Die Reichen hegen einen Verdacht: „Leider hat ein nicht kleiner Teil der Wählerinnen und Wähler nichts Gutes mit der Demokratie vor.“ Den Satz sprach Marco Wanderwitz (CDU) im SPIEGEL-Interview. Der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung sagt, das sei vor allem im Osten so, denn dort ist die reaktionäre AfD jetzt stärkste Kraft.
Man fragt sich: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ (Bertolt Brecht, Die Lösung).
So tief ins Tal wagt sich Herr Wanderwitz noch nicht herab. Er und andere „Verteidiger der Demokratie“ begnügen sich damit, dieses Jahr vielleicht einen AfD-Verbotsantrag im Bundestag zu stellen. Die Demokratie wäre also gerettet, wenn die Leute nur das wählen können, was den Herrschenden in diesem Land passt.
Staat und Regierung sind im Kapitalismus eben Werkzeuge der Herrschaft – selbst wenn das Volk das Parlament wählt. Marx und Engels erklärten dies im kommunistischen Manifest: „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.“
Hinter einem Parteiverbot steht das Interesse des Kapitals, das seine „gemeinschaftlichen Geschäfte“ in vertrauenswürdigen Händen wissen will. Die Parteien der Ampelregierung und die CDU/CSU sind solche Bediensteten des Kapitals.
Anfang vom Ende
Hier aber hat die herrschende Klasse ein Problem. Das Kriegstreiben, die Wirtschaftskrise, die Pandemiepolitik und alle gebrochenen Wahlversprechen haben das Vertrauen der Arbeiterklasse, der Jugend und der Mittelschichten in die liberalen Parteien FDP und Grüne sowie in die reformistische Arbeiterpartei SPD erschüttert. Die CDU erscheint nur stark, weil sie in der Opposition sitzt.
In der bürgerlichen Demokratie ist die Kapitalistenklasse darauf angewiesen, dass ihre Parteien die Wählergunst gewinnen – daran scheitern die etablierten immer häufiger.
So ist es keine beliebige Entwicklung, dass die bürgerliche Demokratie in der Krise steckt. Sie braucht stabile kapitalistische Verhältnisse, weil das die Beziehungen zwischen den Klassen beruhigt, den Klassenkampf entschärft.
Die Massen müssen weitgehend zufrieden Leben können: Der Lebensstandard steigt; die Kinder machen einen höheren Schulabschluss als man selbst; die nächste Generation wird es noch besser haben und die Rente ist gesichert.
Diese Zeiten sind vorbei. Das Wirtschaftswunder ist längst begraben und jetzt krepiert auch die Globalisierung an den Widersprüchen des Kapitalismus. Die Gesellschaft steckt seit der Weltwirtschaftskrise 2008 in einer organischen Krise und beginnt zu verrotten.
Das Verdienst von Marx und Engels ist die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft dem Untergang geweiht ist, wenn sie die Produktivkräfte nicht mehr entwickeln kann. Dann beginnt die Zeit sozialer Instabilität, zunehmender Klassenkämpfe und Revolutionen. Die Ausgebeuteten und Unterdrückten beginnen gegen die Verhältnisse zu rebellieren, die sie überwinden müssen. Diese Entwicklung verläuft widersprüchlich und krampfartig.
Polarisierung
Im September sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (1.9.) sowie in Brandenburg (22.9.). Dort wird die AfD stärkste Kraft sein, dies zeigen Umfragen und die Ergebnisse der EU- und Kommunalwahlen. Die Parteien der Ampelregierung werden völlig abgestraft für ihre Politik im Interesse des Kapitals.
Die Grünen zeigen, dass die liberalen Parteien ihre Bindekraft verlieren. Bei der EU-Wahl 2019 stimmte jeder Dritte unter 25 für sie. Bei der Bundestagswahl 2021 war es jeder Vierte. Bei diesjähriger EU-Wahl verloren die Grünen 23 Prozentpunkte ihrer Stimmen aus der Jugend.
Die Massen suchen nach Lösungen für die drängenden Probleme ihres Lebens. Sie testen die Parteien aus und binden sich nicht mehr an sie. Die Folge sind die Polarisierung nach links und rechts sowie Pendelausschläge in der öffentlichen Meinung.
Diese Entwicklung ist Teil der Krise der bürgerlichen Demokratie. Die Massen beginnen hinter die Schleier ihrer Unterdrückung zu sehen und stellen die Institutionen in Frage: Wenig oder gar kein Vertrauen haben 78 % in Parteien, 70 % in die Bundesregierung, 62 % in den Bundestag, 56 % in die Wirtschaft.
