Friedensverhandlungen“ formuliert. Zugleich forderten sie die unmittelbare Einbindung Selenskyjs in die Gespräche, schlossen Gebietsabtretungen an Russland kategorisch aus und raunten von „Sicherheitsgarantien“ – darunter westliche Truppen in der Ukraine.
Angesichts der realen Kräfteverhältnisse sind diese Vorstellungen völlig absurd. Warum sollte Putin sich auf solche Maximalforderungen einlassen, wenn er den Krieg in der Ukraine gewinnt? Diplomatie richtet sich nach der Situation auf dem Schlachtfeld. Russland hält deswegen alle Karten in der Hand.
Wer ist wirklich verrückt?
Und trotzdem hieß es in den Kommentarspalten der westlichen Leitmedien, dass es Trump sei, der den Verstand verloren haben soll. Der US-Präsident zeigte sich nämlich ausgesprochen zufrieden mit dem Treffen in Alaska – auch wenn es nicht zur erhofften Waffenstillstandsvereinbarung kam, die er selbst zuvor als Ziel ausgegeben hatte. Offensichtlich hatte Putin die schlagenderen Argumente parat.
Natürlich sind weder Trump noch der russische Präsident Friedensengel. Im Gegenteil. Aber was uns das europäische Establishment als kompletten Wahnsinn verkaufen will, folgt einer einfachen Logik: Russland gewinnt den Krieg, der die USA Milliarden kostet. Trump will den US-Imperialismus aus dem Konflikt und militärisch aus Europa zurückziehen. Sein Ziel ist es, die USA auf die Auseinandersetzung mit dem aufstrebenden Konkurrenten China zu konzentrieren. In diesem Sinne versucht er auch, einen Keil in das Bündnis zwischen Russland und China zu treiben.
Wer auch nur über einen Hauch von Menschenverstand verfügt, versteht: Ohne Verhandlungen mit Putin, die auf dem Boden der Tatsachen stattfinden, geht hier gar nichts. Die europäischen Kriegstreiber verhindern aber Frieden. Denn verzweifelt versuchen sie, den Rückzug der USA aufzuhalten. Deshalb wollen sie jegliche Annäherung zwischen Trump und Putin sabotieren, also den Krieg in die Länge ziehen. Ihnen geht es um Sicherheitsgarantien für sich, nicht für die Ukraine.
Diese Verrückten, die nicht müde werden, von der ukrainischen „Souveränität“ zu schwadronieren, riskieren mit ihrer Verzögerungstaktik nicht nur das Ende der Ukraine als Staat durch ihre vollständige Niederlage. Auf dem Spiel steht auch eine direkte Konfrontation mit Russland.
Reine Provokation
Putin sagt: Westliche Truppen in der Ukraine wären für Russland „legitime Ziele zur Vernichtung“. Denn er führt diesen Krieg in erster Linie, um den Einfluss der NATO – die seit 1997 eine beharrliche Ost-Erweiterung betreibt – an der russischen Grenze zurückzudrängen. „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine, die eine Stationierung von NATO-Soldaten umfassen würden, wären folglich inakzeptabel aus Sicht Russlands.
Was fordern also Selenskyj und die europäischen Kriegstreiber? Die „Koalition der Willigen“ traf sich nach dem Alaska-Treffen in Paris und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündete nun konkret: 26 westliche Staaten seien bereit, einen Frieden in der Ukraine mit Truppen „auf dem Land, auf der See und im Himmel“ abzusichern. Weitere Länder sagten nur zu, sich anderweitig zu beteiligen – z.B. indem sie Waffenlieferungen und die Ausbildung der ukrainischen Armee nach dem Krieg fortsetzen. Die USA verpflichten sich zu nichts.
Die ganze Angelegenheit hat einen großen Haken: Einen Frieden, den man „sichern“ könnte, gibt es ja noch gar nicht. Und ihn wird es auch so nicht geben. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wie auch seine europäischen Amtskollegen unterstellen Putin, dass dieser auf Zeit spiele und nicht an Verhandlungen interessiert sei. Sie sprechen außerdem von neuen Sanktionen, um Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Doch dass Drohungen und offensichtliche Provokationen gegenüber der militärisch (und ökonomisch – die westlichen Sanktionen konnten Russlands Wirtschaft nicht nennenswert schaden) überlegenen Kriegspartei sich nicht besonders eignen, eine diplomatische Lösung herbeizuführen, liegt auf der Hand. Offensichtlich geht es den europäischen Kriegstreibern eben gerade darum, Verhandlungen zu verhindern.
