70 von 422 deutschen Unis und Hochschulen haben eine Zivilklausel – also eine freiwillige Selbstverpflichtung, nicht für militärische, sondern nur für zivile Zwecke zu forschen. Im Zuge der Aufrüstung wird die Forderung immer lauter, die Zivilklausel abzuschaffen. Das Land Bayern hat sogar ein Gesetz verabschiedet, das Zivilklauseln verbietet und die Unis zur Zusammenarbeit mit Bundeswehr und Rüstungsindustrie verpflichtet.
Gegen diese Entwicklungen regt sich Widerstand. Organisationen wie der SDS und DIE LINKE fordern die Verteidigung und Ausweitung der Zivilklausel. Die Gewerkschaft GEW klagt gegen das Land Bayern. Und viele Wissenschaftler und Studenten wollen nicht, dass die Früchte ihrer Arbeit eingesetzt werden, um imperialistische Kriege wie in Gaza oder in der Ukraine zu ermöglichen. Wie kann dieser Kampf erfolgreich geführt werden?
Löchriger als ein Küchensieb
In Wahrheit ist die Zivilklausel schon jetzt löchriger als ein Küchensieb. Viele Unis mit Zivilklausel arbeiten mehr oder minder geheim mit Armee und Rüstungsindustrie zusammen.
Die Uni Bremen, die erste Uni, an der 1986 eine Zivilklausel eingeführt wurde, erhielt allein in den Jahren 2003 bis 2011 ganze 480.000 Euro für Forschungsprojekte mit „wehrtechnischem Auftraggeber“. Das Raumfahrtunternehmen OHB, das auch Rüstungsgüter herstellt, stiftete der Uni eine eigene Professur.
Die Uni Rostock forschte rund um Seeminen. Die TU Berlin kooperiert mit dem Technion im israelischen Haifa, das ebenfalls für die Rüstungsindustrie forscht. Beide Unis entwickeln U-Boote, gemeinsam mit ThyssenKrupp Marine Systems, das wiederum Israel mit atomwaffenfähigen U-Booten und Korvetten ausstattete. Und all das trotz Zivilklausel.
Weitere Verstöße sind bekannt von den Universitäten Göttingen, Kassel, Tübingen und Konstanz. Die reale Zahl dürfte wesentlich größer sein. Wenn jetzt also die Abschaffung der Zivilklausel gefordert wird, geht es nur noch darum, die letzte Hürde für eine offene und vollständige Integration der Wissenschaft in die Aufrüstung aus dem Weg zu räumen.
Kapital und Forschung
Manchen Forscher mögen patriotische Gefühle zur Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie bewegen. Aber ein weitaus schlagkräftigeres Argument sind die Forschungsgelder, die Unis von Unternehmen, Bundesministerien oder der Bundeswehr für ihre militärisch brauchbare Forschung erhalten. Besonders in Zeiten massiver Kürzungen regulärer staatlicher Gelder für die Unis werden diese Drittmittel wichtiger.
Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat bewusst die Absicht formuliert, die Zivilklausel durch „Förderanreize“ aus dem Verteidigungsministerium zu Fall zu bringen. Auch das EU-Forschungsprogramm „Horizon Europe“ soll 2028 für Technologie, die auch militärische Anwendung finden können, geöffnet werden. Deutsche Unis, die ihre Zivilklausel aufrechterhalten, liefen dann Gefahr, milliardenschwere Förderungen nicht zu erhalten.
Nicht nur militärisch relevante Forschung wird durch Drittmittel finanziert: Gelder von Ministerien und Unternehmen machten 2022 ganze 28% der finanziellen Mittel aller deutschen Unis aus. Laut Statistischem Bundesamt fließen jedes Jahr über 1,4 Mrd. Euro von Unternehmen direkt an die Unis, um Forschungsprojekte zu finanzieren. Unternehmen stifteten über 800 Professuren an deutschen Universitäten.