Jetzt bekommt die herrschende Klasse die politischen Verhältnisse, die sie verdient. Die Regierungen auf Bundes- und Landesebene werden auf Grund der Polarisierung immer schwächer, ihr Rückhalt kleiner. Das sorgt für Regierungskrisen, wie die ständigen öffentlichen Konflikte um den Bundeshaushalt zeigen. Das nutzt die AfD demagogisch aus. Sie führt die Regierung vor und steigert damit ihre Umfragewerte.
Öl ins Feuer
Die Kapitalistenklasse und das Establishment sehen die AfD als Gefahr für das gesellschaftliche Gleichgewicht an. Mit ihren rassistischen Positionen, ihrem reaktionären Frauen- und Familienbild und anderen rückwärtsgewandten Ideen, Aussagen und Taten provozieren sie Schichten der Arbeiterklasse und Jugend.
Die Jugend ist meist die Vorhut in Bewegungen, reagiert am empfindlichsten auf reaktionäre Provokationen und ist schneller in Bewegung gesetzt. Die herrschende Klasse fürchtet nichts mehr als eine eigenständige Bewegung der Jugend und der Arbeiterklasse, weil das den Klassenkampf anheizt und die Klassenlinien in der Gesellschaft offenlegt.
Diesen Unmut versuchen die herrschende Klasse und ihre Repräsentanten einzuhegen. Deshalb haben die Parteien, Medien, Institutionen und sogar die Konzernvorstände um Jahresbeginn eine demagogische Kampagne gegen die AfD entfesselt – und sind gescheitert. Ein nationaler Schulterschluss gegen die AfD ist ausgeblieben.
Die „politische Mitte“ ist nicht gestärkt und das System ist wackeliger als vorher. Die „unabhängigen“ Institutionen (Gerichte, Verfassungsschutz, Medien) werden als Werkzeuge der kapitalistischen Herrschaft erkannt. Diejenigen, die sich schon radikalisieren, verlieren erst recht ihr Vertrauen in die bestehende Ordnung. Das Establishment ist selbst ein zersetzender Faktor.
Demokraten gegen Migranten
Ungehemmt wütet die kapitalistische Krise in Ostdeutschland seit dreißig Jahren. Das hat die Polarisierung sehr zugespitzt. Der Wahlkampf ist dort besonders schmutzig, denn nicht nur die AfD, auch die anderen Parteien treten voll demagogisch auf. Alle rücken die rassistische Migrationsfrage in den Mittelpunkt.
Jahrelang haben die Politik und die Medien migrantenfeindliche Propaganda gemacht, sodass jetzt laut Umfragen 52 % für eine geringere Aufnahme von Flüchtlingen seien. Das ist eine tiefe Spaltungslinie in der Arbeiterklasse und Jugend – bewusst geschürt von allen bürgerlichen Kräften.
Die Innenministerkonferenz im Juni zeigt, wie weit mittlerweile selbst die SPD nach rechts rückt. In der Regierung sorgt sie für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Sie hat zusätzliche Kontrollen an der Grenze zu Tschechien, Polen und der Schweiz eingeführt, um Flüchtlinge zurückzuweisen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) brüstet sich damit, in den letzten 12 Monaten Abschiebungen um 30 % gesteigert zu haben.
Die SPD möchte Asylverfahren in Drittstaaten oder Transitländer verlagern, angelehnt am Ruanda-Deal Großbritanniens. Da fragt man sich, wozu der Reaktionär Thilo Sarrazin aus der Partei ausgeschlossen wurde, wenn die SPD in der Migrationsfrage den Weg der dänischen und schwedischen Sozialdemokratien geht.
Während die gesamte bürgerliche Öffentlichkeit die AfD für ihre rassistische Politik angreift, höhlt sie gleichzeitig selbst das Asylrecht aus – um den Aufstieg der AfD aufzuhalten. Auf „Demokratie-Demos“ wiederum werden Migranten angegriffen, wenn sie diese Politik anprangern und sich mit dem Befreiungskampf der Palästinenser solidarisieren. So spaltet die „politische Mitte“ die Bewegung und nutzt sie für den eigenen Machterhalt aus.
Lug und Trug
Demagogen sind ein Ergebnis der Krise des Kapitalismus. Deshalb finden wir sie nicht nur im rechten Lager, sondern immer häufiger auch in der sogenannten „bürgerlichen Mitte“. Ihre Angriffe auf demokratische Rechte, Arbeitsbedingungen und den Sozialstaat müssen die Bürgerlichen mit Hetze, identitätspolitischer Symbolpolitik und falschen Versprechen rechtfertigen oder kaschieren.
Das aber wirkt nicht, sondern sorgt für Klassenhass auf das System. Die „bürgerliche Mitte“ zersetzt, was sie retten will. Ihr Versagen erschafft erst die Rechten. Aufwind bekommen diese, weil an der Spitze der SPD, der LINKEN und der Gewerkschaften reformistische Führer stehen, die der „Mitte“ hinterherrennen und sich ihr völlig unterordnen. Die Massen finden kein Angebot, das ihren Interessen entspricht.
