Europa ohne Amerika: Wir steuern auf schwere Zeiten zu 

Noch bevor Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bestätigt wurde, hatte ein europäischer Think Tank erklärt, dass „die größte Krise in den transatlantischen Beziehungen seit Suez“ im Gange sei. Ein EU-Bürokrat schlug in die gleiche Kerbe: „Gibt es überhaupt noch Beziehungen zwischen der EU und den USA?“ Panik macht sich in den europäischen Machtzentralen breit. 

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Trump hat mit Zöllen in Höhe von 20 Prozent auf alle europäischen Importe gedroht; er hat eine Einigung mit Putin zur Beendigung des Ukraine-Kriegs versprochen; er hat damit gedroht, Grönland vom NATO-Mitgliedsland Dänemark zu annektieren; und er hat von den europäischen NATO-Mitgliedern verlangt, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP zu erhöhen, andernfalls würden sie zusehen müssen, wie die USA aus dem Militärbündnis austrete. Bemerkenswert war auch, dass die einzige europäische Amtsinhaberin, die eine Einladung zu seiner Amtseinführung erhielt, die Italienerin Georgia Meloni war, obwohl viele Führer sogenannter „rechtsextremer“ und euroskeptischer Parteien auf besondere Einladung anwesend waren. 

All dies ergibt sich aus Trumps Strategie, die einen Bruch mit der Politik des US-Imperialismus seit der Nachkriegszeit darstellt. Das Problem ist, dass die europäische Kapitalistenklasse ihr ganzes Vermögen auf dieser Politik aufgebaut hat, nämlich darauf, dass der US-Imperialismus um jeden Preis seinen Status als die alles beherrschende wirtschaftliche und militärische Supermacht der Welt aufrechterhält, als oberster Schiedsrichter dessen, was man heute „die Regelbasierte Weltordnung“ nennt. 

Jeder US-Präsident seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat bisher versucht, die uneingeschränkte Vorherrschaft der USA in der Welt aufrechtzuerhalten. Dies steht jedoch zunehmend im Widerspruch zu hartnäckigen materiellen Fakten. Trump ist der festen Überzeugung, dass diese nicht länger ignoriert werden können, ohne die imperialistischen Interessen der USA zu gefährden. 

Da die amerikanische Industrie einem immer härteren Wettbewerb durch aufstrebende Konkurrenten ausgesetzt ist, beabsichtigt Trump, allen, die auf den US-Markt drängen, die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Und wenn er sagt „Amerika zuerst“ (America first), meint er nicht „Amerika und seine Verbündeten zuerst“. Er meint genau das, was er sagt. Das bedeutet Zölle nicht nur auf chinesische Waren, sondern auch auf europäische Waren. 

Der europäische Kapitalismus befindet sich bereits in einer Sackgasse. Ein Zollkrieg wird seine Probleme noch vergrößern, nicht nur, weil er den Zugang der EU zu ihrem größten Exportmarkt behindern wird, sondern auch, weil er China zwingen wird, sich nach anderen Märkten, einschließlich des europäischen, umzusehen, um seinen eigenen Überschuss abzusetzen. 

Aber das ist nur der Anfang des Problems für Europa. Trumps Politik ist nicht nur eine des wirtschaftlichen Protektionismus, sondern auch eine des geopolitischen Rückzuges. 

Rückzug 

Im Wahlkampf im November haben sich die Liberalen darüber ausgelassen, dass Trump „verrückt“ sei. Sie wollen uns glauben machen, dass sie im Gegensatz dazu „die Erwachsenen im Raum“ sind. Die Unverfrorenheit von Trumps Rhetorik und die scheinbare Skurrilität seiner Äußerungen über die Annexion von Teilen der Nachbarländer und Verbündeten der USA könnten den Eindruck erwecken, dass er tatsächlich verrückt sei. 

Doch in vielerlei Hinsicht sind es die Liberalen, die den Bezug zur Realität verloren haben, und Trump, dessen Politik die nüchternere Einschätzung der harten Realitäten darstellt, mit denen der US-Imperialismus im Moment konfrontiert ist. Die Politik der Liberalen, die die Realität ignorieren und versuchen, die US-Hegemonie überall auf einmal durchzusetzen, hat zu einer teuren Katastrophe nach der anderen geführt: in Afghanistan, in Syrien, in der Ukraine. Und wofür? Sie haben den Niedergang der USA weder aufgehalten noch auch nur verlangsamt.  

