Die Degeneration und der Zusammenbruch der Vierten Internationale

Welches Erbe verteidigen wir?

„Unsere erste, wichtigste Aufgabe ist, zu lernen, die Vergangenheit nicht zu vergessen, um die Zukunft vorhersehen zu können.“ (A Wretched Document, 27 July 1929, Writings of Leon Trotsky, Vol 1, 1929, New York 1975, p. 198-212)

„Ein Hauptgrundsatz der Dialektik lautet: Eine abstrakte Wahrheit gibt es nicht, die Wahrheit ist immer konkret.“ (Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Mai 1904. LW 7, S. 417)

Dieses Dokument behandelt die Degeneration und den Zusammenbruch der Vierten Internationale, die Trotzki 1938 gründete. Es verteidigt außerdem die genuinen, unverfälschten Ideen und Methoden des Trotzkismus. Das mag zunächst nur historisch interessant erscheinen. So ist es aber nicht.

Diese Entwicklungen sind tatsächlich auch heute noch äußerst lehrreich für uns. Vor allem geben sie uns ein tieferes Verständnis und eine bessere Einschätzung davon, wer wir sind und welche zentrale Rolle unser Genosse Ted Grant in der Verteidigung dieser genuinen Traditionen spielte.

Die Frage der Degeneration der Vierten Internationale wurde schon mehrmals und an verschiedenen Stellen behandelt, nicht zuletzt im Text Das Programm der Internationale, den Ted Grant 1970 verfasste. Früher war diese Geschichte zentral in der Ausbildung unserer Kader.

Doch das rasche Wachstum unserer Internationale in der letzten Zeit macht es notwendig, insbesondere den neueren Genossen unsere Geschichte und Tradition in Erinnerung zu rufen.

Die Vierte Internationale wurde zerstört, aber das Programm und die Methoden, über die sie unter der Führung Trotzkis verfügte, bleiben lebendig und sind in unserer Internationale, der RKI, verkörpert. Das ist keine leere Prahlerei. Man kann es nachweisen, und wir werden es anhand der theoretischen Beiträge und Dokumente unserer Strömung aus den vergangenen achtzig Jahren aufzeigen.

Wir müssen unser Erbe verteidigen und die historische Verantwortung wahrnehmen, die Dinge richtigzustellen. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil die Sekten zahlreiche Verzerrungen und direkte Lügen in Umlauf gebracht haben, um ihre eigenen Verbrechen und Fehler zu vertuschen.

Das bedeutet vor allem, die unersetzliche Rolle zu benennen, die Ted Grant in dieser Zeit gespielt hat, indem er die genuinen Ideen und Methoden des Trotzkismus verteidigte.

Er setzte die Arbeit Trotzkis unter den schwierigsten Bedingungen fort. Nur seiner unermüdlichen Arbeit verdanken wir unsere Existenz. Nur das allein gibt uns unser Existenzrecht und unseren Anspruch, die genuinen Traditionen des revolutionären Trotzkismus zu vertreten.

Unsere Strömung entstand im Kampf zur Verteidigung der marxistischen Ideen gegen die schädlichen Ideen des Stalinismus und Reformismus, aber auch gegen die revisionistischen Ideen der sogenannten Führer der Vierten Internationale: Leute wie Cannon, Pablo, Mandel, Frank, Healy, Maitan, Lambert und ihre Unterstützer, die damals und in späteren Jahren einen ultralinken oder opportunistischen Fehler nach dem anderen machten. Diese Fehler ergaben sich vor allem aus einer grundlegend falschen Methode.

Um diese Behauptung zweifelsfrei zu belegen, müssen wir Dokumente aus der Vergangenheit zitieren. Das mag einige Schwierigkeiten beim Lesen mit sich bringen, aber die historische Genauigkeit ist wichtiger als der Lesefluss oder der Schreibstil.

Schwierige Bedingungen

Als Trotzki nach dem Anschlag eines stalinistischen Auftragsmörders im Sterben lag, waren seine letzten Worte: „Sagt den Genossen, dass ich überzeugt vom Sieg der Vierten Internationale bin. Geht vorwärts!“

Doch in den folgenden Jahren wurde klar, dass die Menschen, mit denen Trotzki zu arbeiten hatte, den großen Aufgaben der Geschichte nicht gerecht werden konnten.

Wir müssen dennoch die Gründe aufzeigen, aus denen die trotzkistische Bewegung von Anfang an von ständigen inneren Erschütterungen, Krisen und Spaltungen geprägt war.

Von Beginn an befand sich die Linke Opposition sowohl in Russland als auch international in einer äußerst schwierigen Lage. Sie war zahlenmäßig schwach, und ihre Reihen setzten sich zwangsläufig aus ganz unterschiedlichen Elementen zusammen, die zwar in ihrer Gegnerschaft zu Stalin und der Bürokratie vereint waren, darüber hinaus aber nicht notwendigerweise etwas gemeinsam hatten.

Es fällt schwer, in der Geschichte eine Bewegung zu finden, die ein derart extremes Maß an Verfolgung erleiden musste. Die von Sinowjew und Kamenew geführte Fraktion spaltete sich bald ab und kapitulierte schmählich vor Stalin. Damit erzeugten sie in den Reihen der Opposition große Verwirrung und Demoralisierung.

Nicht wenige Unterstützer der Linken Opposition gaben dem unerträglichen Druck nach und folgten Sinowjew, Kamenew und Radek, indem sie vor Stalin kapitulierten. Die meisten, wenn nicht alle, wurden später physisch liquidiert.

In den kleinen oppositionellen Gruppen in den Kommunistischen Parteien des Auslandes gab es ähnliche Schwierigkeiten. Viele Anhänger Trotzkis waren mutige und ehrliche Revolutionäre, aber andere gehörten offen gesagt nicht zu den Besten.

Die jahrelangen Niederlagen und der Sieg des Stalinismus in Russland belasteten sie und erzeugten eine allgemeine Stimmung der Depression und Desorientierung.

Es kostete Trotzki übermenschliche Anstrengungen, eine feste politische Grundlage für die neue Organisation zu legen, die aus dem Wrack der Kommunistischen Internationale hervorgehen sollte.

Die Opposition zog viele Personen an, die mit dem Trotzkismus nichts am Hut hatten: Sinowjewisten, Anarchisten, Ultralinke, auch prinzipienlose Abenteurer wie Raymond Molinier in Frankreich und eine beträchtliche Anzahl unterschiedlichster Außenseiter und Sonderlinge, die eine politische Heimat suchten.

Wir sprechen hier natürlich hauptsächlich von jungen, unerfahrenen und politisch naiven Schichten, meist mit studentischem oder kleinbürgerlichem Hintergrund. Sie brachten viele verwirrte und klassenfremde Ideen mit.

Selbst in der amerikanischen SWP (Socialist Workers Party) gab es Menschen wie etwa James Burnham, der nie wirklich Trotzkist und in gewisser Hinsicht nicht einmal Marxist war, wie seine spätere Ablehnung des dialektischen Materialismus bewies.

Aber Trotzki konnte sich die Menschen nicht aussuchen, mit denen er arbeiten musste. 1935 unterhielt er sich mit einem linken Mitglied der sozialistischen Jugend in Frankreich namens Fred Zeller. Im Verlauf des Gesprächs übte Zeller harte Kritik an den französischen Trotzkisten.

Trotzki versuchte nicht, die Mitglieder der französischen Sektion in Schutz zu nehmen. Er antwortete schlicht: „Man muss mit den Menschen arbeiten, die man zur Verfügung hat.“ Darin kam seine Haltung gegenüber vielen selbsternannten „Trotzkisten“ klar zum Ausdruck. Es war ein vernichtender Kommentar über die künftigen Führer der Vierten Internationale, über die sich Trotzki von Anfang an nur wenig Illusion machte. („On Organizational Problems“, November 1935).

Später bemerkte Trotzki:

„Es wäre absurd, zu bestreiten, dass es unter uns sektiererische Tendenzen gibt. Eine ganze Reihe von Diskussionen und Spaltungen hat sie aufgedeckt. Wie könnte es auch anders sein, als dass sich in einer ideologischen Bewegung, die in unversöhnlichem Gegensatz zu allen vorherrschenden Organisationen in der Arbeiterklasse steht, und die weltweit ungeheuerlichen, völlig beispiellosen Verfolgungen ausgesetzt ist, ein Element des Sektierertums herausbildet?“ (‚Sectarianism, Centrism and the Fourth International‘)

Das sich daraus ergebende Chaos zu bewältigen und untaugliche, klassenfremde Kräfte aus der Organisation zu entfernen, war ein langwieriger und schmerzhafter Prozess. Das führte zu vielen Spaltungen und Krisen in den folgenden Jahren.

Trotzki hatte, wie der deutsche Dichter Heine es formuliert hatte, „Drachenzähne gesät und Flöhe geerntet“.

Die amerikanische SWP

In den ersten Jahren spielte die amerikanische Sektion, die später zur SWP wurde, die führende Rolle. Die Ereignisse bewiesen ihre ernsthaften politischen Schwächen.

Von den internationalen Führern war James Cannon, die führende Persönlichkeit der amerikanischen Gruppe, anfangs wohl der Fähigste. Er hatte eine lange Geschichte der politischen Arbeit in der amerikanischen Arbeiterbewegung, die bis in die Tage der International Workers of the World (IWW) zurückreichte – eine Tatsache, die Trotzki sehr schätzte. Er hatte als Organisator viele gute Eigenschaften, aber er hatte auch eine äußerst negative Seite.

Cannon begann als Anhänger Sinowjews und wurde seine sinowjewistischen Tendenzen nie richtig los. Das war nicht die Schule des Bolschewismus, sondern eine Schule der Manöver, Intrigen und der Ersetzung einer sauberen politischen Debatte durch organisatorische Maßnahmen.

Trotzki hatte viel Wertschätzung für Cannons Loyalität, war aber nie mit seinen harten organisatorischen Methoden einverstanden. Er wusste genau, dass sie zu Krisen und Spaltungen führen mussten. In Verteidigung des Marxismus gab er folgenden interessanten Hinweis:

„Unsere eigenen Sektionen haben einiges Komintern-Gift geerbt – in dem Sinn, dass viele Genossen dazu neigen, Methoden wie Ausschlüsse, Spaltungen oder Drohungen mit Ausschlüssen und Spaltungen zu missbrauchen.“ (Brief an Farrell Dobbs, 10. Januar 1940)

Offensichtlich dachte Trotzki dabei an Cannon. Er unterstützte Cannon politisch gegen die kleinbürgerliche Opposition Burnhams und Shachtmans, aber er war sehr unglücklich über die überhasteten, übermäßig administrativen Methoden, mit denen Cannon gegen sie vorging.

Während er politisch eine unversöhnliche Haltung einnahm, war er tatsächlich gegen eine Spaltung der amerikanischen Sektion. Wie immer bevorzugte er die Waffe des klaren politischen Arguments und der theoretischen Klärung gegenüber kruden Methoden wie Schikanen, Drohungen und Ausschlüssen, die die Spaltung alternativlos machten.

Solange Trotzki am Leben war, konnte er seine Anhänger auf einer korrekten politischen Linie halten. Doch nach seinem Tod 1940 waren sie unfähig, in sich ändernden politischen Bedingungen die Bewegung neu zu orientieren.

Die Vierte Internationale

Die Gründung der Vierten Internationale im September 1938 war zweifellos ein historischer Meilenstein. Sie war der Versuch, angesichts der bevorstehenden historischen Aufgaben die Kader politisch und organisatorisch zusammenzuschweißen.

Trotzki ging davon aus, dass der kommende Zweite Weltkrieg eine revolutionäre Welle auslösen und alle Parteien und Strömungen auf die Probe stellen würde. Die alten Internationalen – die Zweite, die Dritte und das sogenannte Londoner Büro – waren verfault und Hindernisse für den Erfolg der sozialistischen Revolution geworden. Trotzki glaubte, dass die kommende weltweite Katastrophe diese Organisationen zerschlagen würde.

1938 machte er die gewagte Voraussage, dass innerhalb von zehn Jahren von den alten Organisationen kein Stein mehr auf dem anderen bleiben und dass das Programm der Vierten Internationale zum Orientierungspunkt für Millionen werden würde. (‘On the Founding of the Fourth International’, Fourth International, Vol. 1 No. 5, October 1940)

Aber dies war nur eine vorläufige Prognose. Eine Perspektive ist keine Kristallkugel, durch die man den genauen Ablauf der Ereignisse vorhersagen könnte, sondern eine bedingte Hypothese, die an die tatsächlichen Entwicklungen angepasst werden muss. Das gehört zum ABC für jeden, der auch nur entfernt mit der Methode des Marxismus vertraut ist.

Anlässlich des Krieges in Finnland erklärte Trotzki im November 1939:

„Wer exakte Vorhersagen konkreter Ereignisse will, sollte sich an einen Astrologen wenden. (…) Ich habe mehrmals auf die Bedingtheit meiner Prognose hingewiesen und darauf, dass sie nur eine von mehreren möglichen Varianten ist.“ (Bilanz der finnischen Ereignisse)

Diese Worte sind kristallklar. Doch für die sogenannten Führer der Vierten blieben sie ein Buch mit sieben Siegeln. Sie gingen davon aus, was Trotzki 1938 gesagt hatte, sei in Stein gemeißelt und könnte sich nicht ändern – unabhängig von den Bedingungen.

Eine derartige Ansicht ist das Gegenteil von Marxismus und steht in krassem Gegensatz zu allem, was Trotzki über ihn geschrieben hat. Das heißt nicht, dass Trotzkis ursprüngliche Vorhersagen völlig falsch gewesen wären. Im Gegenteil – in seiner Analyse der Weltlage zeigte sich ein viel tieferes Verständnis und eine viel größere Fähigkeit, die Ereignisse vorherzusehen, als bei irgendeinem anderen politischen Führer auf der Welt.

Einige der weitsichtigeren bürgerlichen Politiker verstanden das Risiko, dass ein Krieg revolutionäre Auswirkungen haben könnte. Der französische Botschafter in Deutschland, Coulondre, sagte am 25. August 1939 zu Hitler: „Ich fürchte nur, dass aus dem Krieg schließlich nur einer als Sieger hervorgehen würde: Trotzki.“

Für Coulondre war Trotzki hier die personifizierte Revolution. Doch durch den tatsächlichen Ausgang des Krieges kam es anders.

Der Mord an Trotzki

Die Ermordung Trotzkis war ein tödlicher Schlag für die jungen und unerfahrenen Kräfte der Vierten Internationale. Ohne seine Anleitung stellten sich die anderen Führer als völlig nutzlos heraus.

Durch seine persönliche Erfahrung mit dem Bolschewismus verstand Stalin, dass auch eine kleine internationale revolutionäre Bewegung eine Gefahr für sein Regime war. Er verstand auch die zentrale Rolle Trotzkis für die Vierte Internationale.

Als sich seine Agenten beschwerten, dass sie zu viel Zeit und Geld auf die Ermordung eines Einzelnen aufwenden mussten, widersprach Stalin ihnen. Ohne Trotzki sei die Vierte Internationale nichts, denn sie habe keine guten Führer. Er hatte nicht unrecht.

In einer völlig neuen Situation waren sie unfähig, sich richtig anzupassen und gerieten aus den Fugen. Das wirkte sich katastrophal auf die Entwicklung der neuen Internationale aus.

Der Krieg verlief in einer Weise, die selbst das größte Genie nicht hätte vorhersehen können. Der Kriegsausgang – insbesondere die Stärkung des Stalinismus – warf Trotzkis Perspektive von 1938 über den Haufen.

Es wurde allerdings nicht nur die Perspektive Trotzkis widerlegt, sondern auch die Perspektiven der Imperialisten – Roosevelt und Churchill, ganz zu schweigen von denen Hitlers und Stalins, die die größten Fehler von allen machten. Der Ausgang des Krieges zwischen der UdSSR und Nazideutschland war das entscheidende Ereignis, das die ganze Situation bestimmte.

Stalins Fehler

Der sogenannte „große Feldherr“ Stalin hatte die UdSSR in tödliche Gefahr gebracht. Durch die Massensäuberungen der Roten Armee 1937-38 und 1941 – kurz vor der deutschen Invasion – war die Sowjetunion weitgehend wehrlos gemacht worden.

Als deutsche Generäle Einspruch gegen den Angriff gegen die Sowjetunion erhoben, weil es ein tödlicher Fehler sei, an zwei Fronten zugleich zu kämpfen, antwortete Hitler, die Sowjetunion sei keine Herausforderung, weil sie keine guten Generäle habe.

Der berüchtigte Hitler-Stalin-Pakt 1939 war in Wirklichkeit ein Defensivmanöver seitens der Sowjetunion. Indem er einen Nichtangriffspakt mit Hitler unterschrieb, glaubte Stalin, er habe die Gefahr eines deutschen Angriffs gebannt. Er täuschte sich.

Hitlers Einmarsch in die Sowjetunion im Sommer 1941 war eine Überraschung für Stalin. Das Volk der Sowjetunion zahlte einen wirklich entsetzlichen Preis.

Die Imperialisten hatten gehofft, der Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion werde zur Abnutzung beider Seiten führen, so dass die Amerikaner und Briten am Ende die lachenden Dritten sein würden.

In Europa war der Zweite Weltkrieg im Wesentlichen ein Kampf um Leben und Tod zwischen der stalinistischen Sowjetunion und Hitlerdeutschland, wobei letzteres auf alle Ressourcen Europas zurückgreifen konnte.

Anfänglich schien die Position der Sowjetunion hoffnungslos zu sein.

Trotzki hatte gewarnt, die Hauptgefahr für die Sowjetunion im Kriegsfall bestünde aus der Masse billiger Waren, die eine imperialistische Armee (etwa die amerikanische) im Gepäck mitbringen könnte. Es kam anders. Die deutsche Invasion brachte nicht billige Waren, sondern Massenmord, Konzentrationslager und Gaskammern. Die Nazis betrachteten das Sowjetvolk als Untermenschen und behandelten es entsprechend.

Trotz der Verbrechen Stalins und der Bürokratie scharten sich die sowjetischen Massen daher um die Errungenschaften der Oktoberrevolution und kämpften mit erstaunlicher Tapferkeit gegen Hitler, um die Eindringlinge zurückzuschlagen. Allen Widrigkeiten zum Trotz brachte die Rote Armee den Vormarsch der Nazis zum Stillstand und fügte Hitler anschließend eine vernichtende Niederlage zu.

Das spielte eine entscheidende Rolle und veränderte die Gesamtsituation grundlegend. Der Sowjetunion verschaffte es gewaltiges Prestige und stärkte so, entgegen Trotzkis Erwartungen, das stalinistische Regime für eine ganze historische Periode.

Das ermöglichte den Stalinisten, die Massenbewegungen fest im Griff zu behalten und die revolutionäre Welle nach dem Krieg zu verraten.

Dieser historische Verrat lieferte die politische Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung, die zum Nachkriegsboom, einem beispiellosen Aufschwung des Kapitalismus, führte. So wurde das Leben des kapitalistischen Systems verlängert.

Der Stalinismus wurde nicht gestürzt, wie Trotzki erwartet hatte, sondern enorm gestärkt. Die Rote Armee zerschlug Hitlers Armeen und besetzte große Teile Osteuropas.

Fortan gab es zwei Weltmächte: Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten. Letztere wurden zur herrschenden imperialistischen Macht.

Die Vereinigten Staaten litten nicht wie Europa unter einer unfassbaren Zerstörung durch den Krieg. Ihre Industrie blieb intakt und ihr Staatshaushalt quoll geradezu über.

Dadurch waren sie in der Lage, den europäischen Kapitalismus zu stützen und die nötige wirtschaftliche Hilfe zu leisten, um ganz anders als nach dem ersten Weltkrieg eine Phase des Wiederaufschwungs einzuleiten.

All dies bedeutete, dass Trotzkis Perspektive von 1938 durch die Geschichte widerlegt wurde. Hätte Trotzki überlebt, hätte er die Perspektive von 1938 zweifellos revidiert und die Bewegung entsprechend neu orientiert.

Die Führer der Vierten Internationale – Cannon, Hansen, Pablo, Mandel, Maitan und Pierre Frank – und ihre Anhänger versagten jedoch kläglich. Sie waren der Aufgabe nicht gewachsen. Da sie die Methode Trotzkis, in anderen Worten die Methode des Marxismus, nicht verstanden, wiederholten sie einfach die veraltete Perspektive von 1938 – unmittelbar bevorstehende Phase von Krieg und Revolution – als wäre nichts geschehen.

Wie kopflose Papageien plapperten sie nach, was Trotzki vor seinem Tod gesagt hatte, als wäre die Uhr stehengeblieben. Sie verstanden nie seine dialektische Methode und seine Herangehensweise an Perspektiven. Diese Weigerung, anzuerkennen, was sie vor Augen hatten, führte zu einem Fehler nach dem anderen und schließlich zu einer gewaltigen Krise innerhalb der Internationale.

Die Bedeutung der Führung

Für die marxistische Methode des historischen Materialismus sind die objektiven Faktoren die grundlegenden Triebkräfte der Geschichte. Dazu gehört insbesondere die Entwicklung der Produktivkräfte. Der historische Materialismus hat andererseits niemals die Wichtigkeit des subjektiven Faktors oder die Rolle des Individuums in der Geschichte bestritten.

Der Krieg zwischen den Nationen und der Klassenkampf haben viele Parallelen. In einem Krieg sind gute Generäle offensichtlich von großer, ja entscheidender Bedeutung. Wenn sich die Armee in der Offensive befindet, ist das selbsterklärend. Aber die Führung ist tatsächlich noch wichtiger, wenn die Armee zum Rückzug gezwungen ist.

Mit guten Generälen kann man den Rückzug organisiert durchführen, die Verluste minimieren und den Großteil der eigenen Kräfte vor der Vernichtung retten. Schlechte Generäle hingegen machen aus einem Rückzug eine Panikflucht.

Genau das war bei der Vierten Internationale der Fall: Durch völlige Unfähigkeit verwandelte die Führung einen notwendigen Rückzug in eine kopflose Flucht. Mit ihren Methoden zerstörten sie schließlich die Bewegung, die Leo Trotzki unter größten Mühen aufgebaut hatte.

Die Rolle von Ted Grant

Die einzige Strömung, die aus dieser Existenzkrise des Trotzkismus mit einigem Verdienst hervorging, war die Workers‘ International League (später die Revolutionary Communist Party) in Großbritannien.