Großer Mann plötzlich kleinlaut
„Was mich beschäftigt und auch, ich will es zugeben, beschwert, ist die Tatsache, dass wir zurzeit als Europäer auf der Welt die Rolle nicht spielen, die wir eigentlich spielen wollen und die wir auch spielen müssten, damit unsere Interessen hinreichend gewahrt bleiben“, räumt Merz selbst ein. „Wir sind im Augenblick nicht in der Lage, genügend Druck auf Putin auszuüben, diesen Krieg zu beenden.“ Und: „Wir sind angewiesen auf die Hilfe der Amerikaner.“
Das ist das grundlegende Problem. Die USA wenden sich ab und die europäischen Imperialisten sind nicht mächtig genug, selbstständig ihre eigenen Interessen in der Weltarena zu behaupten. Nur mit dem US-Imperialismus im Rücken konnte Deutschland bei den Großen mitspielen. Doch diese Zeiten sind vorbei. So sind Russland und China zunehmend in der Lage, die westlichen Imperialisten herauszufordern.
Merz redet von einem starken Europa mit Deutschland in der Führungsrolle, das sich dieser Herausforderung stellen soll. Dafür fließen Milliarden in Aufrüstung. Doch die Debatte um „Sicherheitsgarantien“ entlarvt diese Pläne als heiße Luft. Erst spuckte der Kanzler große Töne – von Verantwortung, die Deutschland übernehmen müsse und von „mandatsfähigen Beschlüssen“ (sprich: von einem Einsatz der Bundeswehr in der Ukraine).
Als dann EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen Nägel mit Köpfen machen wollte und von konkreten Plänen sprach, zog der „Europa-Kanzler“ jedoch den Schwanz ein. Es gebe solche Pläne zumindest für Deutschland nicht – und „von der Europäischen Union kommen sie auch nicht. Denn die Europäische Union ist dafür nicht zuständig.“
Europa ist gespalten…
So zählt der vermeintliche Vorreiter Deutschland nicht zu den 26 Staaten, die Bodentruppen zugesagt haben. Merz äußerte plötzlich erhebliche Bedenken, die es noch zu prüfen gelte. Die Zusagen belaufen sich auf eine Truppenstärke von 50.000 Mann. Experten schätzen, dass es aber 150.000 Soldaten in der Ukraine bräuchte, um die Waffenstillstandslinie zu kontrollieren. Klarer lässt sich nicht beweisen, was ein Europa ohne die USA bedeutet.
Ein starkes Europa ist ein Luftschloss. In der Ukraine-Frage sind die herrschenden Klassen des Kontinents zutiefst gespalten. Während die meisten europäischen Staaten ihr russisches Gas noch über Drittländer wie Indien überteuert einkaufen, wenden sich Ungarn und die Slowakei lieber direkt an die Quelle. Sie blockieren deshalb weitere EU-Sanktionen gegen Russland.
Der slowakische Präsident Robert Fico und sein serbischer Amtskollege Aleksandar Vucic trafen kürzlich sogar Putin in Peking. Mit der sich nur weiter zuspitzenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt ist es allein eine Frage der Zeit, bis sich weitere Länder die teureren Energieträger nicht mehr leisten wollen und sich Russland wieder annähern. In Rumänien ließ der Verfassungsgerichtshof auf Druck der EU die Präsidentschaftswahl annullieren, weil sich der pro-russische Kandidat Calin Georgescu durchgesetzt hatte.
… und Merz gelähmt
Doch auch innenpolitisch steht Merz vor gewaltigen Hürden. Die SPD schließt derzeit eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Einsatz in der Ukraine aus. Auch CSU-Chef Markus Söder beteuerte: „Es ist für mich kaum vorstellbar, dass NATO-Truppen dort stationiert sind. Das würde Russland keinesfalls akzeptieren.“
Die Bundeswehr ist laut Söder außerdem aktuell nicht in der Lage, einen derartigen Einsatz zu stemmen – eine Einschätzung, die auch Außenminister Johann Wadephul (CDU) teilt. Der außenpolitische Sprecher der CDU Roderich Kiesewetter meinte dagegen: Deutsche Bodentruppen seien unbedingt notwendig zu Absicherung eines Friedens. Damit ist er in seiner Partei nicht allein.