So wird der Aufstieg der AfD selbst zum entstellten Ausdruck der Politisierung und Radikalisierung der Massen. Die AfD greift reale Ängste und Probleme auf, die vom Kapitalismus und dem Establishment erzeugt werden, verknüpft sie geschickt mit sozialen Fragen und lastet alle Schuld der Regierung auf. Deshalb sehen mache eine ernsthafte Opposition in ihr.
Dabei belügt und betrügt die AfD die Massen genauso wie die CDU/CSU, die Grünen, die FDP und die Führung der SPD. Die AfD-Politiker führen keinen Kampf gegen die Eliten, sondern versuchen nur selbst an die Futtertröge des Staates zu kommen, selbst Teil der Elite zu werden. Sie wollen nicht die Demokratie und schon gar nicht den Kapitalismus abschaffen, sondern selbst Nutznießer derselben sein.
Regierungskrisen und rechte Proteste
In Thüringen, Sachsen und selbst in Brandenburg sind nach den Landtagswahlen Regierungskrisen ein mögliches Szenario. Das hängt vom konkreten Wahlausgang (Zusammensetzung des Parlaments) ab, aber die Umfragen deuten so eine Entwicklung an.
Die AfD wird alle Wahlen gewinnen. Alle anderen Parteien werden sich einer Regierungsbildung mit ihr verweigern und bestrebt sein, „bunte“ Regierungen zu bilden oder sogar die CDU in die Minderheitsregierung zu heben. Am Ende solches Postengeschachers werden schwache und von Krisen geschüttelte Regierungen stehen – unabhängig davon, wer sie stellt.
Wahrscheinlich werden in dem Zuge in Ostdeutschland rechte Proteste (à la Pegida oder Coronademos) wieder aufflammen. Die Rechtsradikalen und Faschisten werden sich nach den Wahlen den Rücken gestärkt wähnen und die rechten AfD-Demagogen könnten zu Protesten auf die Straße rufen, um gegen die etablierten Parteien und Regierungen zu protestieren. Wenn im Zentrum ihres Protests die Frage steht, wer nun die „Demokratie aushebelt“, wenn der Wahlsieger daran gehindert wird, eine Landesregierung zu stellen, könnte das viele auf die Straße bringen.
Jugendbewegung und kommunistisches Programm
So eine Entwicklung hat das Potenzial, eine massive Jugendbewegung gegen die AfD im gesamten Bundesgebiet auszulösen. Generell ist einer Wiederbelebung der Anti-AfD-Bewegung bereits am 1. September wahrscheinlich, sobald erste Hochrechnungen bekannt werden.
Das ist die andere Seite der Polarisierung. Sie sorgt für Klassenkampf, der immer wieder in Protestbewegungen gegen die Rechten und die reaktionäre Politik der „bürgerlichen Mitte“ entbrennt. Die tränenreichen Beschwerden der Reformisten über einen vermeintlichen „historischen Rechtsruck“ (Carola Rackete) sind Ausreden. Sie ziehen sich aus der Verantwortung, diese Bewegung zu organisieren.
Die Führungen der Gewerkschaften und der Linkspartei haben kein Klassenkampf-Programm anzubieten, weil sie sich den Regierungsparteien, Konzernen und Medien unterordnen. Aber genau so ein Programm braucht die radikale Jugend, damit sie sich darum sammeln und in die Offensive gehen kann. Nur dann kann eine Bewegung gegen die Rechten auch weite Schichten der Arbeiterklasse erfassen und sie besiegen.
An der Spitze der Anti-AfD-Proteste stehen bisher nur Heuchler, die die Proteste für den eignen Machterhalt ausnutzen. Während sich Grüne, FDP, SPD und CDU als „Verteidiger der Demokratie“ aufspielen, liefern sie Bomben nach Israel und bekämpfen die Palästinasolidarität mit dem Polizeiknüppel, erlogenen Antisemitismus-Vorwürfen und Hetzkampagnen. Da macht auch die AfD mit.
Unsere Aufgabe ist es nicht, die „Demokratie“ zusammen mit den Liberalen „zu retten“. Wer die AfD besiegen will, muss auf der Seite der Palästinenser stehen. Nieder mit der AfD heißt somit auch: Nieder mit der Bundesregierung, der bürgerlichen Herrschaft und dem Kapitalismus!
Die Revolutionäre Kommunistische Partei steht genau dafür. Hilf mit, unserem Programm breiten Rückhalt zu erkämpfen. Organisier dich jetzt, überzeuge weitere Klassenkämpfer und bau eine Zelle in deiner Schule, Uni oder am Arbeitsplatz auf, damit wir im September in die Offensive gehen können: Gegen AfD, Ampelregierung und Kapitalismus!