Nur sie war in der Lage, die neue Situation richtig einzuschätzen und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Nur sie kann wirklich als Verteidigerin von Trotzkis Methode und als legitime Nachfolgerin seines politischen Erbes gelten.

Lenin war nach dem Tod von Marx und Engels der wesentliche Verteidiger des Marxismus. Nach Lenins Tod fiel diese Rolle Leo Trotzki zu. Und in gleicher Weise war nach Trotzkis Tod der eigentliche Verteidiger seiner Ideen und Methode Ted Grant.

Hier ist nicht der Ort, um ausführlich auf Teds Leben und Werk einzugehen. Wir beschränken uns auf eine knappe Skizze. Für eine umfassendere Darstellung verweisen wir auf die Biographie von Alan Woods: Ted Grant, the Permanent Revolutionary.

Ted schloss sich 1929 in Johannesburg der trotzkistischen Bewegung an. 1934 emigrierte er von Südafrika nach Großbritannien, um ein größeres politisches Betätigungsfeld zu finden.

Dort schloss er sich den Trotzkisten in der Independent Labour Party (ILP) an. Da sich die Möglichkeiten in der ILP erschöpften, wandten sich die jungen Genossen auf Trotzkis Rat hin der Arbeit in der Labour Party zu, insbesondere ihrer Jugendorganisation.

1937 traf eine weitere Gruppe südafrikanischer Genossen, darunter Ralph Lee, in London ein und stieß zu Ted und Jock Haston in der Ortsgruppe Paddington der Militant Group. Sie wurden zu den aktivsten Mitgliedern der Organisation.

Die Methode der Führung widerspiegelte den weitgehend kleinbürgerlichen Charakter der Militant Group, mit typischer Zirkelmentalität, engstirnigen Intrigen und schwacher Verbindung zur Arbeiterklasse. Ab 1934 gab es so ständige Spaltungen.

Ende 1937 entschlossen sich acht Genossen zum Aufbau einer neuen Organisation, der Workers‘ International League (WIL).

Die Gründung der WIL bedeutete einen entscheidenden Bruch mit den alten „trotzkistischen“ Gruppen der vorherigen Periode und markierte den wirklichen Anfang unserer Strömung, den Anfang des genuinen Trotzkismus in Großbritannien.

Schnell tat sich Ted als Haupttheoretiker der Gruppe hervor. Er war ihr politischer Sekretär und Chefredakteur ihrer neuen Zeitung Socialist Appeal.

Der Briefwechsel mit Trotzki

Sechs Wochen nach Gründung der WIL, am 12. Februar 1938, schickten sie einen Brief an Trotzki in Mexiko und berichteten ihm, dass die Gruppe eine Druckerei aufgebaut hatte.

Trotzki war entsprechend beeindruckt. Am 15. April 1938 schrieb er einen Brief an Charles Sumner in Großbritannien, mit dem er seit 1937 in Kontakt stand, und informierte ihn über die bevorstehende Reise James Cannons nach Großbritannien, die den Aufbau einer echten Sektion der Vierten Internationale unterstützen sollte.

Wenig später, Anfang Juni, hatte die WIL die neue Ausgabe seiner Spanischen Lehren mit einem Vorwort von Ted Grant und Ralph Lee herausgegeben. Stolz schickten sie Trotzki eine Kopie.

Am 29. Juni 1938 schrieb Trotzki einen weiteren Brief an Charles Sumner. Er war voll des Lobes für die Initiative der WIL: „Ich habe Ihre Ausgabe meiner Broschüre über Spanien mit dem hervorragenden Vorwort erhalten“, schrieb er.

Noch einmal beglückwünscht Trotzki die WIL-Genossen zum Aufbau ihrer Druckerei: „Es war wirklich eine gute, revolutionäre Idee, eine eigene Druckerei aufzubauen.“ Sein Brief endet mit den Worten: „Meine herzlichsten Grüße an Sie und Ihre Freunde.“

Trotzkis Brief ist für unsere Geschichte von großer Bedeutung. Erstens taucht der Brief nirgends in Trotzkis Schriften auf, die von Pathfinder Press, dem Verlag der amerikanischen SWP, herausgegeben wurden. Dabei befand er sich mit Sicherheit in deren Besitz.

Erst 2018 kam er wieder ans Tageslicht. Nur durch Zufall geriet er in unsere Hände. Es war wirklich eine außergewöhnliche Wendung des Schicksals, für die wir ewig dankbar sind. Dieser unterdrückte Brief, der die WIL lobt, kann als unsere lange verschollene Geburtsurkunde gelten. Es ist der einzige existierende Brief, in dem Trotzki selbst die WIL erwähnt – und das in derart leuchtenden Farben.

Er wurde von den Führern der SWP (und besonders von Cannon) gezielt unterdrückt, weil sie die WIL aus Gründen des persönlichen Prestiges und aus Feindseligkeit bewusst kleinreden wollten, wie wir noch sehen werden.

Cannons verhängnisvolle Rolle

Im August 1938 besuchte James Cannon Großbritannien, um die verschiedenen trotzkistischen Gruppen vor der Gründungskonferenz der Vierten Internationale zu einer einzigen Organisation zu vereinigen.

Damals gab es vier Gruppen in Großbritannien: die Revolutionary Socialist League (geführt von CLR James, Wicks und Dewar); die Militant Group (geführt von Harber und Jackson); eine Gruppe in Schottland, die Revolutionary Socialist Party (geführt von Maitland und Tait); und die WIL (geführt von Ralph Lee, Jock Haston und Grant).

Allerdings verfolgten diese Gruppen sehr unterschiedliche Ansätze, sowohl in der taktischen Orientierung – von offener Arbeit bis zum Entrismus – und in der praktischen Umsetzung. Diese taktischen Differenzen stellten unüberwindbare Hindernisse für eine gemeinsame Arbeit dar.

Um diese Schwierigkeit zu überwinden, war es zunächst notwendig, eine gründliche Diskussion über Taktik und Programm zu führen und eine gemeinsame Linie festzulegen. Auf dieser Grundlage wäre eine Vereinigung möglich gewesen.

Cannon ignorierte das. Er versuchte, die Gruppen rein organisatorisch zu vereinigen. Für ihn waren die Differenzen in der Orientierung nicht bedeutsam.

Er berief also eine Einheitskonferenz der verschiedenen Gruppen ein, um eine formale Vereinigung durchzudrücken. Die WIL stimmte einer Teilnahme zu, war aber gegen eine künstliche Einheit ohne wirkliche Diskussion. Auf einer so dünnen Grundlage wäre die Einheit nur eine Garantie für zukünftige Spaltungen gewesen.

Doch Cannon wollte die Einheit um jeden Preis. Es gab bei der Einheitskonferenz daher keine Debatte über politische Perspektiven oder irgendwelche taktischen Differenzen. Die Gruppen sollten einfach nur eine von Cannon verfasste „Friedens- und Einheitsvereinbarung“ unterzeichnen, nachdem sie 20 Minuten darüber nachdenken durften.

Die WIL hielt dieses Vorgehen für prinzipienlos und blieb daher außerhalb der „vereinigten“ Organisation.

Im darauffolgenden Monat, Anfang September 1938, fand in Paris die Gründungskonferenz der Vierten Internationale statt.

Obwohl die WIL nicht Teil der „vereinigten“ Organisation war, bekundete sie den Wunsch, wenn schon nicht als vollwertige Sektion, so doch zumindest als sympathisierende Sektion der Vierten Internationale anerkannt zu werden. Cannon schien mit der Idee einer sympathisierenden Sektion einverstanden und die WIL wurde gebeten, einen Delegierten zur Gründungskonferenz zu entsenden. Leider hatten sie nicht die Mittel, jemanden zu schicken. Stattdessen übergaben sie einem Delegierten eine Stellungnahme zu ihrer Position, damit diese auf der Konferenz vorgetragen werde.

Doch auf der Konferenz hatte Cannon seine Meinung offensichtlich geändert. Gekränkt über die Weigerung der WIL, sich mit den anderen Gruppen zu vereinigen, nutzte er die Gelegenheit, um die WIL zu verleumden und ihre Bemühungen, als sympathisierende Sektion aufgenommen zu werden, zu blockieren. Die Botschaft der WIL an den Kongress wurde nicht an die Delegierten ausgeteilt. Diese böswillige Geste macht deutlich, wie Cannon an solche Dinge heranging.

Die Gründungskonferenz bestätigte schließlich die frisch vereinigte Sektion, die sich den Namen Revolutionary Socialist League (RSL) gab, als offizielle britische Sektion.

Cannon, der seinen Groll gegen die WIL weiter hegte, berichtete Trotzki, dass die Haltung der WIL „von der internationalen Konferenz verurteilt“ worden sei. Er sprach sich für eine „feste und unnachgiebige Haltung“ gegenüber der WIL aus, der man „keinesfalls Legitimität“ zusprechen dürfe. Er beschwerte sich allerdings darüber, die RSL sei „nicht daran gewöhnt, wie ‚brutal‘ (d.h. bolschewistisch) wir mit Gruppen umgehen, die mit der Spaltung spielen.“ (James P. Cannon, ‘Impressions of the Founding Conference, 12 October 1938’, in Joseph Hansen, James P. Cannon – The Internationalist, July 1980)

Dieser letzte Kommentar sagt uns einiges über Cannons Methode. Genau so ging Cannon auch in der SWP gegen Leute vor, die ihm im Weg standen. Solche Methoden sollten zum Standard des bürokratischen Regimes in der sogenannten Vierten Internationale werden.

Uns ist nicht überliefert, wie Trotzki auf Cannons verleumderische Äußerungen reagierte. Er scheint sie schlicht ignoriert zu haben. Da ihm keine anderen Informationen aus erster Hand vorlagen, zog er es offensichtlich vor, abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Es war klar, dass Trotzki, der sich nie zu vorschnellen Urteilen hinreißen ließ, sich sein Urteil über die WIL zunächst vorbehielt. Er hatte sie schließlich zuvor offen gelobt. Trotzki hat die WIL nie angegriffen, wie manche Sektierer behaupten. Überliefert ist allein sein Lob für die Initiativen der WIL.

„Von diesem Zeitpunkt an“, erklärte Ted Grant, „hegte Cannon einen tiefsitzenden Groll gegen die WIL und ihre Führung – mit ernsten Folgen für die Zukunft.“ (History of British Trotskyism, S. 63)

Wie sich dieser Groll in regelrechten Hass verwandelte, zeigt eine spätere Aussage Cannons selbst:

„Alle Verbrechen und Fehler dieser bis ins Mark verrotteten Haston-Fraktion lassen sich direkt auf ihren Ursprung als prinzipienlose Clique im Jahr 1938 zurückführen. Als ich wenig später im selben Jahr, kurz vor dem ersten Weltkongress, in England war, brandmarkte ich die Lee-Haston-Fraktion als prinzipienlos, von ihrer Geburt an. Ich habe ihnen in all ihrer späteren Entwicklung nie das geringste Vertrauen entgegengebracht, ganz gleich, welche Thesen sie gerade schrieben oder verabschiedeten.“ (Cannon, Speeches to the Party, S. 296–297)

Das bringt Cannons ganze Methode auf den Punkt. Von den „Führern“ der Vierten war James Cannon wohl der beste. Doch nach Trotzkis Tod hielt er sich für den Führer, als die einzige Person, die berechtigt war, Trotzkis Erbe zu vertreten.

Er war dieser Aufgabe allerdings nicht gewachsen. Cannon war mit Sicherheit kein Theoretiker. Darauf war er sogar stolz. „Ich bin mit eiserner Hand gegen jeden vorgegangen, der mich einen Theoretiker nannte“, erklärte Cannon einmal. (Writings & Speeches 1940–43, S. 360)

Im Kern war er im Wesentlichen ein Mann fürs Organisatorische – ein engstirniger Praktiker mit nur rudimentärem Verständnis des Marxismus. Da es ihm an tiefem theoretischem Verständnis fehlte, konnte er Kritikern keine ernsthaften Antworten geben und zog es vor, sie in schroffster Sprache zu verurteilen und nötigenfalls mit administrativen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Er betonte selbst seine Rolle als „harter Hund“:

„Als ich nach neun Jahren aus der KP kam, war ich ein erstklassiger Fraktionsschläger. Sonst hätte ich gar nicht überleben können. Alles, was ich wusste, war: Wenn jemand Streit anfängt, kriegt er ihn. Dieses Leben war alles, was ich kannte.“

Das zeigte sich deutlich in den Debatten mit Shachtman und der Opposition in der SWP 1939/40, die Trotzki scharf kritisierte. Später räumte Cannon ein, dass Trotzki recht und er unrecht gehabt habe:

„Ich denke, Trotzki hat recht, wenn er sagt, dass im langen Streit zwischen Cannon und Abern das historische Recht auf Cannons Seite liegt. Aber das heißt nicht, dass ich in allem recht hatte. Nein, ich lag in vielem falsch, einschließlich meiner Methoden und meiner Ungeduld und Grobheit gegenüber Genossen, die ich damit vor den Kopf gestoßen habe.“

Cannon war also direkt aus der schlechten Schule des Sinowjewismus gekommen: Gewohnheitsmäßige Anwendung skrupelloser organisatorischer Manöver zur Ruhigstellung von Gegnern, Denunzieren und Niederschreien statt geduldigen Antwortens, wie es bei Lenin und Trotzki üblich gewesen war.

Dass die Gründungskonferenz der Vierten Internationale die RSL unterstützt und die WIL verurteilt hatte, stellte sich bald als Fehler heraus.

Kaum war die Tinte auf der „Friedens- und Einheitsvereinbarung“ getrocknet, wurden schon erste Risse in der „vereinigten“ Organisation, der RSL, sichtbar. Sie wuchsen sich zu Spaltungen aus. Bis zum Jahresende hatte sich die RSP abgespalten. Die „Linken“ taten es ihr gleich und gründeten ihre Revolutionary Workers League (RWL). Es setzte eine allgemeine Desintegration ein.

Die WIL verfasste dazu eine Erklärung:

„Erneut stellte sich die alte Situation her – nur noch chaotischer als je zuvor. Unsere Bewegung bestand weiterhin aus lauter ‚Generalstäben‘, aber ohne Armeen.“

Cannon beklagte diesen Umstand, war aber nie bereit, ihn einzugestehen. Die WIL hingegen wurde immer stärker.

Ein Bericht der WIL erklärt:

„In dieser Zeit setzte die WIL ihre Arbeit fort – in der Überzeugung, dass der einzige Ausweg aus der Sackgasse des britischen Trotzkismus darin bestand, mit dem alten Cliquengeist und dem kleinbürgerlichen Milieu zu brechen und neue Arbeiter zu gewinnen, um die Reihen der Bewegung zu stärken. Dass wir unter der Denunziation des IS (Internationalen Sekretariats) zu leiden hatten, steht außer Frage. Doch da wir die richtige Politik und die richtige Haltung hatten, verschaffte uns die allgemeine Geschlossenheit in unseren Reihen eine Überlegenheit in der Ausrichtung und Organisation unserer Kader. Damit begann eine neue Phase in der Entwicklung unserer Bewegung.“ (https://www.marxists.org/history/etol/revhist/backiss/vol1/no1/wil.html)

Die Internationale zieht nach New York

Als im September 1939 der Krieg ausbrach, wurde beschlossen, das Hauptquartier der Vierten Internationale nach New York zu verlegen. Die SWP wurde damit praktisch zur Führung der Organisation. Sam Gordon, Cannons gehorsamer Handlanger, wurde zu ihrem Verwaltungssekretär gemacht.

Der Krieg und Hitlers Besetzung Europas zwangen die europäischen Sektionen in den Untergrund oder in die Inaktivität. Selbst dort, wo sie arbeiten konnten, waren sie von politischer Verwirrung und Meinungsverschiedenheiten befallen. Es gab in Wirklichkeit kaum Kontakt zwischen New York und den Überresten der trotzkistischen Gruppen in Europa.

Es gab insbesondere Differenzen über Trotzkis Proletarische Militärpolitik, die auf breite Ablehnung stieß. Einige Sektionen warfen Trotzki sogar „Sozialpatriotismus“ vor.

Dabei handelte es sich keineswegs um eine nebensächliche Frage. Die Proletarische Militärpolitik war gerade zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein besonders wichtiger Beitrag Trotzkis. Sie stellte eine Weiterentwicklung von Lenins Politik des „revolutionären Defätismus“ im Ersten Weltkrieg dar. Während sich Lenins Politik jedoch an die Kader richtete, wandte sich Trotzkis Militärpolitik an die Massen. Trotzki erklärte, Revolutionäre müssten ihr Programm den Erfordernissen der Situation anpassen und den Verteidigungsdrang in der Arbeiterklasse berücksichtigen. Zwar lehnten wir den imperialistischen Krieg ab, mussten aber trotzdem an die Arbeiter anknüpfen, die gegen Hitler kämpfen wollten.

Die Arbeiterklasse konnte den Kapitalisten nicht trauen. Die Arbeiter waren keine Pazifisten, sondern brauchten ein eigenes revolutionäres Militärprogramm mit dem Ziel, dass die Arbeiter selbst die Macht übernehmen und einen revolutionären Krieg gegen den Faschismus führen.

Viele Sektionen der Vierten Internationale waren jedoch vom Sektierertum früherer Jahre geprägt.

Die britische RSL – wohlgemerkt die offizielle Sektion der Vierten Internationale – lehnte diese Politik rundweg ab, während die belgische Sektion in ihrer Fassung des von Trotzki entworfenen Manifests von 1940 sämtliche Passagen dazu strich. Auch die Franzosen hatten „Vorbehalte“, ebenso wie das Europäische Sekretariat unter Marcel Hic und nach dessen Verhaftung unter Raptis (Michel Pablo). Wie man sieht, erstreckte sich die Opposition gegen diese Politik – ein Ausdruck sektiererischer Tendenzen – bis hin zur Spitze der Vierten Internationale.

Ein Beitrag an das Internationale Sekretariat (Broué: Trotsky, Trotskyists and WW2) von einem gewissem „AM“, entweder Franzose oder Belgier, trug den Titel „Über die Proletarische Militärpolitik – Hat der Alte den Trotzkismus getötet?“ Darin wurde Trotzki des „schlichten, einfachen Chauvinismus“ beschuldigt. In demselben Tonfall hieß es weiter: „Wir müssen offen und ehrlich die Frage stellen, ob wir uns überhaupt weiter ‚Trotzkisten‘ nennen können, wenn der Führer der Vierten Internationale sie in den Sumpf des Sozialchauvinismus gezogen hat.“

Das veranschaulicht die völlige Verwirrung, die zu dieser Zeit in den Reihen der Vierten Internationale herrschte.

Das Ende der RSL

Als Trotzki im August 1940 starb, befand sich die RSL in einem erbärmlichen Zustand. Im selben Jahr beklagte die Notkonferenz der Vierten Internationale „die Tatsache, dass außerhalb unserer offiziellen britischen Sektion nicht weniger als vier Gruppen existieren, die sich zur Vierten Internationale bekennen.“ In einem Anflug von Optimismus hieß es in der Resolution: „Die Notkonferenz der Vierten Internationale begrüßt die bevorstehende Vereinigung der britischen Sektion.“ (Documents of the Fourth International, S. 359)

Das Problem bestand darin, dass die RSL eine sektiererische Gruppierung war. Sie lehnte Trotzkis Proletarische Militärpolitik ab. Ihr Entrismus in der Labour Party ist zu einem völligen Fetisch verkommen, obwohl das Leben innerhalb der Labour Party faktisch zusammengebrochen war. Die Tätigkeit der RSL beschränkte sich im Wesentlichen auf interne Diskussionen, ein Ausdruck ihrer Isolation. Im Grunde war sie „in den Untergrund gegangen“ – aber es fiel eigentlich niemandem auf.

Hingegen hatten sich die Genossen der WIL in die Arbeit gestürzt, als im September 1939 der Krieg ausbrach, und sich der neuen Situation angepasst. Während der ganzen Periode machten sie die effektivste revolutionäre Arbeit in der ganzen Vierten Internationale, indem sie die Proletarische Militärpolitik enthusiastisch und höchst geschickt anwandten. Nirgendwo sonst auf der Welt wurde sie so erfolgreich angewandt wie in den britischen Fabriken und Streitkräften.

Die WIL war damals die erfolgreichste trotzkistische Gruppe in der Anwendung von Trotzkis Methode. Sie stellte unter Beweis, dass sie die Ideen durchdrungen hatte und sie flexibel anwenden konnte. Ihre Herangehensweise wurde im Dokument Preparing for Power (Workers‘ International News, Vol. 5, No. 6, 1942), das Ted Grant geschrieben hatte, sowie in seiner Antwort an die RSL (in The Unbroken Thread) umrissen.

Je länger der Krieg dauerte, desto peinlicher wurde den Amerikanern, besonders Cannon, das Sektierertum der RSL. Sie lehnten nicht nur die Proletarische Militärpolitik ab, sondern hatten deren Ablehnung sogar zu einem Mitgliedskriterium gemacht! Im Sommer 1943 hatte sich ihre Mitgliedschaft auf 23 reduziert. Sie war de facto zusammengebrochen. Etwas musste geschehen, doch Cannon konnte dabei auf keinen Fall zugeben, dass die WIL von Anfang an recht gehabt hatte. Er ging das Problem daher durch eine Reihe von Manövern an.

Bereits im Juni 1942 schrieb die Führung der Internationale an die RSL und drängte sie, über eine Vereinigung mit der WIL zu verhandeln. Die RSL war gegen eine Vereinigung, stimmte aber zu, eine Reihe politischer Debatten zu führen. Doch diese Diskussionen vertieften die Differenzen nur weiter.

Das IS wollte das Problem mit organisatorischen Mitteln lösen. Es begann also, mit Gerry Healy zusammenzuarbeiten, der seinerseits schon lange einen Groll gegen die WIL-Führung um Grant und Haston hegte.

Gerry Healy

Healy war ein Gründungsmitglied der WIL. Er verfügte über gewisse organisatorische Fähigkeiten und Energie, war aber offensichtlich unbeständig. Er neigte dazu, unbekümmert aus der Organisation auszutreten und dies als Druckmittel gegen die Führung einzusetzen. Trotz seiner Ultimaten und Konflikte mit Genossen wurde er jedes Mal zurückgeholt, weil man hoffte, sein Organisationstalent irgendwie nutzen zu können.