Trump beabsichtigt, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren und in Taten anzuerkennen, dass die USA zwar immer noch die größte Militärmacht der Welt sind, aber nicht mehr alles beherrscht und sich auch nicht mehr so darstellen sollte. Die USA müsse sich ihre Schlachten aussuchen. Das bedeutet, dass sie ihre Macht in den Teilen der Welt stärken muss, in denen sie wirklich lebenswichtige Interessen und Einflusssphären zu verteidigen hat. Es bedeutet aber auch, anzuerkennen, dass ihre Konkurrenten ebenfalls ihre Einflussbereiche haben, um die zu streiten vergeblich wäre. 

Darin liegt eine unbestreitbare Logik. Aber das bedeutet eine Reihe von Dingen. Es bedeutet, dass der US-Imperialismus die heuchlerische Behauptung aufgeben muss, eine so genannte „regelbasierte Ordnung“ aufrechtzuerhalten. Nein, Trump steht für das „Recht des Stärkeren“ (oder, um seine eigene Formulierung zu verwenden, „Frieden durch Stärke“).  

Das bedeutet auch, dass die USA die Kontrolle über ihr „nahes Ausland“ bekräftigen: Kanada, Mexiko, Panama und natürlich Grönland. Die dänische Regierung war entsetzt über Trumps Pläne für ihren Kolonialbesitz. Aber da sie nur 50 Soldaten dort stationiert hat, kann sie wenig tun, außer öffentlich zu protestieren … und privat zu verhandeln. 

Wir haben es hier mit einem NATO-Mitglied zu tun, das einem anderen NATO-Mitglied mit einer Invasion droht. Was sagt das über die Zukunft dieses sogenannten Bündnisses aus? Trump möchte die Präsenz der USA in Gebieten verstärken, die er als strategisch und wirtschaftlich wichtig erachtet. Dazu gehören Grönland und die Arktis. Auch der pazifische Raum ist für das amerikanische Kapital ein Gebiet von entscheidender geostrategischer Bedeutung. Aber das kleine Hinterland Europa fällt nicht mehr in diesen Bereich. Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft hat sich längst vom Atlantik in den Pazifikraum verlagert. 

Die primäre militärische Funktion der NATO lag jedoch schon immer genau in Europa, mit dem Fokus auf Russland (früher die Sowjetunion und der Warschauer Pakt) und der Sicherung der westlichen Vorherrschaft in Europa. Trump hat wiederum ganz offen gesagt, dass der Ukraine-Krieg vom Westen durch die Osterweiterung der NATO provoziert wurde. Er hat auch deutlich gemacht, dass dieser Krieg aus Sicht der USA ein teures Ablenkungsmanöver ist, das weit vom Zentrum der US-Interessen entfernt ist. Mit beiden Einschätzungen liegt er richtig, und er hat geschworen, über das Ende des Krieges zu verhandeln, sobald er das Oval Office betritt. 

Das hat in den europäischen Hauptstädten wirklich die Katze aus dem Sack gelassen. Die Europäer wurden von der Biden-Administration in diesen Krieg hineingezogen. Das Scheitern des Krieges und die damit einhergehenden Sanktionen haben zu einem Schlag für die Wirtschaft und das Ansehen der Europäer geführt, der in jüngster Zeit ohne Beispiel ist. Jetzt wird ihnen gesagt, dass die Europäer, wenn der Krieg fortgesetzt werden soll, dies zu ihren eigenen Bedingungen und auf ihre eigenen Kosten tun können, ohne Unterstützung der USA. Es handelt sich um einen NATO-Krieg, und dennoch hat der wichtigste militärische Beitragende der NATO erklärt, dass er sich aus dem Krieg zurückziehen wird. 

All dies wirft die Frage nach der künftigen Existenz der NATO auf. Trump hat deutlich gemacht, dass ihm das keine schlaflosen Nächte bereiten wird. In Anbetracht der Tatsache, dass die USA 65 Prozent der militärischen Schlagkraft für ein Bündnis bereitstellen, das weit von seinem eigentlichen Interessensschwerpunkt entfernt ist, erscheint ihm dies – nicht zu Unrecht – als eine unnötige Subventionierung der europäischen Verteidigungsausgaben. Er hat deutlich gemacht, dass die Europäer Schmarotzer sind, und wenn die NATO-Mitglieder des Kontinents ihre Militärausgaben nicht auf 5 % des BIP anheben, ist er bereit, das Bündnis ganz zu verlassen. 

