117 Tage Betriebsbesetzung in Eibelstadt

Betriebs- und Standortschließungen sowie Stellenabbau sind eine Notwendigkeit im kapitalistischen System. Nach jedem Aufschwung folgt eine Krise. Unternehmen kürzen beim Personal, gehen pleite oder wandern in Niedriglohnländer ab, wo für die Ausbeuter günstigere Bedingungen herrschen. Für die Ausgebeuteten heißt das Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Oft stürzen ganze Städte in die Armut. Denn keine verlorene Stelle kommt wieder. 

Auch in der aktuellen Rezession stehen wir vor Schließungen und Personalabbau. In der unterfränkischen Region Schweinfurt beispielsweise sollen in den kommenden Jahren Tausende Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie ihren Arbeitsplatz verlieren. Die betroffenen Unternehmen ZF, SKF, Bosch Rexroth, Schaeffler und Valeo agieren international und verbuchen teilweise Milliardengewinne. Allein die Jagd nach mehr Profit treibt sie dazu, in der Region Schweinfurt abzubauen und die Produktion ins Ausland zu verlagern.

Wie kämpfen?

Die Kampfbereitschaft der Belegschaften ist enorm. Über 5.000 Beschäftigte folgten dem Aufruf der IG Metall und zogen im April dieses Jahres durch die Straßen Schweinfurts. Die Gewerkschaft fordert ein klares Bekenntnis von Unternehmen und Politik zum Standort. Doch Appelle und Lobbyismus werden die Arbeitsplätze nicht retten, weder in Schweinfurt noch sonst wo.

Keine Autostunde entfernt, im Kleinstädtchen Eibelstadt bei Würzburg, hat in den 1980ern die Belegschaft der Firma Gebrüder Hofmann den Weg nach vorne gezeigt. Nachdem die Insolvenz der Maschinenfabrik bekannt wurde, besetzten am 21. Dezember 1983 die etwa 130 Beschäftigten geschlossen den Betrieb. Mit einer Dauer von 117 Tagen sollte es die bis dato längste Betriebsbesetzung in der Geschichte der Bundesrepublik werden.

Beschäftigte wollen mitreden 

Global befand sich die Wirtschaft 1982–1983 in einer Rezession. Die Arbeitslosenquote in der Region Würzburg lag 1983 bei 8,7 %. In Eibelstadt kam zur schlechten wirtschaftlichen Lage das persönliche Versagen der Unternehmensleitung hinzu. Diese hatte 1968 Otto Eggert übernommen. 

Durch widersinnige Umstellungen der Produktionsabläufe, den Verzicht auf serielle Herstellung – jeder Kunde bekam einen Prototyp entwickelt – und fehlende Investitionen in die Anlagen fuhr der neue Geschäftsführer die 1870 gegründete Traditionsfirma an die Wand. Schon im März 1983 gingen die Beschäftigten auf die Straße, weil zum ersten Mal Löhne nicht gezahlt wurden.

In den kommenden Monaten diskutierte die Belegschaft immer wieder über eine Besetzung, um die sich abzeichnende Insolvenz durch Mitbestimmung abwenden zu können. Noch konnte Eggert mit angeblich eintreffenden Großaufträgen beschwichtigen.

Der Betrieb wird besetzt

Bei einer Betriebsversammlung am 20. Dezember 1983 war allen mittlerweile klar, dass die Firma zahlungsunfähig ist. Der Betriebsrat schlug vor, die Fabrik zu besetzen. Belegschaft und IG Metall stellten sich hinter die Idee. Ziel war es in erster Linie, ein Zeichen zu setzen gegen die Willkürherrschaft der Unternehmensleitung – die nicht nur in Eibelstadt, sondern überall herrscht und auch anderswo immer wieder die gleichen fatalen Folgen hat.

Außerdem galt es, die Insolvenzmasse zu sichern. Gläubiger der Firma Gebrüder Hofmann versuchten tatsächlich, vor der Insolvenzeröffnung unbezahlte Materiallieferungen zurückzuholen. Diese Werte hätten im Insolvenzverfahren zur Erfüllung des Sozialplans gefehlt. Mit der Besetzung verteidigte die Belegschaft ihre Ansprüche, die rund sechs Millionen Mark umfassten. Einem Schrotthändler z. B. verweigerte sie Zugang zum Fabrikgelände.

Hoffnung für den Erhalt der Arbeitsplätze brachte Walter Kolbow, Bundestagsabgeordnete der SPD und Mitglied im Verteidigungsausschuss. Er wollte aushandeln, dass das Großunternehmen Liebherr im Gegenzug für Aufträge der Bundeswehr kleinere Aufträge an die Firma Gebrüder Hofmann abgibt. Doch das scheiterte daran, dass die heruntergewirtschaftete Maschinenfabrik die Anforderungen von Liebherr nicht erfüllte.

Eine verpasste Chance

Am 14. April 1984 beendete die Belegschaft nach 117 Tagen die Besetzung. Keiner der Arbeitsplätze konnte gerettet werden. Für Geschäftsführer Eggert aber fand die Geschichte ein glücklicheres Ende. Pleite ging nämlich nur die an der Produktion beteiligte Firma. Bereits im März 1983 hatte er ein weiteres Unternehmen gegründet, das von dort an für den Vertrieb der Maschinen zuständig war. Die GHEbavaria Maschinen GmbH besteht bis heute weiter.

Für den Erhalt der Arbeitsplätze hätte es eine Ausweitung des Kampfes gebraucht. Das Potential dafür war, allein schon in der Region Würzburg, gewaltig: Fast zur selben Zeit sollten im Autohandelsunternehmen Kramag 50, bei der Karosseriebaufirma Voll 500 Stellen abgebaut werden; noch 1984 besetzten die Beschäftigten der Rolladenfabrik Grosser und ein Jahr später die der Firma rcs-litho ihren Betrieb. In ganz Deutschland war die Situation mit der Krise die gleiche.

Die Belegschaft der Firma Gebrüder Hofmann kämpfte für Arbeiterkontrolle in den Betrieben. Bis heute nennt die IG Metall in ihrer Satzung die „Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten“ sowie die „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ als ihre Ziele.

Um diese Forderungen muss sich der Kampf um Standort- und Arbeitsplatzsicherung drehen. Zu deren Umsetzung muss der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinen 5,7 Millionen Mitgliedern eine branchen- und gewerkschaftsübergreifende Offensive organisieren. Nur mit gemeinsamen Streiks können wir den notwendigen Druck aufbauen, um die Kontrolle

der Betriebe durch die Belegschaften zu erkämpfen. Unternehmen, die sich weigern, müssen besetzt und entschädigungslos enteignet werden. Wir dürfen keinen einzigen Stellenabbau akzeptieren! ◀

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