Bei einer ZK-Sitzung im Februar 1943, trat Healy dann ein weiteres Mal aus und verkündete, er wolle der ILP beitreten, da eine „weitere Zusammenarbeit mit J. Haston, M. Lee und E. Grant“ unmöglich sei. Er verließ die Sitzung und wurde vom Zentralkomitee einstimmig ausgeschlossen.

Später wurde er erneut aufgenommen, durfte aufgrund seiner Vorgeschichte aber keine Verantwortung mehr übernehmen. Das steigerte nur seinen Groll auf die Führung, und so begann er, im Auftrag des IS und Cannons, mit denen er seit 1943 in Kontakt war, eine Fraktion in der WIL aufzubauen.

Der Zerfall der RSL zwang das IS, einzuschreiten und die RSL durch eine absurde „Zwangsheirat“ ihrer verschiedenen Trümmer neu zu konstituieren. Im Anschluss daran führten „Verhandlungen“ mit der WIL zur Einigung, im März 1944 die Revolutionary Communist Party (RCP) zu gründen.

In Wirklichkeit bedeutete diese Fusion angesichts des Zustands der RSL eine vollständige Übernahme durch die WIL. Das spiegelte sich auch in der Zusammensetzung der Delegierten beim Gründungskongress der RCP wider: Während die WIL 52 Delegierte stellte, hatte die RSL nur 17 Delegierte, die aus verschiedenen Teilen zustande kamen.

Doch schon wenige Monate nach der Vereinigung begann die internationale Führung eine Kampagne, um die neue RCP-Führung zu diskreditieren. Ein Bericht über den Gründungskongress der RCP erschien im internationalen Bulletin der SWP (Juni 1944), der Fehler, Verdrehungen, Verleumdungen und haltlose Kritiken an der britischen Führung enthielt und ihr „eine nationalistisch gefärbte Abweichung“ vorwarf.

Im Bericht heißt es: „Natürlich bringt die Führung sowohl alle positiven als auch die negativen Eigenschaften, die sie in der WIL hatte, mit in die RCP.“

Die RCP-Führung reagierte umgehend auf diesen feindseligen „Bericht“ und schickte den SWP-Führern eine scharfe Antwort, in der die Verleumdungen Punkt für Punkt widerlegt wurden.

Der Brief griff auch die hinterhältigen Methoden der SWP-Führung an, die nur dazu dienten, Misstrauen innerhalb der Internationale zu säen.

Das Antwortschreiben der RCP endete so:

„Zum Abschluss dieses Briefes möchten wir sagen, dass es uns keine Freude gemacht hat, ihn zu schreiben. Nur mit größtem Widerwillen haben wir uns dafür von dringenderen politischen Aufgaben abhalten lassen. Vielleicht kommt manchen Genossen der Tonfall übermäßig scharf vor. Wir haben uns allerdings absichtlich zurückgehalten. Wir wollen die Lage entschärfen, nicht aufbauschen. Die Verantwortung für den Konflikt liegt ganz auf den Schultern von Stuart [Sam Gordon] und seinem unmittelbaren Freundeskreis. Wir wollen in der Internationale loyal mit der SWP und ihrer Führung zusammenarbeiten, mit der wir in allen wichtigen politischen Fragen übereinstimmen. Wir haben allerdings etwas dagegen, dass die amerikanische Führung oder eine Fraktion von ihr organisatorische Fraktions- oder Cliqueninteressen in Großbritannien verfolgt. Das ist die internationale Methode von Sinowjew und nicht von Trotzki.“ (Hervorhebung im Original)

Der Brief war im Namen des Politischen Büros der RCP unterzeichnet und datiert auf Januar 1945.

Zweifellos betrachtete Cannon das RCP-Schreiben als Affront und war nun entschlossener denn je, die „illoyale“ britische Führung mit allen Mitteln zu zerschlagen.

Morrow und Goldman

Angesichts der Weigerung der internationalen Führung – insbesondere der SWP-Führer –, die Realität anzuerkennen, begann sich gegen Ende 1943 eine Opposition um Albert Goldman und Felix Morrow zu formieren, zwei führende Mitglieder der SWP.

Morrow und Goldman widersprachen der Behauptung der SWP-Führer, dass es nach dem Krieg keine bürgerliche Demokratie mehr geben könne.

Auf dem Oktoberplenum der SWP 1943 hieß es in der Mehrheitsresolution: „Europa ist heute von den Nazis versklavt und wird morgen vom ebenso räuberischen angloamerikanischen Imperialismus überrannt werden“. Dieser werde „militärisch-monarchistisch-klerikale Diktaturen unter der Fuchtel und Hegemonie des angloamerikanischen Big Business“ errichten.

Es führte aus: „Aus der Perspektive Roosevelts und Churchills gibt es die Wahl zwischen einer Regierung nach dem Vorbild Francos oder dem Gespenst der sozialistischen Revolution. (Fourth International, Vol. 4 No. 11, December 1943).

Später erklärte die Resolution vom 11. Parteitag der SWP im November 1944:

„Die bürgerliche Demokratie blühte mit dem Aufstieg und der Ausbreitung des Kapitalismus und mit der Mäßigung der Klassenkämpfe auf, was eine Grundlage für die Zusammenarbeit der Klassen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern bildete. Heute ist sie in Europa überlebt. Der europäische Kapitalismus wird in seinem Todeskampf von unversöhnlichen und blutigen Klassenkämpfen zerrissen. Die anglo-amerikanischen Imperialisten verstehen, dass Demokratie heute mit dem Fortbestand der kapitalistischen Ausbeutung unvereinbar ist.“ (Fourth International, Vol. 5, Nr. 11, Dezember 1944).

Dem hielten Morrow und Goldman entgegen, dass die Bourgeoisie durchaus in der Lage sei, mittels bürgerlich-demokratischer Methoden die europäische Revolution aufzuhalten. Sie waren außerdem der Meinung, dass angesichts der Erfolge der Roten Armee der Stalinismus nicht geschwächt würde, wie es die Führer der SWP behaupteten, sondern gestärkt. Zudem waren sie der Meinung, dass die Vierte Internationale energisch für demokratische und Übergangsforderungen kämpfen müsse.

Morrow und Goldman hatten sowohl recht damit, eine Revision der Perspektive von 1938 zu fordern, als auch mit ihrer Kritik an den Führern der SWP. Allerdings tasteten sie sich noch an eine alternative Perspektive heran.

Angesichts der Schwäche der trotzkistischen Kräfte argumentierten Morrow und Goldman schließlich, die trotzkistischen Gruppen sollten in die Massenorganisationen eintreten. Doch da es in diesen Organisationen weder eine Gärung gab, noch sich oppositionelle Massenströmungen entwickelten, fehlte die Grundlage für einen solchen Ansatz.

Die Position von Morrow-Goldman mag ihre Schwächen gehabt haben. Aber wenigstens versuchten sie, die Situation neu einzuschätzen, nachdem sich der Krieg in seiner eigentümlichen Weise entwickelt hatte. Ihre Position wies auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht in die richtige Richtung. Ihr Problem war, dass sie sich in der SWP in einer kleinen Minderheit befanden, während in der Partei das Cannon-Regime herrschte. Wenn es in der SWP ein gesundes Regime gegeben hätte, hätte man demokratisch ihre Ideen diskutieren und auf dieser Grundlage zu einer besseren Position finden können.

Auf jeden Fall war ihre Position tausendmal richtiger als die der Cannon-Führung.

Das Cannon-Regime

Doch die Cannon-Führung beharrte stur auf ihrer Linie und wiederholte schlicht Trotzkis Perspektive von 1938. Trotz der veränderten Bedingungen leugneten sie die Realität und steckten den Kopf in den Sand. Cannon ging sogar so weit, zu leugnen, dass der Zweite Weltkrieg 1945 zu Ende gegangen war.

Die britische RCP trat gegen diesen Unsinn auf. Das konnte Cannon nicht dulden. Er verurteilte sowohl Morrow/Goldman als auch die RCP.

Auf einer Sitzung des Nationalkomitees der SWP am 6./7. Oktober 1945 eröffnete Cannon seinen Generalangriff. Seine vor Gift triefende Rede endete mit den Worten:

„Ihr seid in einem Block und schämt euch schon offen dafür, aber wir werden diesen Block und alles, was dazugehört, entlarven. Und wir werden den Kampf in die Internationale tragen. Ihr könnt euren Block ruhig aufstellen. Wir werden mit den Leuten arbeiten, die an die gleichen Prinzipien, das gleiche Programm und die gleichen Methoden glauben wie wir. Und wir werden das ausfechten und sehen, was in der Internationale passiert.“ (Cannon, Writings & Speeches, 1945–47, S. 181–183)

Am Ende, nach ständigen Schikanen und Mobbing, wurde Goldman hinausgedrängt und Morrow 1946 aus der SWP ausgeschlossen.

In eben dieser Sitzung griff Cannon die RCP an und gab zu, dass er während seiner Zeit in der Führung der amerikanischen KP neun Jahre lang ein Anhänger Sinowjews gewesen sei. „Ich, wie jeder andere Führer der amerikanischen Partei in diesen Tagen, könnte als Sinowjewist bezeichnet werden“, räumte er ein. Das war eine sehr schlechte Schule. Was er dort gelernt hatte, blieb ihm bis zum Ende.

Die Methoden, die in der SWP üblich waren, unterschieden sich deutlich vom demokratischen Regime in der britischen Sektion. In der RCP war die große Mehrheit bemüht, zu einer Neueinschätzung der Situation in Großbritannien zu kommen. Ihre Partei ermutigte sie dazu, solche Ideen zu entwickeln, stellte ihnen keine bürokratischen Hindernisse in den Weg und verleumdete sie nicht für „Skeptizismus“.

Eine bahnbrechende Analyse

In der Internationale konnte die RCP als einzige Sektion die veränderte Situation richtig einschätzen. Ted Grant machte deutlich, dass die Lage völlig anders war als 1940 angenommen. Die neue Situation warf unerwartete und schwierige theoretische Probleme auf, die beantwortet werden mussten. Teds bahnbrechende Analyse – Das veränderte Kräftegleichgewicht in Europa [erschienen in „In Verteidigung des Marxismus“ Nr. 16, Anm. d. Ü.] wurde vom Zentralkomitee der RCP im März 1945 beschlossen.

Darin erklärte er, dass es im Westen Europas nun die reale Möglichkeit einer relativen politischen Stabilisierung gebe. Die von Trotzki richtig vorhergesagte revolutionäre Welle war durch die stalinistischen und sozialdemokratischen Führungen verraten worden.

In Italien und Frankreich traten sie in bürgerliche Regierungen ein, um den Kapitalismus zu retten. Die Kräfte der Vierten Internationale waren leider zu schwach, um das zu verhindern. Auf dieser Grundlage entstand, was Ted Grant als „Konterrevolution in ‚demokratischer‘ Form“ bezeichnete.

Er schrieb:

„Nach dem letzten Krieg wurde der Kapitalismus von der Sozialdemokratie gerettet. Heute gibt es zwei Verräter-‚Internationalen‘ im Dienst des Kapitals – den Stalinismus und die Sozialdemokratie.

„Um in Europa die ‚Ordnung‘ wiederherzustellen und die Herrschaft des Kapitals zu festigen, muss der angloamerikanische Imperialismus komplizierte und geschickte Manöver finden. Es wird fürs Erste nicht einfach sein, die Massen einfach niederzuschlagen. Man wird sie mit Phrasen über ‚Fortschritt‘, ‚Reformen‘ und ‚Demokratie‘ als Gegenentwurf zur totalitären Schreckensherrschaft verführen müssen.“

Zur Frage des Schicksals der Sowjetunion argumentierte er, dass die Kriegsmüdigkeit vor allem in Europa, kombiniert mit der Bewunderung und Unterstützung für die Rote Armee und die Sowjetunion ein Angriff der Alliierten auf die UdSSR in der unmittelbaren Nachkriegszeit äußerst schwierig, wenn nicht sogar völlig unmöglich gewesen wäre.

Ted entwickelte diese Gedanken in The Character of the European Revolution, veröffentlicht im Oktober 1945:

„Eine ‚demokratische‘ Phase in Europa ergibt sich nicht aus dem objektiven Bedürfnis nach einer Phase der demokratischen Revolution, sondern wegen des Verrats der alten Arbeiterorganisationen … Nur die Schwäche der revolutionären Partei und die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus haben dem Kapitalismus eine Atempause verschafft. Da es praktisch unmöglich ist, mit den Methoden faschistischer oder militärischer Diktatur zu herrschen, bereitet sich die Bourgeoisie darauf vor, einstweilen auf die bürgerlich-demokratische Manipulation ihrer stalinistisch-reformistischen Agenten umzuschalten. Das stellt keine demokratische Revolution dar, sondern im Gegenteil eine präventive, demokratische Konterrevolution gegen das Proletariat.“

So konnte die RCP die bedeutenden Veränderungen erkennen und verstehen, die sich anbahnten. Bereits Anfang 1945 hatte sie grundlegende politische Differenzen mit der internationalen Führung entwickelt, die sich als unfähig erwies, das neue Kräfteverhältnis zu begreifen und die Bewegung mit einer neuen Perspektive auszustatten.

Die internationale Führung klammert sich an die alte Position

Die Behauptung, die bürgerliche Demokratie sei in Europa unmöglich geworden, kam nicht nur von der SWP. Eine europäische Konferenz, die im Februar 1944 in Frankreich stattfand und von Gruppen aus Frankreich, Belgien, Griechenland und Spanien besucht wurde, verabschiedete ebenfalls ein Dokument, das die Linie der SWP hinsichtlich der Perspektiven für Europa unterstützte.

Ein Fehler ist natürlich keine Tragödie, wenn er korrigiert wird. Bleibt das aber aus, führt er zu immer weiteren Fehlern. So werden die Fehler dann zu einer Tendenz.

So geschah es auch. Cannon verkündete, nur die erste „Etappe“ des Krieges sei vorüber und die Imperialisten seien schon aktiv dabei, die zweite Etappe – einen dritten Weltkrieg – vorzubereiten. Polternd töste er vom bevorstehenden imperialistischen Krieg gegen die Sowjetunion.

Diese Linie über einen unmittelbar bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion wurde dann ständig und immer lauter wiederholt.

Sie ergab sich auch logisch aus der falschen Position, die Sowjetunion sei durch den Krieg geschwächt worden. Tatsächlich war der Stalinismus, in militärischer Hinsicht ebenso wie hinsichtlich seines Ansehens in den Augen der breiten Massen in aller Welt, kolossal gestärkt.

Im März 1945 schrieb Ted Grant: „Die bei weitem schwerwiegendste Veränderung von weltweiter Bedeutung ist die neue Rolle der Sowjetunion, die zum ersten Mal in der Geschichte die größte Militärmacht in Europa und Asien ist.“

Doch die SWP-Führung trieb ihren Fehler noch weiter. Angesichts der angenommenen „Schwäche des Stalinismus“ behauptete sie, es sei nicht einmal mehr eine militärische Intervention nötig, um den Kapitalismus in der Sowjetunion wiederherzustellen, sondern es genügten dafür jetzt „allein der kombinierte ökonomische, politische und diplomatische Druck und die Drohungen des amerikanischen und britischen Imperialismus.“ (Zitiert im internen Bulletin der RCP, 12. August 1946.)

Ein lächerlicher Irrtum führte zum nächsten.

Ökonomische Perspektiven

Diese „Führer“ leugneten dann jegliche Möglichkeit eines wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa.

ER Frank (Bert Cochran) eröffnete den 12. Parteitag der SWP im November 1946 mit den Worten:

„Unter den gegenwärtigen Bedingungen wird die Erholung und der Wiederaufbau in Europa nur in sehr langsamem Tempo verlaufen; die Erfolge werden äußerst schwach sein; selbst das Vorkriegsniveau wird nicht erreicht werden; unter amerikanischer Vormundschaft ist die europäische Wirtschaft zum Stillstand und Verfall verurteilt.“ (Fourth International, Vol. 8, Nr. 1, Januar 1947)

In Wirklichkeit war schon deutlich zu sehen, dass die wirtschaftliche Erholung begonnen hatte.

Im September 1947 unterstützte Ernest Mandel als „Chefökonom“ der Internationale die von Healy geführte Minderheit gegen die Mehrheit der RCP mit der Argumentation, sie müsse jetzt „unverzüglich das Gerede über einen Aufschwung einstellen, der jetzt nicht stattfindet und den der britische Kapitalismus auch nie wieder erleben wird.“

Er gab des Weiteren zu Protokoll:

„Wenn die Genossen der RCP-Mehrheit ihre eigene Definition ernst nehmen würden, müssten sie folgerichtig zu dem Schluss kommen, dass wir ÜBERALL IM KAPITALISTISCHEN EUROPA vor einem ‚Aufschwung‘ stehen, denn in all diesen Ländern expandiert die Produktion.“ (E. Germain, From the ABC to Current Reading: Boom, Revival or Crisis?, im internen Bulletin der RCP, September 1947, Hervorhebung im Original.)

Solche Argumente waren schlicht eine Neuauflage der stalinistischen Positionen aus der Dritten Periode, die den Unsinn von der „Endkrise des Kapitalismus“ propagierten.

Im April 1946 wurde in Paris eine internationale Vorkonferenz organisiert, bei der 15 Gruppen vertreten waren. Für die RCP-Mehrheit war Haston anwesend, für die Minderheit Healy und Goffe.

Der Entwurf der IS-Resolution zur Vorkonferenz, der von der Healy-Minderheit in Großbritannien unterstützt wurde, erklärte:

„Die Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität in den durch den Krieg geschwächten kapitalistischen Ländern, insbesondere in den kontinentaleuropäischen Staaten, wird sich durch ein besonders langsames Tempo auszeichnen, das ihre Wirtschaft auf einem Niveau hält, das an Stagnation und Krise grenzt.“

Tatsächlich bestand ihre Position darin, dass die Produktion ihr Niveau von 1938 nicht mehr überschreiten würde. Das geschah aber bald, und dann stieg sie noch viel weiter.

Die Resolution wiederholte alle Fehler der früheren Entwürfe und übernahm die Position der amerikanischen SWP. Sie betonte, dass es keine Periode der bürgerlichen Demokratie, sondern nur noch Bonapartismus geben würde, dass ein Aufschwung ausgeschlossen war und dass Russland in naher Zukunft die Konterrevolution drohte, womöglich gar durch friedliche, diplomatische Mittel.

Nur die RCP-Mehrheit stellte sich diesem Unsinn entgegen. Der Kapitalismus erlebte keine Überproduktionskrise, sondern das Gegenteil, eine Unterproduktionskrise. Deshalb war ein zyklischer Aufschwung unvermeidlich. In ihrem Änderungsantrag zur Resolution der Vorkonferenz erklärte die RCP:

„Alle Faktoren auf europäischer und weltweiter Ebene deuten darauf hin, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Westeuropa in der kommenden Periode nicht von ‚Stagnation und Krise‘, sondern von Wiederbelebung und Aufschwung geprägt sein wird.“

Doch alle Änderungsanträge der RCP zu diesen Fragen, die eine Korrektur der IS-Position anstrebten, wurden mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

Militärdiktaturen

Unvermeidlich hatten diese falschen Vorstellungen und Perspektiven des IS einen desorientierenden und schädlichen Effekt auf die schwachen europäischen Sektionen der Internationale. Die französische Sektion etwa, die glaubte, dass die bürgerliche Demokratie unhaltbar sei, weigerte sich eine ganze Zeit lang nach der Ankunft der alliierten Truppen, aus der Illegalität zu kommen, weil sie fürchtete, von Repressionen getroffen zu werden. Pierre Frank, der sich wieder in die Bewegung geschlichen und zum Führer der Parti Communiste Internationaliste (PCI) aufgeschwungen hatte, war von dieser Theorie so überzeugt, dass er behauptete, Frankreich befinde sich nicht erst 1946, sondern schon seit 1934 unter bonapartistischer Militärherrschaft!

Frank wurde auch Mitglied des IS. Er verkündete, der Gedanke einer „demokratischen Konterrevolution“ sei „inhaltsleer“.

In Demokratie oder Bonapartismus in Europa – Antwort an Pierre Frank (August 1946) antwortete ihm Ted. Er erklärte, Frank könnte „dann allerdings schwer erklären, was die Weimarer Republik war, die von der Sozialdemokratie in Deutschland aufgebaut wurde.“ Er zerlegte Franks Argumente Punkt für Punkt. „Die Ereignisse haben die Richtigkeit dieser Analyse bestätigt. Frank gesteht den Fehler seiner Perspektive nicht ein, sondern stellt sich der Realität entgegen und versucht, aus der Not eine Tugend zu machen.“

Ted stellte fest: „Das Statement des IS von 1940 war falsch. Wir haben den gleichen Fehler gemacht. Das war damals verzeihlich. Aber 1946 einen Fehler zu wiederholen, der 1943 schon offensichtlich war, ist unverzeihlich.“ (Hervorhebung von uns.)

Dieser Beitrag von Ted Grant war eines der Hauptwerke, die den Trennungsstrich zwischen der Methode und dem Zugang des genuinen Marxismus und dem kleinbürgerlichen Eklektizismus des Internationalen Sekretariats zogen.

Pierre Frank

Es ist wichtig, den politischen Hintergrund dieses Menschen und Trotzkis Haltung zu ihm zu verstehen. Ende 1935 brachen Molinier und Frank mit der trotzkistischen Bewegung und gründeten ihre sogenannte Massenzeitung. Am 3. Dezember 1935 schrieb Trotzki in einem Brief:

„Es gibt in der Haltung von Molinier und Frank gar keinen anderen politischen Inhalt. Sie kapitulieren vor der Welle des Sozialpatriotismus und der Rest sind einfach Phrasen, wertlos in den Augen jedes ernsthaften Marxisten …

Ein offener und ehrlicher Bruch wäre hundertmal besser als zweideutige Zugeständnisse an Leute, die vor der patriotischen Welle kapitulieren.“ (The Crisis of the French Section, S. 103)

Und in einem Brief vom 4. Dezember 1935 verurteilte Trotzki Pierre Frank ganz unzweideutig für dessen „Aufgabe von Prinzipien“. Er schrieb:

„Wir kämpfen konsequent gegen die Pierre Franks in Deutschland und Spanien, gegen die Skeptiker und gegen die Abenteurer, die Wunder vollbringen wollten (und sich dabei den Hals brachen).“ (ebenda, S. 106f.)

