Im November 2024 ereignete sich in Novi Sad ein tragisches Unglück, bei dem fünfzehn Menschen beim Einsturz eines Bahnhofsdachs ums Leben kamen. Nachdem bekannt wurde, dass der Bahnhof ohne Sicherheitsinspektion freigegeben wurde, entlud sich innerhalb weniger Wochen die Wut hunderttausender Menschen auf der Straße.
Das Unglück entzündete eine Krise, die durch jahrelange soziale Missstände, Ausbeutung und infrastrukturellen Verfall vorbereitet war. Besonders betroffen ist die serbische Jugend mit einer Arbeitslosenquote von 25% – ein Rekordwert in Europa. Mit dieser düsteren Perspektive hat sie sich besonders schnell radikalisiert.
Es waren deswegen die Studenten, die bereits kurz nach dem Unglück zahlreiche Kundgebungen organsierten und auf Polizeigewalt und Repression mit Selbstverteidigungseinheiten und Ausweitung der Proteste reagierten. Mehr als 60 Fakultäten sind besetzt und demokratische Vollversammlungen bilden das politische Zentrum der Bewegung. Diese Studentenmobilisierungen sind die größten in Serbien seit 1968!
Durch das entschiedene Handeln der Studenten wurde die Wut der Bevölkerung freigesetzt. Ihre Forderungen nach strafrechtlicher Verfolgung der Verantwortlichen und Konsequenzen für die Polizeigewalt wurden zum Programm der Bewegung. Doch trotz massiver Mobilisierung kam es anfangs weder zum Rücktritt des Ministerpräsidenten noch zu Strukturreformen.
Studenten und Arbeiterklasse vereint
Um die Proteste zu verstärken, begannen ab Mitte Dezember Studentengruppen gezielt Kontakt zu Gewerkschaften und Betriebsräten im öffentlichen Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungswesen zu suchen. Mit studentischer Unterstützung streikten am 12. Dezember 1.100 Busfahrer in Belgrad und drei Tage später besetzten Studenten und Arbeiter das Verwaltungsgebäude des Infrastrukturministeriums in Novi Sad.
Die Studenten lernten durch die Einheit mit der Arbeiterklasse, die Bewegung auf die nächste Stufe zu heben. Die Forderung nach einem Generalstreik ermöglichte einen Quantensprung: Am 24. Januar vereinten sich Studenten und Arbeiter aus IT, Bildung, Presse und Kultur zum größten Protest seit 2000. Nur drei Tage später trat Ministerpräsident Vučević zurück.
Doch der Kampf hörte nicht auf, weil die Bewegung gelernt hatte: Ein Personalwechsel ohne strukturelle Verbesserungen ist ein Ablenkungsmanöver! Mit dem Slogan „einen Staat aufbauen, der allen gehört“ fordern sie Investitionen in Bildung und Gesundheit, mehr Mitbestimmung an Hochschulen, einen Stopp der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und eine gerechtere Justiz.
Die Dynamik hatte sich verändert: Es ging nicht mehr nur um Reaktion auf ein Unglück, sondern um die Erkämpfung sozialer Rechte. Mit diesen weitreichenden Forderungen konnten am 15. März über 300.000 Menschen in Belgrad mobilisiert werden – der größte Protest in der Geschichte Serbiens!
Wie weiter?
Es ist beeindruckend, wie weit die serbischen Studenten die Bewegung geführt haben. Die Massen haben ihre potenzielle Macht demonstriert, doch entscheidende Grenzen werden jetzt deutlich: Der autoritäre Präsident Vučić sitzt immer noch fest im Sattel. Trotz monatelanger Proteste ist es nicht gelungen, noch größere Teile der Arbeiterklasse zu mobilisieren. Dies liegt an fehlender politischer Klarheit und Voraussicht der Studenten, die – trotz ihres Heldenmuts – viele Lehren erst mitten im Kampf ziehen können. Dies wird langfristig zu einem Abebben der Bewegung führen, bis sie erneut hervorbricht.
Die Bewegung muss den nächsten Bewusstseinssprung nehmen: Wer einen „gerechten Staat“ fordert, muss auch das kapitalistische Fundament hinterfragen. Es fehlt eine revolutionäre Führung – eine Kraft, die die Wut und gewachsene Kampfbereitschaft für soziale und strukturelle Verbesserungen auf die gesamte Arbeiterklasse ausweitet und zu einem umfassenden Kampf für eine Planwirtschaft unter demokratischer Kontrolle zuspitzt.
Serbien ist eine Inspiration für die Jugend weltweit, die an vorderster Front gegen Kürzungen und Perspektivlosigkeit kämpft. Um zu siegen, muss sie die revolutionäre Weltpartei aufbauen.