Nach der Stichwahl zu der Nationalversammlung sind Millionen erleichtert: Marine Le Pens rechter Rassemblement National (RN) verpasst mit 142 Sitzen nicht nur die erhoffte absolute Mehrheit (289 der 577 Sitze), sondern fällt auf den dritten Platz hinter Emmanuel Macrons liberales Lager (161 Sitze) und den Wahlsieger, die links-grüne Neue Volksfront (NFP), welche mit 188 Sitzen ins Parlament zieht.
Die Zusammenarbeit („Republikanische Front“) zwischen NFP und Macronisten nach dem ersten Wahlgang hat die Macronisten vor einer totalen Niederlage gerettet – und stärkt zeitgleich das Image der RN als einzige Anti-Eliten-Partei. Le Pens Enttäuschung ist gering, trotz Niederlage konnte der RN seine Sitze verdoppeln. „Die Flut steigt immer noch“, „der Sieg hat sich nur verzögert“, kommentierte Le Pen die Wahlen.
Die drängende Sorge vor einer RN-Regierung wurde abgewandt. Doch solange das NFP-Programm nicht vertieft und vollständig umgesetzt wird, sind die Rechten nicht besiegt.
Spaltungen in der NFP
Zahlenmäßig wird die Nationalversammlung von den Liberalen und Rechten dominiert, auf dieser Basis wird das NFP-Programm keine Mehrheit finden. Als Wahlsieger erhebt die NFP zwar den Regierungsanspruch, doch ihr linker und rechter Flügel sind sich uneinig, wie es weitergehen soll.
Der rechte Flügel um die Sozialisten (PS), Grünen und Kommunisten (PCF) schielt auf Verhandlungen mit den Macronisten. Dies würde bedeuten, dass die meisten Reformen und Besserungen aus dem Programm gestrichen und durch die bereits bekannten Kürzungs- und Sparmaßnahmen ersetzt würden.
Macron hat klargemacht, dass eine Zusammenarbeit mit der La France Insoumise (LFI) – linker Flügel und größter Bündnispartner der NFP mit 40 % ihrer Sitze – ausgeschlossen ist. Er hofft die NFP zu spalten und lediglich mit dem rechten Flügel zu regieren.
Doch eine Regierung ohne die LFI würde diese zur einzigen linken Oppositionspartei machen, was die Popularität des rechten Flügels untergraben und die der LFI steigern würde. Andererseits wäre der rechte Flügel ohne die LFI in einer Koalition mit den Macronisten ihr Juniorpartner mit sehr geringem Mitspracherecht.
Jean-Luc Mélenchon von der LFI wiederum beharrt auf der Umsetzung des kompletten NFP-Programms. Was Mélenchon fordert, ist ohne eine starke außerparlamentarische Mobilisierung junger Menschen und Arbeiter Wunschdenken. Der Schwerpunkt des Kampfes liegt nicht mehr in der Nationalversammlung, sondern auf der Straße, an den Arbeitsplätzen und in Arbeitervierteln.
Auf die Straßen für eine Klassenkampf-Alternative!
Die LFI darf nicht zögern, im Zweifel auch mit dem rechten Flügel zu brechen, und muss gemeinsam mit dem CGT-Gewerkschaftsbund großflächige Mobilisierungen in Form von Massendemonstrationen und Massenstreiks anführen, um die Umsetzung und Vertiefung des NFP-Programms zu erzwingen.
Der Kampf muss in jede Schule, Betrieb und Nachbarschaft getragen werden. Die letzten Jahre haben immer wieder Massenbewegungen gegen die Politik der Liberalen hervorgebracht, doch weil sie letztendlich erfolglos blieben, konnten die Rechten auf diesem Unmut aufbauen.
Mäßigung und Schüchternheit der Führung werden die Bewegung in diesem entscheidenden Moment nur bremsen. Nur ein offensives Programm, welches die Privilegien der Herrschenden angreift und so im selben Zuge sowohl Macron und seine Konterreformen als auch Le Pen und ihre reaktionäre Bande hinwegfegt, kann die Arbeiterklasse vereinen.