Trotzki bestand darauf, dass Frank ausgeschlossen werden musste und warnte ausdrücklich davor, ihn wieder in die Reihen der Opposition aufzunehmen. Nach dem Krieg jedoch unterstützte Frank in Großbritannien Healy innerhalb der RCP, bis er nach Frankreich zurückkehrte und sich wieder seiner Gruppe, der PCI, anschloss. Er wurde Delegierter auf der Konferenz von 1946 und schaffte es, ins IS gewählt zu werden. Auf diese Weise schummelte er sich trotz Trotzkis ernsthafter Einwände wieder in die Vierte Internationale zurück.

Pablos diplomatischer Deal

Cannons Haltung gegenüber dem neugegründeten IS in Europa bestand darin, es von amerikanischen Angelegenheiten fernzuhalten. Er wollte die Amerikaner von äußerer Einmischung abschirmen.

Wie Cannon später selbst erklärte:

„Unsere Beziehungen zur Führung in Europa waren damals von engster Zusammenarbeit und Unterstützung geprägt. Zwischen uns herrschte eine grundsätzliche Übereinstimmung. In unserer Partei waren diese Leute unbekannt. Niemand hatte je von ihnen gehört. Wir halfen, die einzelnen Führer bekannt zu machen, empfahlen sie unseren Mitgliedern und trugen dazu bei, ihr Prestige zu stärken. Wir taten dies erstens, weil wir grundsätzlich übereinstimmten, und zweitens, weil wir erkannten, dass sie unsere Unterstützung brauchten. Sie mussten sich ihre Autorität erst noch erarbeiten – nicht nur bei uns, sondern international. Und die Tatsache, dass die SWP sie in allen Fragen unterstützte, stärkte ihre Position erheblich und half ihnen bei ihrer Arbeit.“

Er fügte dann hinzu:

„Tatsächlich haben wir sogar viele Differenzen kleingeredet, die wir mit ihnen hatten …“ (Cannon, Speeches to the Party, S. 73)

Kein Wunder also, dass Cannon nun den frischgewählten Sekretär der Internationale, Michel Pablo, dafür lobte, diesen Spirit zu verkörpern. „Ein fleißiger Schriftsteller, wie ich meine“, so Cannon. „Aber er gibt uns keine persönlichen Anweisungen. Er schreibt keine persönlichen Briefe, um die SWP zu kritisieren, zu loben oder ihr zu sagen, was sie tun soll.“

Mit Unterstützung der SWP wurde Michel Pablo (Raptis) 1946 auf der internationalen Vorkonferenz zum Sekretär des neugegründeten IS gewählt. Von diesem Zeitpunkt an war er Cannons Mann in Europa. Nachdem er 1947 eine Reise nach New York gemacht hatte, war er in dieser Rolle endgültig zementiert.

Auf dieser Reise begleitete ihn Sam Gordon, der SWP-Vertreter in Europa. Es steht außer Frage, dass „Diplomatie“ der Grund für diese Reise war, und kein Wunder, dass Pablo sich über die Details ausschwieg. Die Reise sollte die Beziehungen zwischen dem IS in Paris und Cannon in New York festigen. Fortan marschierten sie im Gleichschritt auf einem Weg, der die Vierte Internationale ins vollständige Desaster führte.

Anfang Februar 1947 schrieb Cannon an das Nationalkomitee der SWP, dass „die SWP keine Spielchen in Disziplinarfragen mehr dulden wird und dass Einheitsmanöver [mit der Workers Party von Shachtman] künftig kategorisch abgelehnt und ausgeschlossen sind …“ Dann schilderte er den Besuch Pablos:

„Wie ihr wisst, hatten wir Besuch von Ted [Sam Gordon] und Gabe [Michel Pablo]. Wir haben mit ihnen einige neue Schritte diskutiert und vorbereitet, die alle Zweideutigkeiten beenden und sämtliche Fragen im Zusammenhang mit dem für Herbst endgültig angesetzten Weltkongress auf den Punkt bringen und einer definitiven Klärung zuführen sollen …

Die Informationen, die uns Gabe [Pablo] und Ted [Gordon] gegeben haben, machen klar, dass die echte orthodox-marxistische Strömung auf dem Kongress in allen Streitfragen über eine sichere Mehrheit verfügt. Dieser Sieg des authentischen Trotzkismus in der Weltbewegung wurde durch frühere Erfahrungen und Diskussionen vorbereitet.“

In seiner typischen Art und Weise stellte er also klar:

„Wer die Beschlüsse des Kongresses akzeptiert und sich verpflichtet, sie praktisch umzusetzen, kann in der Organisation bleiben. Wer sie nicht akzeptiert, ist automatisch ausgeschlossen. Wer sie vielleicht unaufrichtig ‚akzeptiert‘ und dann bricht, wird ausgeschlossen.“ (Cannon, Writings 1945-47, S. 323-324.)

Mit „neuen Schritten“ meint Cannon offensichtlich Maßnahmen zur Vertreibung jeglicher Opposition („Spielchen“) – als Teil eines internationalen Deals gegen die RCP-Mehrheit. Die Taktik sollte die RCP spalten und zur Anerkennung zweier Sektionen in Großbritannien führen: Eine Mehrheit unter Haston und Grant und eine Minderheit unter Healy. Gegen Demaziere und Craipeau, die Oppositionsführer in Frankreich, wurden dieselben Methoden eingesetzt.

Die RCP-Führung in Großbritannien behielt in allen fundamentalen Fragen recht. Für die „Führer“ der Vierten mit ihrer Prestigepolitik war das unerträglich. Das britische „Problem“ musste unverzüglich gelöst werden. Also verschworen sich Cannon, Pablo, Mandel, Frank und ihre Gefolgsleute ab 1945, um die RCP zu zerstören – die bei weitem vorausschauendste aller Sektionen der Vierten Internationale. Die politische Linie dieser Partei hätte die Bewegung erfolgreich neu bewaffnen und die Vierte Internationale vor dem Untergang retten können.

Genau dieser Umstand aber war für die sogenannten Führer der Internationale schwer zu verdauen. Besonders Cannon hasste es, widerlegt zu werden. Das passierte ihm in zahlreichen Fragen. In einem Brief an Healy umriss Cannon seine Ansichten:

„Das gesamte Haston-System musste gesprengt werden, bevor in England überhaupt eine wirkliche trotzkistische Organisation entstehen konnte. Das Traurigste daran, was bis heute zu bedauern ist, ist, dass die Anerkennung dieser simplen Notwendigkeit so lange aufgeschoben wurde.“
(Cannon an Healy, 5. September 1953, ebenda, S. 262.)

In seinen Augen musste nicht nur die RCP, sondern jede Opposition „gesprengt“ werden. Dieser verbrecherische Plan, die RCP zu zerstören, wurde umso dringlicher, als die „Führer“ der Vierten jeden nur denkbaren Fehler machten – und noch mehr.

Entrismus

Cannon stand in regelmäßigem Kontakt mit Healy in Großbritannien. In Healys eigenen Worten:

„Die SWP-Mitglieder waren uns in der Zeit zwischen 1943 und 1949 beim Kampf gegen die Haston-Clique besonders hilfreich. Die Gruppe, die die Mehrheit der englischen trotzkistischen Organisation stellte, wurde im Wesentlichen von Haston, seiner Frau Mildred Haston und Ted Grant geführt.“ (Healy, ‘Problems of the Fourth International’, August 1966, in Trotskyism versus Revisionism, vol.4, p.298)

Also war Gerry Healy ein Geschöpf Cannons, der seine Manöver intensivierte, um eine „Anti-Führungs“-Fraktion in der RCP aufzubauen, die sich nur auf konstruierte Differenzen stützte. Auf der RCP-Konferenz 1945 schlug Healy vor, die offene Partei aufzugeben und in die ILP zu gehen. Diese Idee hatte er von Pierre Frank.

Angesichts der systematischen Säuberung der ILP von Trotzkisten [1943-1945] kam dieser Vorschlag nicht an und Healy ließ ihn stillschweigend wieder fallen. Bald darauf kam er leichtfertig auf eine andere Idee: Entrismus in der Labour Party. Die klassischen Bedingungen für entristische Arbeit, die Trotzki aufgestellt hatte, waren allerdings mitnichten erfüllt:

  1. Eine vorrevolutionäre oder revolutionäre Krise;
  2. Gärung in einer der Massenorganisationen;
  3. Kristallisierung einer linken oder zentristischen Strömung darin; sowie
  4. Potential für die rasche Herausbildung einer revolutionären Strömung.

Nichts davon lag vor, doch Healy ließ sich nicht beirren und behauptete einfach, dass die Bedingungen sich schon bald entwickeln würden, da Großbritannien unmittelbar vor einem apokalyptischen Wirtschaftseinbruch stehe. Seine Perspektive war ein Abklatsch der Position des IS und absolut falsch.

Die Führer der RCP waren der Ansicht, es stehe keineswegs ein Wirtschaftseinbruch bevor. Vielmehr sei „der britische Kapitalismus in einer weitaus stabileren Situation, als die Kapitalisten, Reformisten und selbst die Trotzkisten als unmittelbares Ergebnis des Krieges erwartet hatten …“

Anders als 1929-31 setzte die Labour-Regierung ihr reformistisches Programm tatsächlich um. Das stärkte wiederum die Ideen des Reformismus. Folglich gab es für die absehbare Zeit keine Perspektive eines linken Massenflügels oder einer Gärung in der Labour Party. Daraus ergab sich, dass nicht der Entrismus in der Labour Party, sondern das Hochhalten des Banners der offen revolutionären Partei die zu verfolgende Taktik war. Selbst Van Gelderen, der an der Spitze einer kleinen Gruppe von RCP-Genossen stand, die in der Labour Party Fraktionsarbeit machten, um ein Auge auf die Entwicklungen dort zu haben, lehnte eine allgemeine entristische Taktik ab.

Den Führern der RCP waren aber auch die kommenden Schwierigkeiten klar. „Die unausweichliche Krise wird nicht unmittelbar kommen. Sie wird sich verzögern“, erklärte das Editorial des Theoriemagazins. „Die Orientierung und Strategie der Revolutionary Communist Party stützen sich fest auf die langfristige Perspektive von Krise und Niedergang, aber wir erkennen auch klar und deutlich den unmittelbaren konjunkturellen Aufschwung.“ (Editorial Notes, Workers‘ International News, Sept.-Oct. 1946)

Healy war jede Frage recht, um die RCP-Führung anzugreifen und, wie er hoffte, zu schwächen. Unverrückbar hinter ihm stand dabei die internationale Führung – und Cannon hinter ihr.

So verabschiedete das Internationale Exekutivkomitee (IEK) also im Juni 1946 eine Resolution, die darauf drängte, „den größten Teil der Kräfte der RCP in der Labour Party zu konzentrieren, um geduldig einen organisierten linken Flügel aufzubauen“. Die RCP sollte „die praktische Möglichkeit ausloten, in diese Partei einzutreten“. Nur der Delegierte der RCP stimmte dagegen.

Wie man sieht, verschob sich die Argumentation. Man sollte nicht mehr in der Parteilinken intervenieren, sondern sie aufbauen. Es gab eben gar keine Linke in der Labour Party. So entstand der falsche Gedanke, dass Trotzkisten die Linke aufbauen sollen.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, begann Healy die alten Verleumdungen Cannons wieder aufzuwärmen: Die alten Führer der WIL hätten sich „insularer nationaler Abweichungen“ schuldig gemacht, als sie es 1938 verweigerten, der RSL beizutreten. Man müsse daher diese „anti-internationalistische“ RCP-Führung entfernen und eine neue einsetzen, die loyaler und eher auf der Linie der Internationale sei.

Für den Entrismus trommelnd gewann Healy mit dem vollen Rückhalt der Internationale die Unterstützung von etwa 25% der RCP-Mitglieder. Doch dann waren die Fraktionsgrenzen abgesteckt und das Potential für ihn ausgeschöpft. 1946 und 1947 brachte er es nur auf sieben Delegierte für den sofortigen, gesamthaften Eintritt in die Labour Party, während 28 die Mehrheit unterstützten.

Im Sommer 1947 schlug Healys Fraktion also vor, die Partei zu spalten, damit die Minderheit ihren eigenen Entrismus betreiben konnte. Die Frage wurde dann im September im IEK behandelt, das mit voller Unterstützung des IS Healys Vorschlag annahm.

Wenige Wochen später akzeptierte eine Sonderkonferenz der RCP diese Entscheidung unter Protest. Cannons „neue Schritte“ hatten Erfolg.

Es dauerte jedoch mehr als ein Jahr – bis Dezember 1948 –, bis Healy mit Socialist Outlook eine eigene Zeitung herausbrachte, die moderate linksreformistische Positionen vertrat, um damit einen „linken Flügel“ aufzubauen. Diese Politik nannte man später „Tiefenentrismus“ („deep entrism“).

Der Zweite Weltkongress

Der zweite Weltkongress fand im April 1948 in Belgien statt, mit Delegierten aus 19 Ländern. Und noch einmal stellte die Führung eine völlig falsche Perspektive über Wirtschaftseinbruch, Faschismus und Weltkrieg vor. Die Hauptresolution behauptete:

„In Abwesenheit einer revolutionären Situation droht die verschärfte Krise des Kapitalismus erneut zu Faschismus und Krieg zu führen – was diesmal die Existenz und Zukunft der gesamten Menschheit gefährden würde.“
(Weltlage und Aufgaben der Vierten Internationale, Resolution des Zweiten Weltkongresses der Vierten Internationale, Paris, April 1948; marxists.org-Link)

Diese Perspektive von Atomkrieg und Faschismus war typisch für Cannon, Pablo, Mandel und Frank. Die Vision von 1938 – nur noch apokalyptischer – musste um jeden Preis aufrechterhalten werden. Die Erfahrungen des Weltkriegs und seine Folgen blieben diesen Leuten ein Buch mit sieben Siegeln.

Ein weiteres völliges Desaster, das diese sogenannten großen „Theoretiker“ anrichteten, betraf Osteuropa und die dort ablaufenden Entwicklungen.

Nach den Siegen der Roten Armee errichteten die Stalinisten dort befreundete Regime, sogenannte „Volksdemokratien“ – die später als „Pufferstaaten“ bekannt wurden. Sie setzten ihre Marionetten als feste Machthaber ein. Während die Vierte Internationale die Sowjetunion weiterhin als deformierten Arbeiterstaat verteidigte, stellte sich nun die Frage: Was war der Klassencharakter dieser Pufferstaaten?

Bereits im März 1945 erklärte Ted Grant, dass Stalin in diesen Gebieten den Kapitalismus beibehalten hatte. Doch angesichts der Instabilität war auch eine andere Variante möglich. Er stellte die Perspektive auf, dass im Lauf der Ereignisse entweder die Beibehaltung des Kapitalismus in Osteuropa zur Wiederherstellung des Kapitalismus in Russland führen würde; „oder die Bürokratie wird gegen ihren eigenen Willen gezwungen sein, das Risiko einzugehen, ihre gegenwärtigen imperialistischen Verbündeten zu verärgern und die Verstaatlichung der Industrie in den dauerhaft besetzten Ländern in Angriff zu nehmen – möglichst administrativ, von oben und ohne Beteiligung der Massen.“

Die Führung der RCP hatte den Klassencharakter Russlands nach dem Krieg neu diskutiert und dabei sogar die Theorie des bürokratischen Kollektivismus in Erwägung gezogen, die Shachtman aufgestellt hatte, und der zufolge die Bürokratie zu einer neuen herrschenden Klasse geworden war. Nach gründlicher Überlegung nahm man aber wieder Abstand davon. Die Sowjetunion war und blieb ein ungeheuerlich deformierter Arbeiterstaat.

Natürlich schaffte es die „Führung“ der Vierten nicht, zu verstehen, was in Osteuropa vor sich ging. Zuerst nannten sie diese Staaten kapitalistisch. Das IS machte sich lustig über die Prognose der RCP, dass sie zu deformierten Arbeiterstaaten werden könnten.

Noch Jahre später verzerrte Cannon, was die Genossen der RCP damals sagten. Er schrieb Anfang 1953 in einem Brief an Farrell Dobbs:

„Zu Beginn der Nachkriegszeit war die Haston-Bande ganz fasziniert von der Ausbreitung des Stalinismus. Sie dachten, darin ‚die Welle der Zukunft‘ zu erkennen. Sie haben sogar jedem Landstrich, den die Rote Armee besetzte, im selben Moment den Ehrentitel ‚Arbeiterstaat‘ verliehen.“

Wie immer war Cannons Beschreibung der RCP-Position eine völlige Verzerrung. Die RCP hatte nie argumentiert, dass der Einzug der Roten Armee in Osteuropa die besetzten Länder zu Arbeiterstaaten gemacht hätte.

Sie argumentierte im Gegenteil, dass die „Volksdemokratien“ immer noch kapitalistische Regime waren. Stalin hatte anfänglich keinerlei Absicht, die Kapitalisten zu enteignen. Er befahl den Kommunistischen Parteien, Koalitionsregierungen mit den Bürgerlichen zu bilden. Doch in Wahrheit waren das keine Koalitionen mit der Bourgeoisie, die gemeinsam mit den Nazibesatzern die Flucht ergriffen hatte. Es waren Koalitionen mit dem „Schatten der Bourgeoisie“. Die wahre Macht war in den Händen der Stalinisten und der Roten Armee. Dieses wacklige Bündnis hielt nicht lange.

Als die amerikanischen Imperialisten begannen, die Marshallhilfe einzusetzen, um die alte Ordnung wieder aufzubauen und den „Schatten“ etwas Substanz zu verleihen, mussten die Stalinisten handeln. Sie mussten sich auf die Massen stützen, um die Kapitalisten zu enteignen, aber auf bürokratische Weise. Sie bauten Regime nach dem Vorbild Moskaus auf.

Doch die Internationale wollte davon nichts wissen. Ironisch fragte Mandel Shachtman: „Glaubt [er] wirklich, es sei der stalinistischen Bürokratie gelungen, auf dem halben Kontinent den Kapitalismus zu stürzen?“ (Fourth International, February 1947)

Der ironische Tonfall der Frage setzt die Antwort schon voraus, zu der Mandel und die anderen Führer der Vierten gelangt waren: Von einem Sturz des Kapitalismus konnte überhaupt keine Rede sein. Der Thesenentwurf des IS für den Zweiten Weltkongress im April 1948 unterstreicht weiter den kapitalistischen Charakter der „Pufferstaaten“:

„Der kapitalistische Charakter der Produktionsverhältnisse der Länder der ‚Pufferzone‘ und die grundsätzlichen Differenzen zwischen ihrer Wirtschaft und der russischen, selbst noch zur Zeit der NÖP, sind deutlich zu sehen.“

Die Thesen drängten die Internationale dann in eine Ecke, indem sie jede Veränderung des Klassencharakters dieser Regime ausschlossen:

„Den kapitalistischen Charakter dieser Länder in irgendeiner Weise zu bestreiten, würde bedeuten, die revisionistische stalinistische Theorie zu akzeptieren, dass es historisch möglich wäre, den Kapitalismus durch ‚Terror von oben‘, ohne revolutionäres Eingreifen der Massen, zu beseitigen.“

Sie fuhren fort:

„Unsere Strategie muss fundamental davon bestimmt werden, dass in diesen Ländern der Kapitalismus mit der Ausbeutung durch die stalinistische Bürokratie koexistiert. Ihr kapitalistischer Charakter macht im Kriegsfall eine strenge, revolutionär-defätistische Taktik notwendig.“ (The Russian Question Today (Stalinism and the Fourth International) – Draft Theses Adopted by the International Secretariat of the Fourth International (November-December 1947))

Die Plumpheit dieser Zeilen zeigt deutlich, wie unfruchtbar eine schematische und abstrakte Herangehensweise ist, die der Realität vorgefasste Vorstellungen aufzwingt, ohne den tatsächlichen Zustand der Dinge zu berücksichtigen.

Das steht in krassem Widerspruch zur dialektischen Methode, wie sie Trotzki anwandte, als er das Vorgehen der Stalinisten in Polen analysierte und zum korrekten Schluss kam, dass es durchaus möglich sei, dass die Stalinisten, ohne jegliche demokratische Beteiligung der Arbeiterklasse, neue Eigentumsverhältnisse nach dem Vorbild der verstaatlichten Wirtschaft der Sowjetunion einführen.

Wie so oft versuchten Mandel und Pablo in ihrer Resolution, sich abzusichern, indem sie erklärten: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein bestimmtes Kräfteverhältnis eine wirkliche strukturelle Angleichung eines oder mehrerer Länder in der ‚Pufferzone‘ erforderlich macht“. So schafften sie es, gleichzeitig in verschiedene Richtungen zu argumentieren.

Um das Ganze noch undurchsichtiger zu machen, fügten sie hinzu, dass der Trend jedoch eindeutig nicht in diese Richtung gehe, der Privatsektor „nicht so orientiert“ sei und die stalinistische Bürokratie „neue und mächtige Hindernisse“ gegen eine solche Entwicklung errichte.

Im völligen Gegensatz zu diesem wirren Modell präsentierten die britischen Genossen ein Beispiel für Klarheit und politische Stringenz. Haston stellte auf dem Weltkongress 1948 die RCP-Änderungsanträge vor, die zu folgendem abgeändertem Text geführt hätten:

„… Die Ökonomien dieser Länder [der Pufferstaaten] werden an das Modell der Sowjetunion angepasst. (a) Die grundlegende Umwälzung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ist bereits vollzogen oder befindet sich im Prozess der Vollendung. (b) Die kapitalistische Kontrolle über Regierung und Staatsapparat ist bereits zerstört oder wird gerade beseitigt. (c) Dieser Angleichungsprozess ergibt sich notwendig und unausweichlich aus dem Klassencharakter der russischen Wirtschaft und aus dem Übergewicht des russischen Staates als vorherrschender Militärmacht in den bestehenden Verhältnissen…“ („Abänderungsanträge der RCP zu den Thesen über Osteuropa und Russland“, die nie von der SWP veröffentlicht wurden).

Wie zu erwarten war, wurden diese Anträge größtenteils abgelehnt.

Das Siebte Plenum des IEK im April 1949 fand 12 Monate nach dem Prager Putsch statt und weigerte sich nach wie vor standhaft, zu sagen, dass der Kapitalismus in Osteuropa abgeschafft wurde. Es betrachtete die „Pufferstaaten“ als bürgerliche Staaten „besonderer Art“. In den unnachahmlichen Worten Pierre Franks: „So etwas wie ‚degenerierte bürgerliche Staaten‘“.

