Mit 4,97% hat das BSW den Einzug in den Bundestag knapp verpasst. Dass die Partei erneut zu einem politischen Faktor auf Bundesebene anwachsen kann, ist ohne Massenbasis innerhalb der Partei unwahrscheinlich, wenn man das Parlament nicht als politische Bühne nutzen kann. Sahra Wagenknecht selbst machte die Wahl zur „Entscheidung über [ihre] politische Zukunft“.
Dennoch zeugen die guten Umfragewerte von vor einigen Monaten sowie die hohen Wahlergebnisse in Thüringen und Brandenburg davon, dass die Partei eine tiefsitzende Wut in der Gesellschaft angesprochen hat und es dabei schaffte, Unterstützung auch aus Teilen der traditionellen Linken und der Arbeiterbewegung zu erhalten. Am Niedergang des BSW können wir ableiten, was eine Arbeiterpartei braucht, um die Wut der Massen gegen ihre Wurzel, das kapitalistische System zu richten.
Lückenfüller
Der Erfolg des BSW war vor allem deshalb möglich, weil die Linkspartei ihr Anti-Establishment-Image verloren hat. Prinzipienlose Regierungsbeteiligungen und Auflockerung ihrer Antikriegs-Positionen führten dazu, dass sie zunehmend selbst als Teil des Establishments wahrgenommen wurde. Mit der Gründung ihrer eigenen Partei wollte Wagenknecht einen neuen Kurs einschlagen.
Bei der Pressekonferenz zur Gründung des BSW erklärte Wagenknecht: „Demokratie in unserem Land wird in erster Linie gefährdet durch eine Politik, von der sich immer mehr Menschen im Stich […] gelassen fühlen.“ Sie positionierte das BSW damit als Gegenantwort zu allen anderen Parteien. Auch die Linkspartei erhielt einen Seitenhieb, ohne direkt genannt zu werden, als Wagenknecht bemängelte, dass wir in diesem Land eine „Opposition [haben], die zu großen Teilen tatsächlich auch die Politik der Regierung mitträgt“.
Die scharfe Abgrenzung von allen anderen Parteien sowie der Umstand, dass das BSW die einzige Partei war, die sich gegen deutsche Beteiligung im Ukrainekrieg, gegen Waffenlieferungen und für einen besseren Sozialstaat und höhere Löhne auf Kosten der Superreichen aussprach, war ein Alleinstellungsmerkmal. Viele waren deshalb bereit, dem Projekt ihre Stimme zu geben, in der Hoffnung, endlich eine echte Oppositionspartei zu wählen.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Dabei unterscheiden sich die sozialen Forderungen des BSW kaum von denen der SPD. Forderungen wie 15 Euro Mindestlohn und mehr Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales könnten in jedem reformistischen Programm drinstehen. Auch die Zielsetzung der Wagenknecht-Partei ist eine rein reformistische. So fordert das BSW nicht die Abschaffung des Kapitalismus, sondern die Einführung einer „echten sozialen Marktwirtschaft“, in der die Spannungen zwischen Arm und Reich und die politische sowie ökonomische Macht der Monopolkonzerne beschnitten werden sollen.
Durch Regierungsverantwortung will Wagenknecht in eine Zeit wie nach dem Nachkriegsaufschwung zurück, wo Unternehmen in die heimische Industrie investiert haben und die Löhne gestiegen sind. Doch diese Zeiten werden nicht zurückkommen. Die Krise des Kapitalismus lässt sich nicht einfach durch ein paar Handgriffe umkehren. Nicht mal billiges Gas aus Russland ist dazu in der Lage. Der einzige Faktor, der die Angriffe auf den Lebensstandard und die Deindustrialisierung stoppen kann, ist die Arbeiterklasse, indem sie die Kontrolle über Produktion und Verteilung erobert.
Keine Massenbasis
Das ist auch der Grund, warum das BSW so vorsichtig bei der Aufnahme neuer Mitglieder ist. Die Krise sorgt dafür, dass das Vertrauen in das System und in seine Institutionen sinkt. Die Massen testen dabei ihre politischen Möglichkeiten aus. Auf der einen Seite hoffen sie immer noch vielfach, dass eine Stimme bei der Wahl ihre Lage verändern kann, auf der anderen Seite werden sie durch Ereignisse immer weiter zur Selbstaktivität gedrängt. Das macht sie zu einem unkontrollierbaren Faktor und eine Gefahr für den sozialen Frieden, den sich Wagenknecht wünscht.
Wagenknecht spricht zwar die polarisierten Schichten in der Gesellschaft an, doch sie will ihre Wut in die sicheren Bahnen ihres Parteiprogramms lenken. Sie zu Zehntausenden in die Partei zu holen, würde die Parteiführung dem Druck der Basis aussetzen, was vor allem dann gefährlich werden würde, wenn der Basis die Forderungen aus dem offiziellen Programm nicht mehr ausreicht. Was Wagenknecht will, sind Zuschauer, die sie zu ihren Wahlkampf- und Talkshow-Auftritten beklatschen und so ihren Bekanntheitsgrad erhöhen.
Der Traum ist aus
Doch schlussendlich führte diese Methode zur Niederlage des BSW. Die Herrschenden, denen das BSW ein Dorn im Auge ist, haben Wagenknechts Methode erkannt und sie im Wahlkampf einfach kaum noch in Talkshows eingeladen. Gleichzeitig macht Wagenknechts Zurückhaltung bei der Aufnahme von Mitgliedern eine tatsächliche soziale Verankerung in der Gesellschaft unmöglich und stoß darüber hinaus viele ab, die ursprünglich mit ihr sympathisieren. Dazu machten die Koalitionen in Thüringen und Brandenburg mit den etablierten Parteien CDU und SPD die Anti-Establishment Haltung des Bündnisses unglaubwürdig.
Was die Partei jedoch bewies, ist, dass es einen immer offener hervortretenden Wunsch nach sozialer Veränderung gibt. Auch wenn sich die Partei am demagogischen Kulturkampf und der Hetze gegen Flüchtlinge beteiligt, zog sie Leute an, denen SPD und Linkspartei zu gezähmt waren und auch solche, die in der AfD keine echte Alternative mehr sahen. Wagenknechts Rhetorik gegen die Superreichen und ihr Bekunden, diese zur Kasse bitten zu wollen, stieß dabei auf ein Echo.
Gleichzeitig bewies die Partei jedoch auch, dass sie dem gesellschaftlichen Bewusstsein, dass sie ansprach, schlussendlich nicht gerecht wurde. Die Massen lassen sich nicht mit Rhetorik allein abspeisen. Die Krise des Kapitalismus zwingt sie zunehmend, auf der Straße und im Betrieb den Kampf um ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen. Was heute fehlt, ist eine Arbeiterpartei, die diese Selbstaktivität fördert und mit dem richtigen politischen Programm ausstattet.