Das bescherte uns so wunderbare Einrichtungen wie die Nestlé-Professur für Ernährungsmedizin am Uni-Klinikum Erlangen oder den „Lehrstuhl für Innovative Verstärkungsmethoden mit Befestigungen“ – gesponsert vom Dübelhersteller Fischer – an der Uni Stuttgart. Und der SAP-Mitbegründer Hasso Plattner schenkte der Uni Potsdam gleich eine ganze Fakultät. All das passiert natürlich nicht aus reiner Großzügigkeit von Seiten der milden Spender. Das Kapital erhält einen relevanten Einfluss auf Forschung und Lehre an den Unis.
Wie kämpfen?
Wir fordern, dass die Unis die Geschäftsbücher vollständig offenlegen! Denn oft versuchen sie das wahre Ausmaß der Kooperation mit Unternehmen (egal ob zivil oder nicht) und Bundeswehr zu verschleiern. Die Studenten und Beschäftigten müssen wissen, wie viel Geld ihre Uni hat, woher es kommt und wohin es genau fließt! Alle Forschungsprojekte und -kooperationen müssen offengelegt werden.
Die standardmäßige Umgehung der Zivilklausel zeigt, dass eine Zusage auf dem Papier nicht reicht. Die Beschäftigten und Studenten einer Uni müssen selbst entscheiden und kontrollieren, wohin Gelder fließen und woran geforscht wird. Wir kämpfen dafür, dass von ihnen demokratisch gewählte Komitees diese Entscheidungen treffen können.
Der Kampf für die Beschränkung der Forschung auf zivile Zwecke muss als Teil des Kampfes gegen die Kürzungen geführt werden. Nur so können wir die Uni-Beschäftigten dafür gewinnen, denn ihre Jobs sind oft von Drittmitteln abhängig. Deswegen fordern wir die sofortige Umwandlung aller befristeten Arbeitsverhältnisse in unbefristete! Die Unis müssen auf Kosten der Kapitalisten voll ausfinanziert werden!
Das kann nur durch den Klassenkampf der Arbeiterklasse auf der Straße und im Betrieb errungen werden! Um Beschäftigte aus anderen Sektoren gewinnen zu können, muss sich der Kampf generell gegen alle Kürzungen und Angriffe der Merz-Regierung auf den Sozialstaat richten. Die Arbeiterklasse muss entscheiden, wo das Geld hineingesteckt wird: nämlich in den sozialen Sektor und die Erneuerung der Produktionsanlagen unter Arbeiterkontrolle, statt in die Aufrüstung und in Subventionen für den Geldbeutel der Kapitalisten!
Wir fordern die entschädigungslose Enteignung der Rüstungsindustrie und all ihrer Investoren unter demokratischer Arbeiterkontrolle! Das so konfiszierte Vermögen kann für die Ausfinanzierung der Universitäten benutzt werden. Gleichzeitig können wir so sicherstellen, dass keine Waffen hergestellt werden, um sie an Israel zu liefern oder andere imperialistische Kriege zu führen. Die Produktionsanlagen können dann für zivile Zwecke umgerüstet werden.
Die Arbeiterklasse muss entscheiden, in welchen Bereichen geforscht wird – nicht die Kapitalisten durch Drittmittelvergabe. Daher müssen die Banken und Großkonzerne unter demokratischer Arbeiterkontrolle enteignet werden!
Die Befürworter der Zivilklausel berufen sich gerne auf Albert Einsteins Ausspruch: „Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten?“ Aber dafür reicht es nicht, sicherzustellen, dass die Forschung zivil bleibt. Denn sehr viele Technologien werden sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt (sogenannte „Dual-Use“ Technologien). Deswegen muss die Arbeiterklasse und die Jugend auch die Kontrolle über die gesamte Industrie des Landes erkämpfen, um sicherstellen zu können, dass z.B. Hochgeschwindigkeits-Zentrifugensysteme für die Herstellung von Medizin statt für die von Atombomben verwendet werden. Das geht letztlich nur in einer von der Arbeiterklasse demokratisch kontrollierten Planwirtschaft!