Ihr Versteckspiel um die Klassennatur der Pufferstaaten wurde so ausformuliert: „eine einzigartige Art hybrider Übergangsgesellschaft im Umwandlungsprozess, deren Merkmale noch so fließend und unbestimmt sind, dass es äußerst schwierig ist, ihr grundlegendes Wesen in eine knappe Formel zu fassen.“ (Resolution des 7. Plenums)

Nachdem er anerkennen musste, dass Verstaatlichungen stattgefunden hatten, verwarf Max Stein im Juli 1949 im Bericht an das Politische Komitee der SWP zur IEK-Resolution über Osteuropa weiterhin die Position der RCP: Er ging „nicht auf die Position der britischen RCP ein, da sie nichts Neues zur Diskussion beiträgt; ihre Sichtweise wurde bereits auf dem Weltkongress vorgestellt und dort mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.“

Er schloss mit einem entlarvenden Bekenntnis zum theoretischen Bankrott der Mehrheit:

„Statt vorschnell irgendwelche Schlüsse über den sozialen Charakter der Staaten Osteuropas zu ziehen, ist es weit besser, die weitere Entwicklung abzuwarten.“ (SWP, internal bulletin, vol. xi, no. 5, Oktober 1949)

Ein Wendepunkt kam dann mit der überraschenden Nachricht vom Bruch zwischen Tito und Stalin. Mandel versuchte in für ihn typischer Weise, sein „theoretisches“ Profil durch ein langes Dokument über den Klassencharakter Jugoslawiens und der „Pufferstaaten“ aufzupolieren. Es wurde im Januar 1950 in einem internen Internationalen Bulletin veröffentlicht.

Er begann, indem er sagte, man müsse auf die Fakten schauen, um dann sämtliche bekannten Fakten zu ignorieren und einfach die falsche Position zu wiederholen, die „Pufferstaaten“ seien kapitalistische Staaten, aber „im Übergang“. Diese endlosen Qualifikationen und Nachsätze sind typisch für Mandels unehrliche Methode, die auf eine ständige doppelte Buchführung hinausläuft.

Mandel griff die RCP indirekt an, indem er ihr Aussagen unterschob, ohne aber je ein einziges direktes Zitat zu liefern. 1948 war die RCP zum Ergebnis gelangt, dass diese Regime stalinistische deformierte Arbeiterstaaten waren, wo der Kapitalismus beseitigt und durch die Herrschaft einer bürokratischen Elite ersetzt worden war.

Die stalinistische Bürokratie hatte sich auf die Arbeiter gestützt, um die Kapitalisten auf ihre eigene bürokratische Weise zu enteignen. Dabei vermieden sie sorgfältig jede Möglichkeit für einen demokratischen Arbeiterstaat, wie ihn die Bolschewiki von 1917 in Russland errichtet hatten.

In seiner Eile, dem Stalinismus jede fortschrittliche Rolle abzusprechen, bestand Mandel darauf, dass der Stalinismus immer und unter allen Umständen konterrevolutionär und deshalb organisch unfähig sei, einen solchen Schritt zu vollziehen:

„Offenkundig würde die Hypothese, dass der Kapitalismus nicht etwa nur in Estland oder Rumänien oder gar Polen, sondern in ganz Europa und im größeren Teil Asiens zerstört wurde, unsere Haltung zum Stalinismus von Grund auf verändern …

Die Genossen, die an die Theorie vom proletarischen Charakter der Pufferstaaten glauben, gehen keineswegs von einer solchen Entwicklung aus, aber das wäre die logische Konsequenz des Weges, auf den sie sich begeben haben. Das würde uns zwingen, unsere gesamte historische Einschätzung des Stalinismus zu revidieren. Wir müssten dann untersuchen, warum das Proletariat unfähig gewesen ist, den Kapitalismus auf solch ausgedehnten Gebieten zu beseitigen, während die Bürokratie diese Aufgabe erfolgreich bewältigte.

Außerdem müssten wir dann, wie es bestimmte Genossen der RCP bereits getan haben [?], feststellen, dass die historische Mission des Proletariats nicht die Zerstörung des Kapitalismus, sondern der Aufbau des Sozialismus sei – eine Aufgabe, die die Bürokratie ihrem Wesen nach nicht lösen kann. Wir müssten dann das gesamte trotzkistische Argument gegen den Stalinismus seit 1924 verwerfen, das sich auf die unausweichliche Zerstörung der UdSSR durch den Imperialismus im Falle einer extrem langen Verzögerung der Weltrevolution stützt.“ (International Information Bulletin, Januar 1950)

Das erste Wort im Satz – „offenkundig“ – soll das Ergebnis bereits vorwegnehmen. Etwas offenkundiges braucht man nicht zu rechtfertigen. Wenn wir den Stalinismus als von Grund auf konterrevolutionär definieren, wie kann er dann fähig sein, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Osteuropa zu stürzen?

Trotzki erklärte sehr oft, dass es außerordentliche Umstände geben kann, in denen selbst reformistische Politiker gezwungen sind, weiterzugehen, als sie ursprünglich vorhatten.

Obwohl Stalin wohl ursprünglich nicht die Absicht hatte, den Kapitalismus in Osteuropa abzuschaffen, zwangen ihn die aggressiven Schritte des US-Imperialismus zum Handeln. Dieser nutzte die Marshallhilfe als Hebel, um die bürgerlichen Elemente in den Koalitionsregierungen von Ländern wie Polen und der Tschechoslowakei zu stärken.

Stalin musste handeln, um das zu verhindern. Besonders schwierig war das nicht. Wie Trotzki einmal sagte, braucht man ein Gewehr, um einen Tiger zu erlegen. Doch für einen Floh reicht ein Fingernagel.

Die schwachen und degenerierten Bourgeois Osteuropas ließen sich durch ein einfaches Manöver leicht beseitigen. Es ging von der Staatsspitze aus, bediente sich aber der aktiven Unterstützung der Arbeiter, mobilisierte sie gegen die bürgerlichen Parteien und für die Enteignung des Kapitals.

Diese Methoden haben natürlich nichts mit dem klassischen Modell der proletarischen Revolution zu tun, wie es von Marx, Lenin und Trotzki vertreten wurde, und das sich auf die bewusste Bewegung der Arbeiterklasse von unten stützt.

Hier haben wir es mit einer bonapartistischen Karikatur der proletarischen Revolution zu tun, die die Arbeiter absichtlich davon abhielt, selbst den Staat zu übernehmen und ihn demokratisch zu organisieren. Eine solche Entwicklung wäre für Stalin und die Moskauer Clique eine tödliche Gefahr gewesen. Doch der Aufbau deformierter Arbeiterstaaten nach dem Vorbild des russischen Stalinismus war überhaupt keine Bedrohung, sondern stärkte Stalin und die Bürokratie vielmehr.

Die Regime, die dabei herauskamen, hatten natürlich nichts mit dem demokratischen Arbeiterstaat zu tun, den Lenin und Trotzki 1917 in Russland aufgebaut hatten. Doch sie schafften den Kapitalismus ab und setzten eine staatliche Planwirtschaft ein. In diesem – und nur diesem – Sinn führten sie eine der Hauptaufgaben der proletarischen Revolution durch.

Mandels Verzerrungen zum Trotz war es absolut möglich, mit der marxistischen Methode zu erklären, was sich in Osteuropa abspielte. Das tat Ted Grant.

Mandel konnte sich den Fakten nicht stellen, weil sie seinen vorgefassten Ideen direkt ins Gesicht schlugen. Anzuerkennen, dass der Kapitalismus in Osteuropa gestürzt worden war, war für ihn gleichbedeutend mit dem Zugeständnis, der Stalinismus könne eine „revolutionäre“ Rolle spielen.

Es ist eine elementare Tatsache für Marxisten, dass echter Sozialismus nur durch die bewusste Bewegung der Arbeiterklasse entstehen kann. Doch die Revolutionen in Osteuropa waren keine echten proletarischen Revolutionen, sondern bürokratische Karikaturen, die die stalinistische Bürokratie von oben herab durchführten, wobei sie allerdings von Millionen Arbeitern unterstützt wurde, die begeistert darüber waren, dass die Bosse enteignet wurden.

Solche Methoden hätten niemals einen gesunden Arbeiterstaat hervorbringen können – und das behauptete die RCP auch nie. Heraus kam eine monströs-bürokratische Karikatur des „Sozialismus“, also genau ein deformierter Arbeiterstaat wie im stalinistischen Russland.

Trotzkis dialektische Methode war für Mandel und die anderen „Führer“ der Vierten Internationale ein Buch mit sieben Siegeln. Sie gingen von einer Reihe abstrakter Konzepte aus, was sie unfähig machte, die realen, konkreten Erscheinungen und Prozesse zu verstehen, die sich vor ihren Augen abspielten.

Wie Lenin so oft erklärte, ist die Wahrheit konkret. Man muss von den Fakten ausgehen, anstatt zu versuchen, die Realität in eine vorgefasste Theorie zu zwängen, wie Trotzki erklärte:

„Nichts ist jedoch gefährlicher, als auf der Suche nach logischer Vollendung aus der Wirklichkeit die Elemente auszumerzen, die bereits heute das Schema verletzen, morgen aber es vollends über den Haufen werfen können.“ (Verratene Revolution, Kapitel 9)

Das war keine zweitrangige Frage. Hier ging es um den Kern der proletarischen Revolution – eine entscheidende Frage der marxistischen Theorie, den Klassencharakter des Staates. Das war eine Bewährungsprobe.

Es ist lehrreich, die Position der Internationale zur Zeit ihres Zweiten Weltkongresses im April 1948 mit der der RCP zu vergleichen.

Wie Ted Grant erklärte, „waren wir zu dem Schluss gekommen, dass wir es mit einer Art proletarischen Bonapartismus zu tun hatten“. Die Ereignisse vom Februar 1948 in der Tschechoslowakei bestätigten, was sich in Wirklichkeit abspielte. In der April-Ausgabe des Socialist Appeal über den „Prager Putsch“ erklärte Ted, dass die stalinistisch dominierte Regierung, die sich auf „Aktionsausschüsse“ der Arbeiterklasse stützte, weitreichende Verstaatlichungen der Schlüsselindustrien durchgeführt und damit „die ökonomische Basis eines Arbeiterstaats errichtet“ hatte.

Ted stellte jedoch klar: „Damit der Staat im Interesse der Arbeiterklasse handelt, genügt die Enteignung der Kapitalisten allein nicht. Demokratische Kontrolle über den Staatsapparat ist eine wesentliche Voraussetzung für den Weg zu einer kommunistischen Gesellschaft. Alle großen Marxisten haben das betont.“ Er führte dann Lenins vier Kriterien der Arbeiterdemokratie aus, wie sie, an der Pariser Kommune orientiert, von der Russischen Revolution 1917 verwirklicht wurden.

Zu dieser Frage schwiegen die „Führer“ der Vierten Internationale. Wie üblich weigerten sie sich, das Offensichtliche anzuerkennen. Für sie blieben die Tschechoslowakei und der Rest Osteuropas weiterhin kapitalistische Staaten.

Max Shachtman, der immerhin Sinn für Ironie hatte, bemerkte dazu:

„Während die Briten den (Prager) Umsturz als Sieg der Arbeiterklasse feierten, rühmte der Rest der offiziellen trotzkistischen Presse ihn als Sieg der Bourgeoisie, die auf unentschuldbar perverse Weise ihren Triumph damit beging, sich aus Fenstern im oberen Stockwerk auf das Straßenpflaster zu stürzen oder werfen zu lassen.“

Es sollte noch volle drei Jahre dauern, bis Mandel und Konsorten im Juli 1951 zögerlich anerkannten, dass Osteuropa nicht mehr kapitalistisch war.

Stalin-Tito-Konflikt

Ein noch verblüffenderes Beispiel für diese Methode war die skandalöse Haltung dieser „Führer“ gegenüber den Entwicklungen in Jugoslawien, die im Juni 1948 zum Konflikt zwischen Stalin und Tito führten.

Am 28. Juni 1948 platzte mit der Veröffentlichung eines außergewöhnlichen Kommuniqués des „Kommunistischen Informationsbüros“ (Kominform – jene Organisation, die von Moskau als Ersatz für die 1943 offiziell aufgelöste Kommunistische Internationale gegründet wurde) eine Bombe.

Das Kommuniqué, auf Initiative der Russen herausgegeben, verkündete den Ausschluss der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Dieses Ereignis erschütterte die gesamte stalinistische Weltbewegung.

Bald darauf griff die stalinistische Bürokratie in Moskau Tito als konterrevolutionären „Nationalisten“, „Schergen der Imperialisten“ und „Trotzkisten“ an. In Wahrheit war Tito weder „Trotzkist“ noch „faschistischer Agent“, wie die Stalinisten behaupteten. Er war in den 1930er Jahren zum Führer der KP Jugoslawiens aufgestiegen, nachdem die alte Führung Stalins Säuberungen zum Opfer gefallen war. Tito selbst war in Wahrheit verantwortlich für die physische Vernichtung der „Trotzkisten“.

Während die Rote Armee durch Europa marschierte, besiegte in Jugoslawien Titos bäuerliche Partisanenarmee die Nazibesatzung. Das widersprach allerdings dem Deal, den Stalin 1944 auf der Moskauer Konferenz mit Churchill ausgehandelt hatte: Jugoslawien sollte „gleichmäßig“ zwischen ihnen aufgeteilt werden.

Im Rahmen dieses Deals unterstützte Stalin sogar die bürgerlich-königliche Exilregierung Jugoslawiens, um Tito im Zaum zu halten. Er verweigerte den Jugoslawen Waffen und Munition. Angesichts des schnellen Vormarschs von Titos Partisanenarmee aber flohen die bürgerlichen Kollaborateure zusammen mit der abziehenden Wehrmacht.

Nachdem er den Sieg aus eigener Kraft errungen hatte, weigerte sich Tito, sich Stalins Druck zu beugen. Er füllte das Vakuum, das durch das Verschwinden der Großgrundbesitzer und Kapitalisten entstanden war, und stützte sich auf die Arbeiter und Bauern, die das Rückgrat seiner Partisanenarmee bildeten. So schaffte er den Kapitalismus ab und errichtete ein Regime nach dem Vorbild des stalinistischen Russland.

Das war im Grund ein Abbild des Prozesses, der zuvor in Polen und der Tschechoslowakei ablief – aber mit einem entscheidenden Unterschied: Die Befreiung Jugoslawiens wurde nicht durch die sowjetische Rote Armee, sondern durch die jugoslawischen Stalinisten selbst erkämpft, die eine schlagkräftige Partisanenarmee anführten.

Das verschaffte Tito eine feste nationale Basis, auf der er eine von Moskau unabhängige Politik betreiben konnte. Die engstirnigen nationalen Interessen der russischen und der jugoslawischen Bürokratie gerieten jedoch rasch aneinander. Das führte zur Eskalation, als Anfang 1948 die Regierungen Jugoslawiens und Bulgariens die Gründung einer Balkan-Föderation der „Volksdemokratien“ vorschlugen.

Stalin schritt unverzüglich gegen diesen Vorschlag ein, stieß dabei aber auf Widerstand. Die russischen Stalinisten schickten GPU-Agenten in die jugoslawische KP, um sie unter Kontrolle zu bringen. Doch Tito, der den Staatsapparat fest im Griff und eine breite Massenbasis hinter sich hatte, säuberte sie aus der Partei. Das war die Grundlage für den Bruch zwischen Stalin und Tito.

Diese Ereignisse stürzten die Führung der Vierten Internationale in völlige Verwirrung. Trotz der Beschlüsse des Weltkongresses erblickte Pablo als Führer des IS in diesem Zerwürfnis eine goldene Gelegenheit, die Titoisten für den Trotzkismus zu gewinnen.

Über Nacht ließen sie ihre erst vor zwei Monaten bekräftigte Position, dass Jugoslawien ein kapitalistischer Staat sei, fallen und eilten an Titos Seite.

Zwei Tage, nachdem die Kominform den Bruch verkündet hatte, schrieb das IS an die Sektionen der Vierten und erklärte ihnen, die Tito-Affäre sei „außerordentlich bedeutsam“.

Am folgenden Tag gab das IS einen bemerkenswerten „offenen Brief“ an die KP Jugoslawiens heraus. „Jetzt versteht ihr, nachdem ihr zum Opfer dieser empörenden Kampagne geworden seid, die wahre Bedeutung der Moskauer Prozesse und des Kampfes der Stalinisten gegen den Trotzkismus“, erklärte der Brief. (Dass die jugoslawischen Führer sich an der Kampagne gegen den Trotzkismus begeistert beteiligt hatten, blieb unerwähnt.) „Wir möchten feststellen, welch gewaltiges Potential in eurem Widerstand steckt – das Potential für siegreichen Widerstand einer revolutionären Arbeiterpartei gegen den gewaltigsten bürokratischen Apparat, den es in der Arbeiterbewegung je gegeben hat, den Apparat des Kremls.“

Der Brief drängte die jugoslawische Partei: „Errichtet ein Regime echter Arbeiterdemokratie in eurer Partei und eurem Land!“, und schloss mit den Worten: „Lang lebe die sozialistische Revolution in Jugoslawien!“

Zwei Wochen später, am 13. Juli, veröffentlichte das IS einen zweiten offenen Brief – noch länger und noch unterwürfiger – „an den Parteitag, das Zentralkomitee und die Mitglieder der Kommunistischen Partei Jugoslawiens“.

Dieser offene Brief drängte die jugoslawische Partei dazu, Arbeiterdemokratie einzuführen und innen- und außenpolitisch zum Leninismus zurückzukehren. „Wir möchten nicht beschönigen, dass eine solche Politik in eurem Land und selbst in euren eigenen Reihen auf gewaltige Hindernisse stoßen wird. Eure Kader müssen im Geiste des genuinen Leninismus völlig neu ausgebildet werden“, erklärte der Brief des IS. „Wir verstehen, welche gewaltige Verantwortung auf euren Schultern lastet …“

Der offene Brief endet mit dem Wunsch, einer Delegation „unserer Führung zu erlauben, an eurem Parteitag teilzunehmen, um Kontakt zur kommunistischen Bewegung Jugoslawiens aufzubauen und brüderliche Bande zu knüpfen… jugoslawische Kommunisten, bündeln wir unsere Anstrengungen für eine neue leninistische Internationale! Für den weltweiten Sieg des Kommunismus!“ (Hervorhebung von uns.)

Dieser kriecherische Aufruf war natürlich eine völlige Kehrtwende gegenüber allem, was sie zuvor über den Klassencharakter im „kapitalistischen“ Osteuropa gesagt hatten. Sie hatten die Anträge der RCP, die erklärten, dass die Bourgeoisie in Osteuropa enteignet wurde oder schon war, noch im April desselben Jahres nachdrücklich abgelehnt. Die „Führung“ der Internationale bestand darauf, dass der konterrevolutionäre Stalinismus keine Revolution durchführen könnte, obwohl Trotzki erklärt hatte, dass das unter besonderen Umständen durchaus möglich ist. Jetzt drehten sie sich um 180 Grad und verkündeten, Jugoslawien sei unter Tito ein relativ gesunder Arbeiterstaat, ein Staat ohne die bürokratischen Auswüchse, die es in Russland gab!

„Zum Teufel beider Sippschaft!“ [ein Shakespeare-Zitat aus Romeo und Julia, Anm. d. Ü.] war anfänglich der Zugang der SWP in den USA zu dieser Frage. Als das IS aber seine offenen Briefe herausgab, widersprach sie nicht. Sie druckte sie vielmehr in ihrer Presse ab, ohne irgendwelche Kritik dazu zu äußern.

Die Reaktion der RCP

Die RCP reagierte ganz anders auf die jugoslawische Krise. Zunächst bekräftigte sie die Grundprinzipien des Trotzkismus, darunter das Recht der Jugoslawen auf Selbstbestimmung, was von der SWP nicht anerkannt wurde.

„Natürlich muss jeder Leninist das Recht eines kleinen Landes auf nationale Befreiung und Freiheit unterstützen, wenn es diese wünscht“, schrieben Ted Grant und Jock Haston und fuhren fort:

„Alle Sozialisten werden die jugoslawische Initiative für eine Föderation mit Bulgarien und zur Befreiung von der direkten Herrschaft Moskaus unterstützen. Gleichzeitig werden die Arbeiter in Jugoslawien und den anderen Ländern für den Aufbau einer wirklichen Arbeiterdemokratie in der Staatsverwaltung und der Industrie kämpfen, wie es sie unter Lenin und Trotzki in Russland gegeben hat. Das ist unter dem herrschenden Tito-Regime unmöglich.“ (Socialist Appeal, Juli 1948)

In ihrer Broschüre Behind the Stalin-Tito Clashargumentierten Ted und Jock, der Konflikte müsse „dazu genutzt werden, der Arbeiterklasse die grundsätzlichen methodischen Unterschiede zwischen Stalinismus und Leninismus“ zu erklären. Auf dieser Grundlage konnte

„die Spaltung in der internationalen stalinistischen Front eine neue Etappe im Kampf Trotzkis und der Vierten Internationale einläuten, den Stalinismus zu entlarven … Eine Etappe im Fortschritt hin zum Aufbau einer echten Kommunistischen Internationale, der Vierten Internationale, die den Aufbau eines Weltsystems freiwillig vereinigter kommunistischer Republiken anführen kann.“

Doch als die Führung der RCP den offenen Brief des IS an die Jugoslawen las, war sie entsetzt. Anders als die amerikanische SWP war die RCP nicht bereit, diese Kapitulation vor dem Stalinismus zu akzeptieren und trat offen dagegen auf. Im Namen des Zentralkomitees schrieb Jock Haston einen Protestbrief an die Internationale, worin er die Kritik ausführte und die Orientierung der offenen Briefe zurückwies:

„Der Streit zwischen Jugoslawien und dem Kominform bietet der Vierten Internationale eine große Chance, den einfachen Stalinisten die bürokratischen Methoden des Stalinismus vor Augen zu führen. Unser Zugang zu diesem bedeutenden Ereignis muss jedoch prinzipiell sein. Wir dürfen durch Schweigen über bestimmte Aspekte der Politik und des Regimes der KPJ nicht den Eindruck erwecken, Tito oder die Führer der KPJ seien Trotzkisten und es gebe keine großen Hindernisse zwischen ihnen und dem Trotzkismus. Wir dürfen die bürokratische Art und Weise, mit der die KPJ ausgeschlossen wurde, nicht so entlarven, als wären die die Anwälte der KPJ-Führung. Wir dürfen nicht den geringsten Anschein erwecken, als wären ihre Methoden und ihre Schulung nicht mehr stalinistisch, nur weil sie mit Stalin gebrochen haben.