Die Koalition und selbst die CDU sind gespalten in der Angelegenheit. Warum? 63% der Deutschen sorgt sich davor, dass Deutschland Kriegspartei werden könnte, wenn es Bodentruppen schickt. CDU und SPD befürchten, noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren, die sich kategorisch gegen einen Einsatz der Bundeswehr stellt. Deshalb die Zurückhaltung der SPD und Teilen der CDU.
Merz‘ Großmachtpläne sind daher pure Illusionen. Die Arbeiterklasse darf trotzdem zahlen – mit Spar- und Kürzungspolitik, um die massive Aufrüstung zu finanzieren und um die Konkurrenzfähigkeit zu steigern. Doch ohne die USA oder ein starkes Europa im Rücken kann Deutschland im internationalen Konkurrenzkampf um Märkte, Ressourcen und Einflusssphären nicht mithalten.
Die anderen europäischen Imperialisten sind in derselben Lage. Deswegen steht der gesamte Kontinent vor einem unvergleichlichen industriellen Niedergang. In ihrer Verzweiflung, die USA zu halten, sind sie dazu bereit, die Ukraine ausbluten zu lassen und einen direkten Krieg mit Russland vom Zaun zu brechen.
Wir müssen entscheiden
Die Arbeiterbewegung muss sich diesen Verrückten entschieden entgegenstemmen. Aber was unternehmen diejenigen, die diesen Kampf organisieren müssten? LINKEN-Chef Jan van Aken meint, allein „die Ukraine“ dürfe über Krieg und Frieden entscheiden. 68% der Ukrainer wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage ein schnelles Ende des Konflikts durch Verhandlungen. Doch der ukrainische Staat zwingt seine Bevölkerung gegen deren Willen zum Sterben an die Front. Und zusammen mit den Europäern sabotiert Selenskyj jegliche Verhandlungen mit Putin, statt diesen nicht gewinnbaren Krieg zu beenden.
DIE LINKE träumt von Europa als Friedensmacht, das statt auf Aufrüstung auf Diplomatie setzt. Van Aken kann sich sogar eine UN-Friedensmission in der Ukraine mit deutschen Truppen vorstellen. Glaubt er wirklich, wir können die Entscheidung über Krieg und Frieden weiterhin den Kriegstreibern überlassen?
Der DGB geht noch weiter. Unter der EU versteht er ein Bollwerk gegen die Autokratien in Russland, China und auch in den USA unter Trump. Daraus schließt die Gewerkschaftsführung: „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sehen deshalb durchaus die Notwendigkeit, in Deutschland und Europa die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit zu stärken.“
Ein Europa unter Merz, Macron und von der Leyen bedeutet jedoch Militarisierung, Verarmung und Kriegsgefahr. Wir müssen sie stürzen. Und das Potenzial dafür ist gewaltig. In Frankreich lösten die Kürzungspläne der Regierung eine Massenbewegung aus. Am 10. September zogen dort Hunderttausende auf die Straße.
Aber die Wahrheit ist auch: Aufrüstung, Austerität und Kriegshetze bleiben, wenn wir nicht den Kapitalismus beseitigen. Denn der sich zuspitzende Konkurrenzkampf zwischen den Imperialisten und der damit verbundene Niedergang Europas ergibt sich aus der tiefen Krise des Systems. Beenden können wir sie nur, wenn die Arbeiterklasse selbst die Kontrolle über Politik und Wirtschaft übernimmt.
Eine Bewegung mit einem solchen Programm würde sich wie ein Lauffeuer auf dem gesamten Kontinent verbreiten, was die Grundlage für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa schaffen würde. Dann stünden nicht nur der gesamte Reichtum des Kontinents den Massen zu Befriedigung ihrer Bedürfnisse zur Verfügung, statt zwischen den Herrschenden der verschiedenen europäischen Staaten zersplittert zu sein und in Vernichtungsmittel zu fließen. Es wäre auch ein mächtiger Impuls für die russische Arbeiterklasse, ihre Ausbeuter zu stürzen. Unser Weg zum Frieden ist Revolution!