Im von Israel zerstörten Gazastreifen wütet eine Hungersnot – in den letzten Wochen sind mindestens 180 Palästinenser, darunter 93 Kinder, an Hunger gestorben. Weitere erleiden täglich dasselbe Schicksal. Denn Israel blockiert nach wie vor Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Beim Versuch, zu den Hilfspunkten zu gelangen, an denen nur wenige Lebensmittel ankommen, wurden bisher mindestens 1.400 Palästinenser von der IDF getötet. Währenddessen plant Netanjahu eine „Intensivierung des Konflikts” und einen Großangriff auf Gaza-Stadt, der mittlerweile begonnen hat.
In Reaktion auf diese Pläne gab Bundeskanzler Friedrich Merz Anfang August bekannt, es würden „bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern“ genehmigt werden, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten. Man sei aufgrund Israels „überraschender“ Pläne zur Entscheidung gekommen, dass deutsche Waffenlieferungen an Israel teilweise gestoppt werden sollen.
Überraschung mit Ansage
Netanjahus Pläne sind in Wirklichkeit so überraschend wie das Amen in der Kirche. Bereits im November 2023 begrüßte der Ratgeber des israelischen Verteidigungsministers Giora Eiland offen die Möglichkeit einer humanitären Katastrophe: „Wir dürfen uns nicht vor [humanitären Katastrophen und Epidemien] scheuen, so schwierig das auch sein mag. Schließlich werden schwere Epidemien im Süden des Gazastreifens den Sieg näher bringen.“ Unvergessen sind auch die Aussagen Netanjahus selbst, der im Oktober 2023 bekannt gab, man werde Gaza zu einer „Insel aus Ruinen“ machen.
Aus seinen Absichten hat Israel nie ein Geheimnis gemacht, sie waren im Gegenteil von Anfang an deutlich: Gaza soll vernichtet werden. Die deutsche herrschende Klasse war bei allen Verbrechen mit dabei, hat Netanjahu allen Freiraum gelassen und nie Konsequenzen auch nur angedroht. Stattdessen haben sie das „Recht auf Selbstverteidigung“ propagiert und Israel einen Freifahrtschein ausgestellt, in Gaza zu tun und zu lassen, was sie wollen.
Während nun, fast zwei Jahre später, Bilder von abgemagerten Kindern, kaum mehr als Haut und Knochen, zerstörten Krankenhäusern und Schulen ihren Weg durch die Nachrichten der Welt finden, gibt Merz sich überrascht von der Situation – als sei sie plötzlich über Nacht entstanden. Dabei hätte dieser Genozid ohne die finanzielle, diplomatische und militärische Unterstützung der westlichen Imperialisten nicht passieren können. Die deutsche herrschende Klasse ist ein Komplize dieses Völkermords und Merz’ Vortäuschung eines moralischen Sinneswandels kann von dieser Tatsache nicht ablenken.
Druck von unten
Der „Stopp“ der Waffenlieferungen ist kein Produkt der Nächstenliebe. Die herrschende Klasse spürt den Druck, der sich gegen ihre Beteiligung an diesem Genozid aufgebaut hat. In Berlin fand im Juni die bisher größte Palästina-Demonstration mit über 50.000 Teilnehmern statt – und das, obwohl die Regierung seit Monaten mit harten Repressionen gegen die Bewegung vorgeht.
Selbst bürgerliche Medien – eigentlich eine wichtige Stütze der Regierung – kommen nicht umhin, von großer Verärgerung über die Regierungsentscheidungen zu berichten. Während im November 2023 noch 62% der Bevölkerung das Vorgehen im Gazastreifen für gerechtfertigt hielt, sind es heute nur noch 13%. Die absolute Mehrheit mit 76% ist heute gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen.
Während die Unterstützung der Bevölkerung für den Genozid massiv gesunken ist, steht die Regierung weiterhin fest an der Seite Israels. Die versucht nun krampfhaft, den Schein irgendwelcher „Roten Linien“ zu wahren und nutzt den „Stopp“ der Waffenlieferungen als Feigenblatt, das die eigene Komplizenschaft in diesem Genozid vertuschen soll!
Alles nur Schall und Rauch
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Deutschland keine Kontrolle darüber hat, wie die gelieferten Waffen von Israel eingesetzt werden. Deutschland lässt sich lediglich unterschreiben, dass Israel die Waffen im Einklang mit dem Völkerrecht verwenden werde. Abmachungen, die Israel in der Vergangenheit immer wieder gebrochen hat: Eine zur Verteidigung gelieferte Thyssenkrupp-Korvette wurde vor Kurzem dazu benutzt, den Gazastreifen vom Meer aus zu beschießen.
Trotz dieses Vorfalls und trotz des Waffenlieferungsstopps lief am Kieler Hafen im August ein weiteres U-Boot aus – auf dem Weg nach Israel. Die Regierung rechtfertigte diesen Export damit, man habe sich bestätigen lassen, dass das Boot nicht in Gaza eingesetzt werde. Wenn man aus der Vergangenheit etwas lernen wollen würde, dann wäre das ein guter Zeitpunkt gewesen!
Nicht nur die Regierung findet Möglichkeiten, sich nicht an den selbst auferlegten Lieferungsstopp zu halten, sondern auch Rüstungskonzerne überlegen, wie Waffen geliefert und Profite generiert werden können. Neben U-Booten und Fregatten liefert Deutschland vor allem Ersatzteile und Waffenkomponenten an Israel. Diese unterliegen zwar weniger strengen Exportregeln als Kriegswaffen, könnten aber auch vom „Stopp“ der Waffenlieferungen betroffen sein. Der bayerische Rüstungskonzern Renk gab, nur für den Fall, bekannt, man überlege sich einen „Plan B”, wie weiter Getriebe nach Israel exportiert werden können. Die Lösung: Die Produktion soll in die USA verlagert werden.
Kein Verlass auf die Regierung
In Wahrheit hat die deutsche herrschende Klasse kein Interesse daran, ihre Unterstützung für Israel einzuschränken – sie unterstützen Israel weiter wirtschaftlich, diplomatisch und auch militärisch. Denn der deutsche Imperialismus hat eigene materielle Interessen im Nahen Osten, die er behaupten möchte. Außenminister Wadephul blockiert aktuell im Europaparlament Sanktionen gegen Israel, um die Interessen der Großkonzerne zu verteidigen.
Merz macht klar, an der deutschen Israelpolitik habe sich nichts geändert und darüber solle es keine Missverständnisse geben. Keine Sorge, Herr Merz, ein Missverständnis darüber gibt es nicht! Die deutsche Regierung ist und bleibt Komplize des Genozids und darüber kann ein symbolischer „Stopp“ von Waffenlieferungen nicht hinwegtäuschen!
Für einen tatsächlichen Stopp der Waffenlieferungen kann auf die herrschende Klasse kein Verlass sein. Um die Lieferungen wirklich zu beenden, braucht es Streiks der Arbeiter in der Rüstungsindustrie und im Transportwesen. Waffenschmieden wie Renk oder Thyssenkrupp kennen keine Moral. Lassen wir sie weitermachen, finden sie immer Möglichkeiten für ihr blutiges Geschäft. Sie gehören deswegen enteignet und auf zivile Produktion umgestellt.
Allgemein sind es die wirtschaftlichen Interessen der Deutschen Großkonzerne in Nahost, die Deutschlands Israel-Politik bestimmen, nicht der Wille der Mehrheit. Die Arbeiterklasse muss sich die Kontrolle über die Wirtschaft und den Staat erkämpfen, um den deutschen Imperialismus zu besiegen.