Die Briefe scheinen von der Perspektive auszugehen, dass die Führer der KPJ für die Vierte Internationale gewonnen werden könnten. Unter dem Druck der Ereignisse haben sich schon seltsame Wandlungen einzelner Persönlichkeiten vollzogen, aber es ist, gelinde gesagt, äußerst unwahrscheinlich, dass Tito und andere KPJ-Führer je wieder zu Bolschewiki-Leninisten werden. Der Verwirklichung dieser Möglichkeit stehen gewaltige Hindernisse im Weg: die Prägung und Tradition des Stalinismus und die Tatsache, dass sie sich selbst auf ein stalinistisch-bürokratisches Regime in Jugoslawien stützen. Die Briefe unterlassen es, auf die Natur dieser Hindernisse hinzuweisen und zu unterstreichen, dass die Führer der KPJ nur dann Kommunisten werden können, wenn sie nicht nur mit dem Stalinismus, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit und mit ihren gegenwärtigen stalinistischen Methoden brechen und offen anerkennen, dass sie selbst mitverantwortlich für den Aufbau des Apparats sind, der nun eingesetzt wird, um sie zu zerschlagen. Es geht hier nicht um Kommunisten, die vor einem ‚furchtbaren Dilemma‘ stehen und auf deren Schultern eine ‚gewaltige Verantwortung‘ lastet und denen wir bescheidene Ratschläge geben: Es geht hier darum, ob stalinistische Bürokraten zu Kommunisten werden können.

Der RCP-Brief fuhr fort:

„So wie sie aber dastehen, schlagen die Briefe gerade durch ihr Schweigen zu grundlegenden Aspekten des Regimes in Jugoslawien und der Politik der KPJ einen opportunistischen Ton an.

Die Briefe des IS analysieren den Konflikt lediglich auf der Ebene der ‚Einmischung‘ durch die Führer der KPdSU, als ginge es hier nur darum, dass eine Führung ihren Willen durchsetzen will, ohne die ‚Traditionen, Erfahrungen und Gefühle‘ ihrer Aktivisten zu respektieren. Aber es geht bei dem Konflikt nicht einfach darum, dass eine Kommunistische Partei sich von den Dekreten aus Moskau unabhängig machen will. Es kämpft hier ein Teil des bürokratischen Apparats um diese Unabhängigkeit. Titos Position stellt – das ist wahr – einerseits den Widerstand der Massen gegen die Anmaßungen der russischen Bürokratie dar, gegen die ‚organische Einheit‘, die Moskau verlangt, Unzufriedenheit über die Standards der russischen Spezialisten, Druck der Bauern gegen die übereilte Kollektivierung. Aber andererseits haben die jugoslawischen Führer ein bürokratisches Eigeninteresse und eigene Ambitionen.

Nicht nur hinsichtlich Jugoslawiens, sondern auch der anderen Länder erweckt der offene Brief den falschen Eindruck, als sei die russische Führung allein verantwortlich … [Das] kann Illusionen von der Art erzeugen, als wären die Führer der nationalen stalinistischen Parteien gute Revolutionäre, wenn Moskau sie nur ließe … Diese Führer beteiligen sich aber aktiv an der Vorbereitung der Verbrechen. Auch Tito musste in der Vergangenheit keineswegs ‚gezwungen‘ werden, die Wünsche Moskaus zu erfüllen.

Wir müssen hier einfach hinzufügen, dass euer unkritischer Brief an die KP Jugoslawiens eben die Auffassung unterstützt, Tito sei ein ‚unbewusster Trotzkist‘.“

Der Brief der RCP hob weiter den offensichtlichen Kurswechsel in Bezug auf die Position zum Klassencharakter Jugoslawiens und der „Pufferstaaten“ hervor, die der Weltkongress noch im April 1948 beschlossen hatte. Es wurde deutlich, dass die zuvor im April abgelehnte Position der RCP nur wenige Monate später von den Ereignissen bestätigt wurde.

„Die Mehrheit des Weltkongresses stimmte für die Position, dass die Pufferstaaten einschließlich Jugoslawiens kapitalistische Länder seien. Sie lehnte die Resolution der RCP ab, wonach diese Ökonomien an das Modell der Sowjetunion angeglichen werden und nicht als kapitalistisch charakterisiert werden können. Der Änderungsantrag der britischen Partei zum Abschnitt ‚Die UdSSR und der Stalinismus‘ wurde abgelehnt. Aber aus diesen Briefen geht klar hervor, dass das Internationale Sekretariat von den Ereignissen gezwungen wurde, von der Position der britischen Partei auszugehen, und zwar dass die Produktions- und politischen Verhältnisse in Jugoslawien im Wesentlichen mit denen der Sowjetunion identisch sind.

Wenn es in Jugoslawien tatsächlich einen kapitalistischen Staat gäbe, dann können die Briefe des IS nur als völlig opportunistisch bezeichnet werden. Denn das IS stellt in Jugoslawien keine der Aufgaben, die sich ergeben würden, wenn dort die bürgerlichen Verhältnisse noch die vorherrschende Form wären. Die Briefe beruhen auf Schlussfolgerungen, die nur aus der Annahme folgen können, dass der Sturz des Kapitalismus und des Großgrundbesitzes im Wesentlichen vollzogen ist.“ (Hervorhebung im Original)

In „Reply to David James“ (Frühjahr 1949) führte Ted weiter aus:

„Der einzige Unterschied zwischen den Regimen von Stalin und Tito ist, dass letzteres sich noch in einer frühen Phase befindet. Es gibt eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen der ersten Welle der Begeisterung in Russland, als die Bürokratie den ersten Fünfjahresplan einführte, und der Begeisterung in Jugoslawien heute.

Schon jetzt hat es die ersten ‚Sabotageprozesse‘ gegeben, bei denen Tito die Verantwortung für etwaige Mängel im Plan seinen Gegnern zuschiebt. Ebenso haben wir die russischen ‚Geständnisse‘ im Kleinformat. Die bekannten Umrisse des stalinistischen Polizeistaats sind klar zu erkennen. Die Unterschiede sind oberflächlich und die Grundzüge identisch.“

Doch solch vernichtende Kritik wurde von den „Führern“ der Vierten Internationale kurzerhand zurückgewiesen. Sie sahen keinen Grund mehr, zu antworten. Sie hatten die RCP bereits gespalten. Healys Minderheit wurde in der Praxis bereits als offizielle britische Sektion anerkannt.

Die einzige andere Sektion der Internationale, die Einspruch erhob, war die französische Sektion, doch ihre Kritik war sehr schüchtern: „Wir werfen dem IS überhaupt nicht vor, dass es sich an die jugoslawische KP und ihr ZK gewandt hat. Angesichts der Beziehung zwischen den Massen und der KP ist dieser Schritt angemessen.“ Doch die französische Führung war mit dem Tonfall unzufrieden. „Wir protestieren dagegen, wie diese Briefe Tito und die jugoslawische KP idealisieren“. Doch sie wurden schnell auf Linie gebracht und machten deutlich, dass sie sich an die internationale Disziplin halten würden.

Von 1949 bis 1950 steigerte sich das IS immer weiter in den Gedanken hinein, Titos Jugoslawien sei ein „relativ gesunder“ Arbeiterstaat. Eine Resolution des IEK im selben Jahr ging so weit, anzukündigen, dass „die Dynamik der jugoslawischen Revolution die Theorie der permanenten Revolution in jeder Hinsicht bestätigt“, und dass „in Jugoslawien … der Stalinismus nicht mehr als relevanter Faktor in der Arbeiterbewegung existiert …“

Das restliche Osteuropa hielten sie immer noch für kapitalistisch. Sie entwickelten eine unehrliche, schwammige Theorie, der zufolge diese Staaten „auf dem Weg waren, sich der UdSSR strukturell anzugleichen“, fügten aber hinzu, sie entsprächen „heute dem Muster einer hybriden Übergangsgesellschaft mitten in der Transformation, deren Umrisse noch unklar und ungenau sind, so dass es äußerst schwer ist, ihren wesentlichen Charakter in einer knappen Formel zusammenzufassen“. Diese äußerst vage Formulierung ermöglichte ihnen, die Realität einfach zu übergehen und sich gleichzeitig für die Zukunft einen Fluchtweg offen zu lassen.

Es ist Überflüssig zu erwähnen, dass die SWP die Anträge der RCP an den Zweiten Weltkongress nie veröffentlicht hat, während gleichzeitig ihre Positionen angegriffen und verzerrt wurden.

Es war jedenfalls die RCP, die eine klare Position hatte. Das ermöglichte es Grant und Haston, vorherzusagen, dass „Tito keineswegs die wirklichen Verbrechen der stalinistischen Bürokratie angreifen, sondern versuchen wird, zu einem Kompromiss zu gelangen“. Genau so kam es auch.

Arbeitsbrigaden

1950 entwickelte die Internationalen die Idee, Brigaden zu organisieren und auf Arbeitseinsätze nach Jugoslawien zu schicken. Die französische Sektion, die Internationale Kommunistische Partei (PCI), von der wir schon gehört haben, dass sie anfänglich Zweifel am Tonfall der „offenen Briefe“ des IS hatte, wurde nun, unter der Führung von Bleibtreu und Lambert, zum größten Fanclub der jugoslawischen Stalinisten.

Mit der enthusiastischen Unterstützung Lamberts schickte die PCI Jugend- und Gewerkschaftsbrigaden nach Jugoslawien, um den „Aufbau des Sozialismus“ zu unterstützen. Im Januar 1950 hieß es im Bericht vom 6. Kongress der PCI, es sei „falsch, in Jugoslawien von einer bürokratischen Kaste zu reden, wie es sie in Russland gibt“, oder „die Idee zu akzeptieren, dass die KPJ vor dem Imperialismus kapituliert hätte oder auf dem Weg dahin sei, das zu tun“. (La Verité, 246, Jan 1950, Report on the defence of Yugoslavia https://cermtri.com/system/files/Adherents/no246.pdf )”.

Die Kongressresolution erklärte, dass die jugoslawische KP „in einer Reihe wichtiger strategischer Fragen zum Leninismus zurückgekehrt“ sei und definierte die KPJ als „linkszentristisch und in Weiterentwicklung begriffen“, weil es nämlich Faktoren gebe, die „die KPJ objektiv auf den Weg des revolutionären Programms“ drängen. (Hands off the Yugoslav revolution, resolution of the VI congress of the PCI, La Verité No. 247, 1st half of February, 1950 https://cermtri.com/system/files/Adherents/no247.pdf).

Die PCI rief ihre Unterstützer dazu auf, den Sendungen von Radio Belgrad zu folgen. Unter der Überschrift „Die großartige Wahlkampagne der KPJ“ erklärte Gérard Bloch:

„Die KPJ und die Vierte Internationale werden aus demselben Grund gehasst: weil sie die größte Kraft unserer Epoche verkörpern, die Kraft der proletarischen Revolution, die unbesiegbare Macht der Werktätigen aller Länder.“ („La magnifique campagne électorale du PCY“, La Vérité Nr. 251, erste Aprilhälfte 1950)

Am 1. Mai 1950 besuchte eine französische Delegation Belgrad, darunter der PCI-Führer Lambert, der offen seine Bewunderung für das Tito-Regime bekundete:

„Ich glaube, ich habe in Jugoslawien die Diktatur des Proletariats gesehen, unter Führung einer Partei, die leidenschaftlich bemüht ist, die Bürokratie zu bekämpfen und die Arbeiterdemokratie durchzusetzen.“

Gleichzeitig berichtete er stolz über die Parolen auf der Demonstration: „Tito, Zentralkomitee, Partei, jugoslawische Völker“ und „Tito ist mit uns, wir sind mit Tito“. (Pierre Lambert, „1er Mai à Belgrade“, La Vérité Nr. 254, zweite Maihälfte 1950)

Lambert, verantwortlich für die Kommission für Gewerkschaftsarbeit der PCI, gründete zusammen mit Gewerkschaftern, die der Französischen Kommunistischen Partei kritisch gegenüberstanden, das gewerkschaftliche Bulletin L’Unité, das finanzielle Unterstützung von der jugoslawischen Botschaft erhielt.

Sie organisierten Arbeitsbrigaden namens „Jean-Jaurès-Brigaden“. Die PCI-Zeitung La Vérité titelte über einen Delegationsbericht:

„Diejenigen, die die Wahrheit in Jugoslawien gesehen haben, sagen es: JA, das ist ein Staat, in dem der Sozialismus aufgebaut wird, das ist die Diktatur des Proletariats.“

Als Antwort auf stalinistische Behauptungen, Jugoslawien sei ein „Polizeistaat“, erklärte der Artikel:

„Im Unterschied zur UdSSR übt hier die Arbeiterklasse selbst die Macht aus … Dieser Staat ist ein ARBEITERSTAAT, entschlossen auf dem Weg zur SOZIALISTISCHEN DEMOKRATIE.“ (Ceux qui ont vu la vérité en Yugoslavie la disent: OUI c’est un état où se construit le socialisme, c’est la dictature du proletariat, La Vérité Nr. 258, erste Oktoberhälfte 1950)

Auch Healy war eifrig mit der Verteidigung Titos beschäftigt und organisierte die Reise einer „John MacLean Jugend-Arbeitsbrigade“ der Labour-Jugendorganisation nach Jugoslawien.

Cannon blieb nicht zurück und beteiligte sich am Lob für das Regimes. Er schickte ein Telegramm an das Zentralkomitee der KPJ und schrieb darin über ihr Manifest zum 1. Mai:

„Die Arbeiter werden Ihren Aufruf, Jugoslawien zu verteidigen und die revolutionäre Bewegung auf der Grundlage des Leninismus im Gegensatz zum Stalinismus und zur Sozialdemokratie wieder aufzubauen, überall bejubeln.“ (Yugoslav May Day Manifesto Hailed by SWP Leader, The Militant, 8. Mai 1950)

Zwei Monate später verherrlichte die SWP-Zeitung The Militant Tito mit ihrer Überschrift: „Tito verurteilt die Bürokratie als Feind des Sozialismus“, und charakterisierte seinen Angriff auf Stalin als „bedeutenden Meilenstein in der Entwicklung der internationalen Arbeiter- und sozialistischen Bewegung.“ (Tito’s June 27 Speech, The Militant, 10. Juli 1950)

Auf dem achten Plenum des IEK im April 1950 erklärte Mandel kühn, dass Jugoslawien nunmehr „ein nicht-degenerierter Arbeiterstaat“ sei.

Als das Tito-Regime im Juli 1950 offen vor dem Imperialismus kapitulierte, indem es sich bei der Abstimmung zur UN-Militärintervention gegen den Norden im Koreakrieg enthielt, äußerte die PCI-Zeitung im Dezember 1950 Enttäuschung und Ernüchterung:

„All das ist äußerst schmerzlich für die revolutionären Freunde Jugoslawiens, die gehofft hatten, dass seine Führer ihre Versprechen halten würden, den Marxismus-Leninismus konsequent gegen den stalinistischen Revisionismus zu verteidigen.“ (La Yougoslavie sur la voie glissante, La Vérité Nr. 263, zweite Dezemberhälfte 1950)

Doch ausnahmslos alle „Führer“ der Vierten kapitulierten vor dem Tito-Stalinismus: Cannon, Mandel, Pablo, Frank, Maitan, Healy usw. Ihre Internationale war, wie Ted Grant es ausdrückte, zu einem „Rechtfertigungs-Reisebüro für Jugoslawien“ geworden.

Als Cannon, Healy und Lambert im Jahre 1953 Pablo vorwarfen, ein Unterstützer des Stalinismus zu sein, versuchten sie zu verschleiern, dass sie selbst in den Jahren zuvor große Bewunderer des Tito-Stalinismus gewesen waren. Healys siebenteilige Geschichte der Vierten Internationale beginnt bezeichnenderweise erst 1952/53. Die vorangegangene Periode wird schlicht unter den Teppich gekehrt.

Die chinesische Revolution

Mit China und der chinesischen Revolution 1949 wurde ähnliches Unheil angerichtet.

Weil es nicht selbstständig denken konnte, klammerte sich das IS an dem Gedanken fest, dass Mao auf jeden Fall vor Chiang Kai-Shek kapitulieren würde. Als es dann anders kam, waren die chinesischen Trotzkisten völlig verwirrt.

Die stalinistisch geführten Bauernarmeen zerschlugen die Kräfte Chiang Kai-Sheks und stürzten den Kapitalismus. Inspiriert vom stalinistischen Russland bauten sie ein proletarisch-bonapartistisches Regime auf. Nur Ted Grant verstand, was vor sich ging und sagte voraus, was passieren würde, noch bevor Mao es selbst verstanden hatte.

Die Weigerung des IS, die Wirklichkeit zur Kenntnis zur nehmen, wurde immer lächerlicher. Auf einem internationalen Treffen argumentierten Cannon und andere, unter anderem auch ein chinesischer Genosse, Maos Armee werde niemals den Jangtse-Fluss überqueren und Chiang besiegen. Noch bevor das Treffen vorüber war, hatte die Rote Armee den Fluss überquert und die Armee von Chiang Kai-Shek zerschlagen. Shachtmans Anhänger krümmten sich vor Lachen, als er ihnen von Cannons Perspektiven erzählte. „Ja, Mao will vor Chiang Kai-Shek kapitulieren“, scherzte er. „Er schafft es nur nicht, ihn einzuholen!“

Konfrontiert mit Maos revolutionärem Agrarprogramm und der Propaganda vom „Land für die Bauern“ schmolzen Chiang Kai-Sheks Armeen hilflos dahin. Doch Mao unterdrückte skrupellos jede unabhängige Bewegung des Proletariats in den Städten.

Ted erklärte im Voraus, dass die chinesische Revolution „das größte Ereignis der Menschheitsgeschichte“ nach der Russischen Revolution sein würde.

Teds Prognose

Als Mao im Oktober 1949 an die Macht kam, war seine Perspektive, dass 100 Jahre Kapitalismus nötig wären, bevor China sozialistisch werden könnte. Doch Teds Analyse war so weitreichend, dass er die tatsächliche Entwicklung voraussah, noch bevor Mao selbst daran dachte.

Die Ereignisse in China waren für die „Führer“ der Vierten Internationale ein Rätsel. Sie hielten sich an die Position, die Trotzki vorsichtig vor dem Krieg geäußert hatte: Sollte die maoistische Armee gegen Chiang Kai-Shek siegen, würde die Führung der Roten Armee ihre bäuerliche Basis verraten. In den Städten würden die Militärs – die Passivität der Arbeiter vorausgesetzt – mit der Bourgeoisie fusionieren und zum Kapitalismus übergehen. Das geschah nicht, denn der Weg zur kapitalistischen Entwicklung war in China versperrt. Unter dem Regime Chiang Kai-Sheks erwies sich die Bourgeoisie als völlig bankrott und unfähig, die Agrarfrage zu lösen oder das Land von der imperialistischen Herrschaft zu befreien.

Schon 1950 erklärte Ted Grant die Prozesse, die damals zur Herausbildung bürokratisch deformierter Arbeiterstaaten führten:

„Die Tatsache, dass die Revolution in China und Jugoslawien in einer verzerrten und entstellten Form weiterentwickelt werden konnte, ist auf weltgeschichtliche Faktoren zurückzuführen:

(a) Die Krise des Weltkapitalismus,
(b) die Existenz eines starken, deformierten Arbeiterstaats in unmittelbarer Nachbarschaft, der die Arbeiterbewegung entscheidend beeinflusst,
(c) die Schwäche der marxistischen Strömung der Vierten Internationale.

Diese Faktoren haben eine beispiellose Entwicklung zur Folge gehabt, die von den Lehrern des Marxismus keiner hätte vorhersehen können: die Ausdehnung des Stalinismus als soziales Phänomen auf halb Europa, den chinesischen Subkontinent, und möglicherweise auch auf ganz Asien.

Das stellt uns vor neue theoretische Probleme, die von der marxistischen Bewegung gelöst werden müssen. Unter Bedingungen der Isolation und Schwäche musste das Auftreten neuer historischer Faktoren unweigerlich zu einer theoretischen Krise der Bewegung führen – und damit zur Frage nach ihrer Existenz und ihrem Überleben.“
(Grant, Open Letter to the BSFI, Sept–Okt 1950)

In der Tat stellte sich ziemlich deutlich die „Frage nach ihrer Existenz und ihrem Überleben“. Ein Fehler nach dem anderen und dazu die Unfähigkeit daraus zu lernen hatten die Internationale völlig diskreditiert.

Noch 1954 bezeichnete die SWP China als kapitalistisch. Erst im folgenden Jahr, 1955, bezeichneten sie es als deformierten Arbeiterstaat.

In seinem Text Stalinism in the Postwar World (Juni 1951) bringt Ted es auf den Punkt:

„Für den Marxismus können weder Pessimismus noch falscher Optimismus eine Rolle bei der Analyse der Ereignisse spielen. Die erste Notwendigkeit besteht darin, die Bedeutung des Zusammentreffens historischer Kräfte zu begreifen, das zur gegenwärtigen Weltsituation geführt hat.“

Er sagte auch voraus, dass die Schaffung eines deformierten Arbeiterstaats in China, wie schon bei Tito, zu einem schweren Konflikt mit der russischen Bürokratie führen würde. Mit anderen Worten: Ted sah das künftige chinesisch-sowjetische Zerwürfnis voraus.

All das war für Cannon, Mandel, Pablo, Frank und Konsorten ein Buch mit sieben Siegeln. Sie begriffen nicht im Ansatz, was überhaupt los war. Für sie gab es einen relativ gesunden Arbeiterstaat in Jugoslawien, kapitalistische Staaten im übrigen Europa und einen deformierten Arbeiterstaat in Russland. Wie Ted festhielt: „Diese Position war schon im Sinne der formalen Logik inkohärent, ganz zu schweigen vom Marxismus.“

Die Zerstörung der RCP

Die ständigen Kurswechsel und Irrtümer der „Führer“ der Vierten führten nicht nur zur Zerstörung der Vierten Internationale, sondern waren auch entscheidend für die Vernichtung der RCP, ihrer erfolgreichsten Sektion.

Auch wenn die Bewegung objektiven Schwierigkeiten gegenüberstand – angesichts des Wirtschaftsbooms und der Stärkung des Stalinismus –, hätte man mit einer richtigen Politik und Perspektive die Kader erhalten können. Doch die Manöver und die falsche Politik der führenden Clique desorientierten und demoralisierten die Kader.

Diese Demoralisierung traf auch führende Genossen der RCP, insbesondere Jock Haston. Die Führer der Internationale schlugen vor, die RCP in der Labour Party aufzulösen – eine Politik des Tiefenentrismus. Und obwohl Haston sehr wohl wusste, dass die Bedingungen für den Entrismus, die Trotzki aufgestellt hatte, keineswegs gegeben waren, schlug er aus Verzweiflung vor, diesen Vorschlag anzunehmen, um Teil der Internationale zu bleiben.

Ted und andere führende Parteimitglieder waren dagegen, ließen sich aber letztlich überreden, um die Führung zusammenzuhalten. Als sie aber das Gespräch mit der internationalen Führung suchten, sagte man ihnen schroff: Redet nicht mit uns. Redet mit unserem Vertreter in Großbritannien, Gerry Healy. Man stellte sie im Grunde vor die Wahl, entweder mit Healys Gruppe zu fusionieren oder sich außerhalb der Internationale wiederzufinden.

Healy stellte absolut unverschämte Bedingungen: Die Differenzen sollten sechs Monate lang nicht diskutiert werden. Dann sollte es eine Konferenz geben. So sollte angeblich die Vereinigung erleichtert werden. In Wahrheit war es ein zynisches Manöver von Healy.

Healy war fest entschlossen, sich eine Mehrheit auf dieser Konferenz zu schaffen. Er hatte es bis dahin noch nie geschafft, in der RCP eine Mehrheit zu überzeugen. Jetzt hatte er endlich die Mittel dafür. Er nutzte die Situation aus und begann, mit den willkürlichsten und bürokratischsten Methoden Oppositionelle auszuschließen.

Healy hatte die Organisation jetzt völlig im Griff und duldete keinerlei Opposition. Seit zehn Jahren wartete er auf diese Gelegenheit, Rache zu üben.

Als Haston klar wurde, was geschah, war er völlig demoralisiert und trat angewidert aus. Healy gab sich damit nicht zufrieden und verlangte, dass er noch formell ausgeschlossen wird.

Er erklärte Anfang März 1950 vor dem Politischen Büro, Haston müsse für sein „Renegatentum“ ausgeschlossen werden: „Der Mann ist ein unverbesserlicher Opportunist.“

Durch Hastons Austritt war Ted in einer unmöglichen Situation. Er erkannte, dass die ganze Angelegenheit eine abscheuliche Farce war und enthielt sich. Dann schloss Healy Tony Cliff aus – für seine Ideen und um zu verhindern, dass sein Dokument auf der Konferenz diskutiert würde. Als Ted sich weigerte, dem Ausschluss Cliffs zuzustimmen, wurde er auch ausgeschlossen.

Mit solchen Manövern und einer systematischen Säuberung schuf sich Healy seine „Mehrheit“.

Diese Methoden waren der trotzkistischen Bewegung völlig fremd. Sie waren direkt vom Sinowjewismus abgeschrieben, der nur einen Schritt vom Stalinismus entfernt ist.

Das hatte nichts mit den Traditionen des Bolschewismus zu tun – saubere, demokratische Traditionen, die von der RCP immer verteidigt wurden. Trotzki erklärte, wie man mit internen Streitigkeiten umgehen soll:

„Zunächst ist es sehr wichtig, die Statuten der Organisation streng zu beachten – regelmäßige Mitgliederversammlungen, Diskussionen vor den Konferenzen, regelmäßige Konferenzen und das Recht der Minderheit, ihre Meinung zu äußern (es sollte eine genossenschaftliche Atmosphäre herrschen, keine Drohungen mit Ausschluss). Wisst ihr, das hat es in der alten [russischen] Partei nie, nie gegeben. Der Ausschluss eines Genossen war ein tragisches Ereignis und erfolgte nur aus moralischen Gründen, niemals wegen einer kritischen Haltung.“
(Aus: „Results of the Entry and Next Tasks“, 6. Oktober 1937, in „Writings of Leon Trotsky [1936-37]“, S. 486)

Ted Grant und Jock Haston widersprachen Tony Cliffs revisionistischer Theorie des Staatskapitalismus entschieden, aber sie setzten sich politisch mit ihm auseinander und versuchten, damit das Niveau der Kader zu heben. Es kam ihnen nie in den Sinn, ihn wegen seiner falschen Ansichten auszuschließen.

Diese verrotteten sinowjewistischen Methoden waren nun in der sogenannten Vierten Internationale zur Norm geworden. Ihre Führer versuchten, politische Differenzen durch administrative Maßnahmen, Druck und Schikanen zu lösen.

Nach Teds Ausschluss aus Healys Organisation, dem sogenannten „Club“, wurde Ted dann offiziell auf dem Dritten Weltkongress der Vierten Internationale im August 1951 auf Antrag Mandels ausgeschlossen.

Im Bericht des „International Information Bulletin“ (Dezember 1951) hieß es:

„Der Ausschluss von Haston, IEK-Mitglied, und Grant, Ersatzmitglied – beide Vertreter der ehemaligen Mehrheit der RCP und Träger jener Strömung des britischen Trotzkismus, die sich hartnäckig weigerte, sich in die Internationale zu integrieren und sich die neue Linie des Trotzkismus zu eigen zu machen.“

Und weiter: „Dies ist ein typisches Beispiel für die rasche Degeneration jeder Tendenz, die ihr Heil im nationalen Partikularismus außerhalb der breiten Entwicklungspfade der Internationale sucht …“

Sie waren zynisch genug, offen zu sagen:

„[Hastons] Ausschluss aus dem IEK auf dem 8. Plenum erfolgte, nachdem er die Organisation verlassen und mehrmals offenen Verrat begangen hatte. Das war der Abschluss einer langen Auseinandersetzung. Niemand kann bestreiten, dass die Führung der Internationale sich dabei geduldig und flexibel verhalten und alles versucht hat, um die Haston-Strömung in die Internationale zu integrieren.“

Healy, Cannon und die anderen hatten jetzt endlich, was sie wollten. Die RCP und Trotzkis Vierte Internationale waren zerstört. Der echte Trotzkismus war besiegt und der Sinowjewismus beherrschte die Organisation.

Eine prinzipienlose Spaltung

Ted Grant erklärte oft, dass die einzige Autorität einer wirklich leninistischen Führung moralisch und politisch sein kann. Ohne moralische und politische Autorität bleibt nur ein korruptes bürokratisches Regime, in dem die Führer nach zweifelhaftem Prestige verlangen.

Parteiführer, die ideologisch ausreichend vorbereitet und in den Methoden des dialektischen Materialismus verankert sind, fürchten sich nie davor, politische Differenzen oder Kritik zu beantworten.

Doch Führer, deren Niveau nicht ausreicht, um ihren Kritikern mit Zahlen, Daten, Fakten und Argumenten zu antworten, werden sich immer auf administrative Maßnahmen stützen müssen, um ungewollte interne Probleme zu beseitigen. Solche Methoden führen mit Sicherheit zur Zerstörung der Organisation.

Weil sie nicht die nötige politische und moralische Autorität hatten, nutzten die Führer der Vierten sinowjewistische Methoden, um ihre Politik durchzudrücken. Solche Methoden führen zwangsläufig zu politischer Demoralisierung, Krisen und prinzipienlosen Spaltungen.

Diese Methoden und die durchgängig falsche politische Linie führten gemeinsam zur endgültigen Zerstörung der Vierten Internationale.

Die RCP war auf dem Weg zur völligen Degeneration das einzige ernstzunehmende Hindernis gewesen.

Mit der Zerstörung der RCP war der Weg frei für Pablo, Mandel und Frank, sich über die Sektionen der Internationale herzumachen. Ihre mangelnde politische und moralische Autorität spiegelte sich exakt in ihrer durchgehend falschen Perspektive und Politik wider.

1951 vollzog Pablo auf dem Dritten Weltkongress mit dem Internationalen Sekretariat eine Kehrtwende: Sie gaben die Position eines durch den Krieg geschwächten Stalinismus auf und wechselten nun zur Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Atomkriegs des Imperialismus gegen die Sowjetunion – ein Dritter Weltkrieg, der in die Revolution münden würde.

Dieser Krieg wurde als Teil des internationalen Klassenkampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie begriffen – mit den Vereinigten Staaten an der Spitze des bürgerlichen Lagers und der Sowjetunion und ihrer zögerlichen stalinistischen Führung an der Spitze des internationalen Proletariats. Diese Perspektive erschien diesen Leuten angesichts des andauernden Koreakriegs umso realer. Pablo schrieb dazu:

„Die beiden Begriffe ‚Revolution‘ und ‚Krieg‘ sind keineswegs Gegensätze oder als klar voneinander unterscheidbare Entwicklungsstadien zu betrachten, sondern wachsen derart zusammen, dass sie praktisch untrennbar werden … An ihre Stelle tritt das Konzept von ‚Revolutionskrieg‘ oder ‚Kriegsrevolution‘, auf das sich die Perspektiven und die Orientierung revolutionärer Marxisten in unserer Epoche stützen müssen.“ (Where Are We Going?‘, Michel Pablo, Juli 1951)

Was den Ausgang betrifft, so werde diese „Transformation vermutlich eine ganze historische Periode von mehreren Jahrhunderten in Anspruch nehmen und in dieser Zeit mit Übergangsformen und -regimes angefüllt sein, die zwischen Kapitalismus und Sozialismus liegen und zwangsläufig von den ‚reinen‘ Formen und Normen abweichen.“

Mit anderen Worten: Seine Perspektive war die von „Jahrhunderten deformierter Arbeiterstaaten“, in denen die Trotzkisten die loyale Opposition sein sollten.

Angesichts dieses Zeithorizonts und der Gärung, die diese „Kriegsrevolution“ in den Massenorganisationen auslösen würde, sollten die Trotzkisten, so Pablo, nun in die stalinistischen oder sozialdemokratischen Massenorganisationen eintreten, um zu verhindern, isoliert zu werden. Das nannte er Entrismus sui generis, also „einzigartigen Entrismus“. Das sollte eine Politik des dauerhaften „Tiefenentrismus“ bis zum „kommenden weltweiten Showdown“ sein, der zum Sieg der deformierten Arbeiterstaaten führen würde.

Pablo verkündete, im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus könnten Stalinismus und kleinbürgerlicher Nationalismus eine fortschrittliche Rolle spielen. Genau diese Position hatten die Führer der Vierten der RCP empört vorgeworfen, obwohl die RCP sie nie vertreten hatte.

Das 9. Plenum des IEK im November 1950, der 3. Weltkongress im Sommer 1951 und schließlich das IEK-Plenum im Februar 1952 unterstützten allesamt die Analyse Pablos, einschließlich dieser neuen entristischen Strategie, die sich aus dem bevorstehenden Weltkrieg ergab.

Das brachte die POR, die bolivianische Sektion der Vierten Internationale, dazu, die Revolutionäre Nationalistische Bewegung (MNR) zu unterstützen, was zur Niederlage des Proletariats in der bolivianischen Revolution 1952 führte (siehe The 1952 Bolivian Revolution).

Die Resolution des 12. Plenums des IEK (Dezember 1952) zu Bolivien erklärte, die POR habe korrekt gehandelt und unterstützte offen „die kritische Unterstützung für die MNR“. (International Information Bulletin, Jan 1953, p. 24)

Die Mehrheit der französischen Sektion wandte sich gegen einige Aspekte von Pablos neuer Linie und Bleibtreu-Favre schrieb ein oppositionelles Dokument mit dem Titel „Wohin geht Pablo?“. Während Pablo eine Linie der Anpassung an die stalinistische Bürokratie in Moskau entwickelt hatte, klammerte sich Favre weiter an die vorherige Position der Illusionen in die Stalinisten in Jugoslawien und in der chinesischen KP. Er argumentierte:

„Was eine Arbeiterpartei als stalinistisch definiert – im Unterschied zu einer revolutionären Partei, einer (mit der Bourgeoisie verbundenen) sozialdemokratischen Partei oder einer wie auch immer gearteten zentristischen Partei –, ist weder eine stalinistische Ideologie (die es gar nicht gibt) noch bürokratische Methoden (die es in allen möglichen Parteien gibt), sondern vielmehr ihre völlige und mechanische Unterordnung unter den Kreml. Wenn diese Unterordnung aus irgendeinem Grund aufhört, hört die Partei auf, stalinistisch zu sein, und vertritt Interessen, die sich von denen der bürokratischen Kaste in der UdSSR unterscheiden. Das geschah (durch das revolutionäre Handeln der Massen) in Jugoslawien schon lange vor dem Bruch; der Bruch machte es nur offiziell. Das ist auch in China bereits passiert und wird sich zwangsläufig in einem Abbruch der Beziehungen widerspiegeln, ganz gleich, welchen Kurs die chinesische Revolution nimmt.“

Auf dieser Grundlage stand die Opposition gegen Pablo seitens der französischen PCI-Mehrheit. Wie zu erwarten, nutzte Pablo bürokratische Mittel, um diese Opposition zu besiegen. Zunächst weigerte er sich, das Mehrheitsdokument der Franzosen auf dem Weltkongress 1951 zur Abstimmung zu stellen. Dann nötigte er die französische Mehrheit zu einem Kompromiss: Eine Kommission sollte über die Taktik in Frankreich entscheiden. Doch dieser Kompromiss hielt nicht lange.

Im Januar 1952 wies das Internationale Sekretariat die französische Sektion an, in die Französische Kommunistische Partei einzutreten. Das bedeutete, die gewerkschaftliche Arbeit aufzugeben, die Lambert gemeinsam mit antikommunistischen Kräften (die inzwischen Teil der Force Ouvrière-Gewerkschaft sind) in L’Unité gemacht hatte, aufzugeben und sich der CGT anzuschließen. Die Mehrheit des ZK stimmte dagegen. Daraufhin griff Pablo ein und schloss bürokratisch alle 16 Mitglieder des ZK aus, die gegen den Kurs gestimmt hatten! Einen Monat später machte das IEK diese Entscheidung wieder rückgängig.

Als Mitte 1952 die nationale Konferenz bevorstand, stürmte die pro-Pablo-Minderheit der französischen Sektion das PCI-Büro und entwendete dort Eigentum der Organisation. Sie wurde prompt von der Mehrheit ausgeschlossen, womit es nun zwei Organisationen gleichen Namens mit derselben Zeitung gab.

Auf der IEK-Sitzung im November 1952 unterlag die französische Mehrheit um Lambert und Bleibtreu-Favre und wurde dann im Januar 1953 vom IS endgültig aus der Internationale ausgeschlossen. Eine überwältigende Mehrheit unterstützte dieses Vorgehen und die allgemeine politische Linie, darunter auch die amerikanische SWP und die Gruppe um Healy, die noch immer entschiedene Anhänger Pablos waren.

Zuvor hatte Daniel Renard von der französischen Sektion sich an Cannon gewandt und um Unterstützung gegen die pro-stalinistische Linie Pablos gebeten. Im Mai 1952 antwortete ihm Cannon und wies jeden Verdacht an eine pro-stalinistische Strömung in der Internationale zurück:

„Wir sehen in der internationalen Führung der Vierten Internationale keine solche Strömung und auch kein Anzeichen oder Symptom davon.

Wir beurteilen die Politik der internationalen Führung nach der Linie, die sie in ihren offiziellen Dokumenten entwickelt, also aktuell nach den Dokumenten des 3. Weltkongresses und des 10. Plenums. Wir sehen darin keinen Revisionismus. Wir halten diese Dokumente für völlig trotzkistisch…

Die Führung der SWP ist einhellig der Meinung, dass die Verfasser dieser Dokumente der Bewegung einen großen Dienst erwiesen haben und dafür Anerkennung und genossenschaftliche Unterstützung, nicht Misstrauen und Verunglimpfung verdienen.“ (‘Letters exchanged between Daniel Renard and James P. Cannon’, February 16 and May 9, 1952)

Diese Aussagen machen deutlich, dass damals jeder ein „Pabloist“ war. Alle sangen genau dasselbe politische Lied. Die Resolutionen des 3. Weltkongresses 1951 wurden vom pabloistischen IS verfasst und vom Kongress angenommen.

Cannon unterstützte Pablo bedingungslos. „Soweit ich die Resolution verstehe, ist sie der Versuch, die neue Realität auf der Welt anzuerkennen und für Strategie und Taktik die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ich stimme diesen Schlussfolgerungen zu.“ (Cannon, Speeches to the Party, p.141)

Gerade Cannon sah in den Resolutionen eine Unterstützung seiner „Thesen über Amerika“. Das unterstrich er in einem Brief an Dan Roberts:

„In Wahrheit bekräftigen die im Dokument des 3. Kongresses analysierten Ereignisse die ‚Thesen über Amerika‘ und verleihen ihnen noch mehr Aktualität. Der weltweite Trend zur Revolution ist nun unumkehrbar, und Amerika wird sich diesem Sog nicht entziehen können.“ (Cannon, Speeches to the Party, S. 271)

Als Cannon Pablos Broschüre The Coming World Showdown mit ihrer Perspektive eines in eine Kriegsrevolution übergehenden Weltkriegs las, erklärte er: „Ich stimme mit Pablos Broschüre vollkommen überein.“

Als 1952/53 die Spaltung kam, hatte sie daher keinerlei politische Ursachen, denn es gab keine Differenzen. Als Pablo den IS-Entwurf The Rise and Fall of Stalinism als Diskussionsgrundlage für den kommenden 4. Weltkongress vorlegte, stimmte Healy zu, dass er im Namen des IS an alle Sektionen verschickt werde, mit nur wenigen, unbedeutenden Anmerkungen.

Healy war in diesen Jahren ein enger Verbündeter Pablos gewesen. „In den vergangenen Jahren war ich ihm extrem nahe und habe ihn sehr schätzen gelernt“, schrieb Healy im Mai 1953 an Cannon. „Er hat bemerkenswerte Arbeit geleistet, und gerade jetzt braucht er unsere Unterstützung.“ (Letter from G. Healy to James P. Cannon, 27. Mai 1953, Trotskyism versus Revisionism, vol.1, S. 112 & 114)

Die Spaltung beruhte stattdessen ausschließlich auf dem Verhältnis zwischen Pablo und der SWP-Führung, die sich nun als Rivalen betrachteten. Während Cannon Pablos Politik unterstützte, konnte er dessen Einmischung in die Angelegenheiten der SWP nie dulden. Insbesondere die Entstehung einer Minderheitsfraktion in der SWP unter Bert Cochran warf er Pablo als „Einmischung in ihre Angelegenheiten“ vor. Sie sei „von Paris angestiftet“ worden.

Deshalb startete Cannon einen Angriff auf „Paris“, diesen Fremdkörper, der sich in die amerikanische Partei einzumischen und interne Abweichler zu fördern versuchte. Cannon arbeitete bald darauf hin, Pablo „und seine rückgratlosen Lakaien“ zu entfernen. Mit seiner typischen Aggressivität schrieb er: „Die revolutionäre Aufgabe besteht nicht darin, mit dieser Strömung zu ‚leben‘ … sondern sie zu sprengen.“

Er fügte hinzu:

„Die nächste Stufe unserer Strategie stelle ich mir so vor, dass sie von der kompromisslosen Entschlossenheit ausgeht, den Pabloismus politisch und organisatorisch zu vernichten.“

Da haben wir es: Aus völliger Übereinstimmung und bedingungsloser Unterstützung des Pabloismus in all seinen Erscheinungsformen wird jetzt „kompromisslose Entschlossenheit“, ihn zu vernichten und aus der Organisation zu vertreiben! Und diese 180-Grad-Wendung vollzog sich völlig mühelos, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne jegliche Erklärung in nur wenigen Monaten.

Als sie dann kam, war die Spaltung wie Musik in Healys Ohren. In der neuen Arbeitsteilung wurde er zu Cannons Mann in Europa und konnte sein eigenes Ding machen. Mit ihm verbündete sich die französische PCI unter Bleibtreu-Favre und Lambert. Alle zusammen bildeten das „Internationale Komitee“ der Vierten Internationale.

Healy betrieb unterdessen eine Politik des Tiefenentrismus in Großbritannien rund um die Zeitung Socialist Outlook, die er gemeinsam mit einigen Linksreformisten herausgab. 1954 wurde die Zeitung vom Nationalen Exekutivkomitee der Labour Party verboten. Ohne eigene Zeitung begannen die Healyites opportunistisch, einfach die Tribune zu verkaufen und an ihr mitzuwirken. Das war die reformistische Zeitschrift von Michael Foot [von 1980 bis 1983 Vorsitzender der Labour Party, 1983 verantwortlich für den Ausschluss von Ted Grant und anderen Genossen, Anm. d. Ü.]. Daran werden sie nicht gerne erinnert.

Vom Linksradikalismus zum Opportunismus

Jahrelang weigerten sich Mandel, Pablo und Cannon hartnäckig, die Wirklichkeit der veränderten Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zu akzeptieren.

Ohne jede Erklärung und ohne jede kritische Bewertung vergangener Fehler gingen sie dann vom Linksradikalismus zum Opportunismus über. Anstatt weiter an der Perspektive eines unmittelbar bevorstehenden ökonomischen Zusammenbruchs festzuhalten, begannen die Führer der Vierten Internationale mit revisionistischen Ideen zu liebäugeln – etwa mit dem Keynesianismus, den sie dem morschen Arsenal des Reformismus und der bürgerlichen Ökonomie entlehnten.

Mandel war fasziniert von staatlicher Intervention, während Tony Cliff sich zur Erklärung des Nachkriegsaufschwungs der Idee der „permanenten Rüstungswirtschaft“ bediente. Nur unsere Strömung – personifiziert durch Ted Grant – verstand wirklich, was geschah.

In einer brillanten Analyse, verfasst 1960 unter dem Titel Kommt der Wirtschaftseinbruch?, erklärte Ted das Wesen des gerade ablaufenden Aufschwungs:

„Es stimmt, dass die Wirtschaft in den Jahren 1890-1914 schneller wuchs als in der Zwischenkriegszeit, doch das spiegelt die Tatsache wider, dass der Kapitalismus seither seinen relativ fortschrittlichen Charakter eingebüßt hat. Der Weltkrieg von 1914-18 stellte einen Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus dar. Ausdruck dessen war die Sackgasse, in die das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Nationalstaat die Gesellschaft geführt hatten.

Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt sich einer Reihe von Faktoren. Ein solcher Aufschwung ist nicht ‚einzigartig.‘ Die Möglichkeit einer solchen Entwicklung wurde von Trotzki in seiner Kritik an den mechanischen Vorstellungen der Stalinisten vorhergesehen.“

Er erklärte, welche Faktoren den Aufschwung erzeugt hatten. Dazu gehörte auch die beispiellose Ausweitung des Welthandels.

„Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Kapitalismus, wenn auch in einer ungleichmäßigen und sehr widersprüchlichen Form, eine Periode der ‚Wiederauferstehung‘ erlebt. Es handelt sich dabei zwar nur um eine zeitweilige Erholung einer kranken und morschen Wirtschaftsordnung, die das Greisenalter und die Schwäche des verrotteten Kapitalismus und nicht seine jugendliche Widerstandskraft ausdrückt. Doch sogar im Zuge des allgemeinen Niedergangs des Kapitalismus sind solche Erholungsphasen nichts Ungewöhnliches, solange es die Arbeiterklasse aufgrund einer mangelhaften Führung nicht schafft, dem System ein Ende zu setzen. Der Kapitalismus kennt keine ‚Endkrise‘ oder eine absolute ‚Schranke‘ für die Produktion und wird nicht von selbst zusammenbrechen, wie die Stalinisten während der Großen Depression von 1929-33 behaupteten. Dennoch zeigte sich die Schwächung des Kapitalismus anhand der Vielzahl an revolutionären Ereignissen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Pierre Lambert, der Führer der französischen Sektion, der 1952 aus der Vierten Internationale ausgeschlossen wurde, kritisierte ebenfalls den Revisionismus der anderen Führer der Internationale, aber seine einzige Alternative war, sich trotzig an den falschen Positionen festzuklammern, die die Internationale nach dem Zweiten Weltkrieg vertreten hatte.

Allen Tatsachen zum Trotz bestritt er weiterhin, dass es im 20. Jahrhundert irgendeine Entwicklung der Produktivkräfte gegeben hatte, bis er 2008 starb.

In Wirklichkeit erlebte der Kapitalismus in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg den größten Wirtschaftsaufschwung seit der industriellen Revolution. Das stellte die Vierte Internationale vor enorme Probleme.

Der Wirtschaftsaufschwung ermöglichte es dem Kapitalismus, gewisse Reformen und Verbesserungen des Lebensstandards zu gewähren. In Großbritannien führte der von der Labour Party bei den Wahlen 1945 errungene Erdrutschsieg zum ersten Mal dazu, dass ihr Reformprogramm, einschließlich Verstaatlichungen, tatsächlich umgesetzt wurde. Dies führte zu einem gewaltigen Anstieg der Illusionen in den Reformismus.

Gleichzeitig schuf der Sturz der kapitalistischen Regime in Osteuropa, gefolgt von der großen chinesischen Revolution 1949, neue Illusionen in den Stalinismus unter einem wichtigen Teil der Arbeiter und Jugendlichen.

Der Weg der Vierten Internationale war daher durch eine ganze Reihe objektiver Hindernisse blockiert, die in den meisten Ländern eine rasche Entwicklung ihrer Kräfte unmöglich machten.

Selbst wenn Marx, Lenin und Trotzki am Leben gewesen wären, wäre die grundlegende objektive Situation äußerst schwierig geblieben. Doch wie bereits gesagt: Unter der Führung guter Generäle kann eine Armee, wenn sie gezwungen ist, sich zurückzuziehen, den Großteil ihrer Kräfte bewahren und sich neu gruppieren, um dann zu einem neuen Angriff überzugehen, wenn sich die Lage ändert.

Schlechte Generäle aber machen aus jedem Rückzug eine Panikflucht. So erging es der Vierten Internationale.

Ted hingegen war in der Lage, eine richtige Perspektive zu entwickeln, die Genossen neu auszurüsten und so den Boden für die Zukunft zu bereiten:

„Vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet ist diese wirtschaftliche Erholung des Kapitalismus keine ausschließlich schlechte Erscheinung. Die Arbeiterklasse wird numerisch gestärkt, ihr Zusammenhalt wird gefestigt, und sie kann ihre Stellung innerhalb der Nation zu ihren Gunsten festigen. Auf dieser Grundlage wird der Kapitalismus beim nächsten Konjunktureinbruch vor umso größeren Problemen stehen.“

Ted schlussfolgerte, dass sich die Perspektive eines unausweichlichen Einbruchs ankündigte:

„Wann ist noch unklar, aber es ist absolut sicher, dass dem beispiellosen Nachkriegsaufschwung eine Periode des katastrophalen Abschwungs folgen muss. Dies wird tiefgreifende Auswirkungen auf das politische Denken in der Arbeiterbewegung haben, deren Reihen im Zuge des Booms enorm gestärkt wurden.“

Diese Fähigkeit, die konkrete Situation so zu analysieren, wie sie wirklich war und nicht so, wie sie die sektierischen Wirrköpfe gerne gehabt hätten, ermöglichte es Ted, die schwachen Kräfte zusammenzuhalten, die wir damals hatten. So konnte er sie auf den unausweichlichen Abschwung vorbereiten, der später kam und einen gewaltigen Klassenkampf mit sich brachte.

Gegen den Strom!

Nach der Zerstörung der RCP waren Ted Grant und die kleine Gruppe seiner Anhänger gezwungen, unter äußerst schwierigen Bedingungen einige Jahre lang gegen den Strom zu schwimmen.

1956 führten gewaltige Ereignisse zu einem Umschwung der Situation. Die Enthüllungen Chruschtschows und der heroische Aufstand der ungarischen Arbeiter, der von russischen Panzern brutal unterdrückt wurde, erschütterte die stalinistische Bewegung von oben bis unten.

Die Kommunistische Partei Großbritanniens erlitt eine ernsthafte Spaltung und verlor eine große Anzahl wichtiger Kader, insbesondere aus der Gewerkschaft. Leider waren unsere Kräfte zu klein, um sie zu gewinnen. Einige traten Healys Organisation bei und drückten sie in eine ultralinke Richtung. Andere gingen weit nach rechts und wurden Agenten der herrschenden Klasse.

Die offizielle Vierte Internationale hatte ihre Basis in Großbritannien verloren, als Healy sich 1953 abspaltete, um das sogenannte Internationale Komitee zu gründen. Die Internationale versuchte, eine neue Sektion aus dem Nichts aufzubauen, und schaltete dafür ein Inserat in der Tribune, worin sie alle interessierten Trotzkisten aufrief, an einer Konferenz teilzunehmen.

Obwohl Ted und die anderen Genossen sich keinerlei Illusionen machten, sagten sie sich, es gebe nichts zu verlieren. Also nahmen sie teil und stimmten daraufhin zu, sich mit einer anderen kleinen Gruppe zu vereinigen und die offizielle Sektion der Vierten neu zu gründen. Sie taten das ohne jedes politische Zugeständnis und auch ohne Illusionen. Aber sie sahen darin eine Möglichkeit, unsere Isolation zu überwinden und Kontakt zu Gleichgesinnten in anderen Ländern aufzunehmen.

Eine Weile lang brachte dieses Experiment positive Resultate. Doch schon bald traten die alten Differenzen wieder an die Oberfläche – und mit ihnen die alten Manöver und Intrigen.

Ted wurde Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees. Dort wurde er Zeuge der Probleme, zu denen Pablos Fehler führten. Er rührte wieder einmal die Kriegstrommel und sprach von einem unmittelbar bevorstehenden Atomkrieg, der auf irgendeine geheimnisvolle Weise zur sozialistischen Revolution führen sollte.

Ted war recht amüsiert von den Auswirkungen, die diese dumme Propaganda selbst auf führende Kader hatte. Er erzählte später von einer Begegnung mit einer Genossin, die sich unter Tränen von ihm verabschiedete: „Lebe wohl, Genosse! Wir sehen uns vielleicht nicht wieder.“

Ted antwortet: „Keine Sorge. Geh nur ins Bett und schlaf dich aus. Es wird keinen Krieg geben und wir werden uns auf der nächsten Sitzung wiedersehen.“ Ob sie überzeugt war, ist nicht überliefert.

Er bemerkte auch, dass es einen stabilen Block aus argentinischen Genossen gab, die zu Pablo immer 1000% loyal waren. In jeder Abstimmung schossen ihre Hände ohne zu zögern nach oben.

Nach einer solchen Abstimmung sagte Ted einmal zu Pablo: „Pass bloß auf mit denen. Heute stimmen sie immer mit dir. Morgen stimmen sie immer gegen dich.“ Diese Vorhersage stellte sich als richtig heraus.

Die größte Sektion der Internationale war die LSSP (Lanka Sama Samaja Party) in Sri Lanka, das damals noch Ceylon hieß. Ted bemerkte, dass die führenden Genossen aus Sri Lanka die internationale Führung bei allen IEK-Sitzungen ziemlich herablassend behandelten.

Der Führer der LSSP, N. M. Pereira, hatte klare opportunistische Tendenzen. Ted sagte, „N. M. war nie ein Trotzkist.“ Doch die internationale Führung unternahm absolut nichts, um ihn zu korrigieren.

Als Trotzki noch am Leben war, hatte er selbst als Einzelperson enorme politische und moralische Autorität, die bei allen führenden Kadern der Internationale Respekt hervorrief.

Doch diese Führer erlangten niemals eine solche Autorität. Ihre zahllosen Fehler und Irrtümer untergruben ihre Glaubwürdigkeit, besonders in den Augen der Genossen aus Sri Lanka, die immerhin eine Massenorganisation anführten.

Unweigerlich endete das Ganze im Desaster. Die LSSP trat einer Volksfrontregierung in Sri Lanka bei, was bei der internationalen Führung für Entsetzen sorgte. Doch dies war die zwangsläufige Folge jahrelanger Unfähigkeit, den Genossen in Sri Lanka eine klare Linie zu geben. Panisch reagierten sie, indem sie die gesamte LSSP ausschlossen, ohne auch nur zu versuchen, durch eine politische Auseinandersetzung die Mehrheit für sich zu gewinnen.

Die Differenzen zwischen der britischen Sektion und der internationalen Führung wurden besonders offensichtlich, als Mandel, Pablo und Co. Anfang der 1960er Gespräche mit der amerikanischen SWP aufnahmen, um die „Einheit aller Trotzkisten“ wiederherzustellen.

Ted Grant jedoch sagte voraus – gestützt auf die Erfahrungen der Vergangenheit –, dass diese Leute am Ende nur zwei Internationalen zu zehn vereinen würden. Eine Bemerkung, die sich als treffend erwies.

In der Führung der Internationale brach ein heftiger Streit über mehrere Fragen aus, vor allem über den Charakter des chinesisch-sowjetischen Bruchs und die koloniale Revolution.

Pablo plädierte für die Unterstützung der russischen Bürokratie gegen die Chinesen, während die übrigen die chinesische Bürokratie gegen Moskau unterstützten. Ted bestand darauf, dass es sich um einen Konflikt zweier rivalisierender Bürokratien handelte, bei dem die Vierte Internationale keine Seite unterstützen dürfe.

In Bezug auf die koloniale Revolution übernahmen die Führer der Internationale eine Position der unkritischen Unterstützung gegenüber dem Guerillakampf, während die Amerikaner Castros Kuba unkritisch unterstützten und es als mehr oder weniger gesunden Arbeiterstaat charakterisierten.

Das war eine exakte Wiederholung der früheren Fehler bezüglich Tito in Jugoslawien. Im Grunde suchten diese Leute nach Abkürzungen in Gestalt „unbewusster Trotzkisten“. Nachdem sie sich an Tito die Finger verbrannt hatten, überschütteten sie jetzt Castro mit Lob.

Später zeichneten sie von Mao Zedong ein ähnliches Bild und bezeichneten sogar die sogenannte „Kulturrevolution“ in China als Neuauflage der Pariser Kommune! All das bedeutete eine Abkehr von den grundlegendsten Ideen des Trotzkismus und eröffnete den Weg zur völligen Liquidierung der Vierten Internationale. Dafür gab es einige Indizien.

Die kleine irische Gruppe der Vierten Internationale hatte engen Kontakt mit den britischen Genossen. Die Internationale riet ihnen, sich mit einer kleinen, ultrastalinistischen, maoistischen Organisation in Irland zu vereinigen, die von einem Herrn namens Clifford angeführt wurde.

Clifford stellte die Bedingung, es solle am Anfang keine Diskussion über die Differenzen zwischen Stalinismus und Trotzkismus geben. Leichtsinnig stimmten sie dem zu. Doch direkt nach der Vereinigung begann Clifford eine wütenden Angriff gegen den „konterrevolutionären“ Trotzkismus. Die irischen Trotzkisten konnten sein Dokument nicht beantworten und baten Ted Grant dringend, er möge eine Antwort für sie schreiben. Das tat er (A reply to comrade Clifford), aber es änderte nichts am katastrophalen Ausgang dieses Einigungsversuchs.

Noch absurder wurde es in Italien. Dort gab es keine bedeutsame maoistische Organisation – bis sie von der Vierten Internationale faktisch angestoßen wurde! Der Führer der italienischen Sektion, Livio Maitan, wollte sich Exemplare von Maos Kleinem Roten Buch beschaffen, um sie zu verbreiten.

Weil es in Italien keine chinesische Botschaft gab, reiste er in die Schweiz und erhielt dort eine große Anzahl von Exemplaren. Durch seine Bemühungen verbreitete sich das Kleine Rote Buch überall in Italien und hatte einen gewaltigen Effekt. Leider hatte die Vierte Internationale nichts davon. Aber es gelang, in großen Teilen der radikalisierten Jugend Illusionen in den Maoismus zu erzeugen. Sie wollten die Ideen Maos als Brücke vom Stalinismus zum Trotzkismus darstellen, aber sie entpuppten sich als Gegenteil dessen. Sogar innerhalb von Maitans Organisation spaltete sich eine Gruppe unter dem Einfluss des Maoismus ab und baute eine ansehnliche ultralinke Organisation in Italien auf.

Neue Intrigen

Die ganze Zeit erhielten Ted und seine Genossen eine konsequente Opposition zur falschen Linie der Internationale aufrecht. Die Führung antwortete, wie zu erwarten war, nicht mit Argumenten, sondern mit Manövern und Intrigen.

In Nottingham gab es eine kleine Clique prinzipienloser Individuen, die gemeinsam mit Paris Pläne schmiedeten, die Führung der britischen Sektion zu untergraben.

Unsere Organisation war damals schwach, klein und mittellos. Wir hatten weder ein Center noch Fulltimer. Ted Grant arbeitete in der Telefonvermittlung und widmete der Organisation seine ganze Freizeit.

Dementsprechend waren wir sehr glücklich, als die Internationale verkündete, sie wolle uns einen Fulltimer schicken – einen kanadischen Genossen, den sie bezahlen würde.

Doch von Anfang zeigte sich, dass dieser Mensch nicht im Sinn hatte, die britische Sektion aufzubauen, sondern zusammen mit der Gruppe in Nottingham Intrigen gegen die Führung zu organisieren.

Als diese Intrigen aufflogen, gab es einen Skandal. Er verschwand zusammen mit dem Sortiment des Buchladens, für den er eigentlich arbeiten sollte. Das war ein offener Sabotageakt, der zeigte, wozu diese Leute fähig waren. Und das war erst der Anfang.

Das „Vereinigte Sekretariat“

1963 vereinigte sich die Internationale schließlich in einer Organisation, dem Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale (USFI), und begann unmittelbar wieder zu zerfallen.

Pablo spaltete sich ab, gefolgt von Posadas; Lambert und Healy blieben gleich draußen. Die angestrebte „Vereinigung aller Trotzkisten“ war also von Anfang an eine Totgeburt – die unvermeidliche Folge der Kombination von falscher Politik und einem vergifteten inneren Regime.

Die britischen Genossen standen von Anfang an auf einer prinzipiellen Position. Auf dem Kongress 1965 legten sie ein Dokument vor, in dem sie ihre Differenzen darlegten. Im sowjetisch-chinesischen Konflikt vertraten sie die vollständige Unabhängigkeit von Moskau und Peking. Sie erklärten, dass der Bruch zwischen beiden ein Ausdruck der widersprüchlichen Interessen zweier rivalisierender Bürokratien war – von denen keine die Interessen der Arbeiterklasse oder der sozialistischen Weltrevolution vertrat.

Hinsichtlich der kolonialen Revolution hielten sie fest, dass die Vierte Internationale zwar den Kampf der unterdrückten Völker gegen den Imperialismus entschlossen unterstützen, aber gleichzeitig zu jedem Zeitpunkt eine unabhängige Klassenpolitik bewahren müsse, statt den kleinbürgerlichen Führern nachzulaufen.

Wir wiesen die Politik des Individualterrorismus und des Guerrillakampfes zurück, die damals in Lateinamerika eine so fatale Rolle spielte, während die Führer der Internationale sie unkritisch unterstützten.

Das Dokument, das von Ted Grant geschrieben und von der britischen Sektion vorgestellt wurde, „Die koloniale Revolution und das chinesisch-sowjetische Zerwürfnis“, war das einzige, das konsequent eine trotzkistisch-proletarische Politik vertrat. Weil wir kein Vertrauen hatten, dass die Internationale es vervielfältigen würde, taten wir das selbst, obwohl wir absolut keine Ressourcen hatten.

Doch als die Genossen am Kongress eintrafen, stellten sie fest, dass man das Dokument trotzdem nicht verteilt hatte. Folglich hatte es niemand gelesen. Später stellte Ted Grant ironisch fest:

„Lenin sagte einmal verächtlich über die Zweite Internationale, dass sie keine Internationale, sondern ein Postamt sei. Diese Clique verdient nicht mal die Bezeichnung Postamt. Organisatorisch sind sie genauso bankrott wie politisch!“ (Grant, ‘Programme of the International’, May 1970)

In der Kongressdebatte gab man Ted sage und schreibe fünfzehn Minuten (also sieben mit Übersetzung), um das Dokument vorzustellen. Wenig überraschend wurde es nicht unterstützt. Was die Führer der Internationale dann verkündeten, war de facto ein verschleierter Ausschluss der britischen Genossen.

Mit dem falschen Argument, die britischen Genossen seien „unfähig, eine Organisation aufzubauen“, schlugen sie vor, ihnen den Sektionsstatus abzuerkennen und sie zu einer sympathisierenden Gruppe herabzustufen. Eine winzige Clique, die die offizielle Linie der Internationale vertrat, erhielt denselben Status.

Zu Recht verurteilten die Genossen das als unehrlichen Ausschluss. Wir kamen nicht mehr zurück. Der Bruch mit der sogenannten Vierten Internationale war dauerhaft und unumkehrbar. Jahrzehntelange Erfahrung bestätigt uns, dass die von Leo Trotzki mit so großen Hoffnungen gegründete Vierte Internationale schließlich in einer Totgeburt endete.

Schlussfolgerung

Heute existiert die Vierte Internationale als Programm oder Organisation praktisch nicht mehr. Die unzähligen, untereinander zerstrittenen Sekten, die den einst stolzen Namen beanspruchen, haben ihn vollständig diskreditiert.

Nicht eine einzige der aus dem Trümmerhaufen der Vierten hervorgegangenen Sekten hat noch irgendetwas mit den ursprünglichen Ideen gemein.

Obwohl sie sich ermüdend-notorisch auf Trotzkis Namen berufen, haben sie nie seine Methode verstanden. Alle zusammen haben sie entscheidend zur Zerstörung der Vierten beigetragen.

Keine von ihnen hat irgendetwas mit echtem Bolschewismus-Leninismus bzw. Trotzkismus zu tun. Jede dieser Gruppen betreibt eine bizarre Karikatur, die den Namen des Trotzkismus in den Augen fortgeschrittener Arbeiter und Jugendlicher diskreditiert hat. Das ist ein Verbrechen, das ihnen nie vergeben werden kann.

Wir hatten also tausendfach recht, als wir schon vor Jahrzehnten zu dem Schluss kamen, dass diese Leute völlig fruchtlos sind, und ihnen für immer den Rücken gekehrt haben.

Heute wird das Banner des Trotzkismus nur von einer einzigen Organisation vertreten, die ernsthaft behaupten kann, es jahrzehntelang mit hartnäckiger Entschlossenheit verteidigt zu haben – die Revolutionäre Kommunistische Internationale.

In letzter Instanz besteht eine revolutionäre Partei aus Programm, Ideen, Methoden und Traditionen.

Wir haben kontinuierlich betont, wie wichtig die revolutionäre Theorie für den Aufbau der Internationalen ist.

Lenin sagte: „Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben.“ Das ist hundertprozentig korrekt. Für die sogenannten Führer der Vierten Internationale war das ein Buch mit sieben Siegeln.

Doch während die Vierte Internationale untergegangen ist, bleiben die Ideen, das Programm, die Traditionen und die Methoden Leo Trotzkis am Leben und besitzen nach wie vor ihre volle Lebenskraft und Relevanz.

Wir haben die mächtigsten Ideen geerbt, die eine politische Gruppe in der Geschichte je gehabt hat. Dieses Erbe verteidigen wir. Sie sind unsere mächtigste Waffe und sie erlauben uns zu sagen, dass die revolutionäre Avantgarde noch nie so gut auf ihre Aufgaben vorbereitet gewesen ist wie jetzt.

Wir stützen uns auf die größten Errungenschaften der Ersten, Zweiten und Dritten Internationale sowie auf den Gründungskongress der Vierten.

Ted Grant hat diese Ideen gerettet und sie ein halbes Jahrhundert lang weiterentwickelt und bereichert. Die Veröffentlichung seiner gesammelten Werke ist eine enorm wichtige Bereicherung unseres theoretischen Arsenals.

Unsere Sache ist groß, denn wir stehen auf den Schultern von Giganten. Unsere Aufgabe ist es, diese gewaltige Arbeit zu vollenden und unsere bescheidenen Kräfte auf die Höhe der Aufgaben zu heben, die uns die Geschichte stellt.

Internationales Sekretariat der RKI, London, 9. Juni 2025

SCHLIESS DICH DEN KOMMUNISTEN AN!

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