Sein Werben um sogenannte „rechtsextreme“ nationalistische Gruppierungen in Europa, ganz zu schweigen von Elon Musks Tiraden gegen die „undemokratische“ Natur des Europäischen Parlaments, würde darauf hindeuten, dass nicht nur die NATO, sondern auch die EU selbst an die Wand gefahren werden könnte, wenn es nach Trump ginge. Dies würde zu seiner „America First“-Strategie passen, die nicht nur die amerikanische Industrie ankurbeln, sondern auch die industriellen Konkurrenten, einschließlich Europa, schwächen will.  

Da die transatlantischen Handels- und Verteidigungsbeziehungen ausfransen, besteht sowohl für die NATO als auch für die EU die reale Gefahr, dass sie sich in nächster Zeit völlig auflösen. Eine solche Zersplitterung des Kontinents wäre eine Katastrophe für die herrschenden Klassen in Europa. 

Am Rockzipfel der USA hängen  

Der europäische Kapitalismus hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an die Fersen des US-Imperialismus geheftet/am Rockzipfel der USA gehangen.  

In der NATO bot der US-Imperialismus den kleinen imperialistischen Nationen Europas einen militärischen Schutzschirm, unter dem sie sich versammeln konnten. In der späteren EU zwang er sie, oft gegen ihre eigenen kleinen nationalen Interessen, sich zu einem Block zusammenzuschließen. Und er gab den wirtschaftlichen Anstoß für die Wiederbelebung des europäischen und insbesondere des deutschen Kapitalismus, nachdem sich der Kontinent im Zweiten Weltkrieg bis zur Erschöpfung bekämpft hatte. 

Als Berlin 1945 an die Alliierten fiel, war der erste Instinkt der Briten und Franzosen der einer kleinlichen, ruinierten Siegernation. Sie begannen damit, Deutschland auszurauben und auszuplündern, in der Hoffnung, den deutschen Imperialismus endgültig zu Fall zu bringen und Deutschland ein für alle Mal auch als Industrienation zu beenden. 

Fabriken wurden demontiert und zum Wiederaufbau nach Großbritannien und Frankreich verfrachtet. Tonnen von Rohstoffen wurden als Reparationsleistungen entnommen, und Zehntausende von deutschen Kriegsgefangenen wurden zu Zwangsarbeitern für den britischen und französischen Wiederaufbau gemacht. 

Hätte man es Großbritannien und Frankreich überlassen, so wäre Deutschland ein „Super-Versailles“ auferlegt worden. Doch die USA schritten ein, um diesen Machenschaften ein Ende zu setzen, die die zwergenhaften Ambitionen der inzwischen zweitklassigen Mächte widerspiegelten. 

Die USA mussten ein mächtiges, industrialisiertes Westdeutschland als Gegengewicht zur Sowjetunion auf dem europäischen Kontinent wieder aufbauen. Sie mussten Europa wieder aufbauen, um eine Revolution zu verhindern und den Vormarsch des Kommunismus aufzuhalten. Sie finanzierte also eine Politik des Wiederaufbaus des europäischen Kapitalismus und zwang diese kleinen Staaten unter ihrer eigenen Herrschaft zusammen. 

Anfang der 1950er Jahre bestand die Politik der USA gegenüber Europa darin, riesige Summen an Marshall-Hilfe für den Wiederaufbau bereitzustellen. Es wurden günstige Kredite gewährt und alte Schulden getilgt. Es war der Druck der USA, der die kontinentaleuropäischen Mächte dazu zwang, sich in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zusammenzuschließen, dem Vorläufer der EU. 

Sehr zum Ärger der USA beharrten die Briten darauf, abseits zu bleiben, und hielten an ihrer albernen Vorstellung fest, eine Macht erster Ordnung mit einer „besonderen Beziehung“ zu den USA zu sein, mit denen sie sich der Illusion hingaben, sie könnten auf Augenhöhe verhandeln. 

Die Amerikaner hätten es vorgezogen, Europa um Großbritannien herum zu vereinen, um ihre eigenen Interessen sicherer zu vertreten. Stattdessen stützten sie sich auf die Franzosen, die den US-Plan begeistert mitmachten und sich fälschlicherweise einbildeten, dass sie und nicht die Deutschen dazu bestimmt seien, ein neues integriertes Europa zu beherrschen. Doch es waren die Amerikaner, die von Anfang an das Sagen hatten und den Prozess der europäischen Integration vorantrieben. 

Dieser Plan, ein industriell wiederaufgebautes Europa als Gegengewicht zur Sowjetunion zusammenzuführen, wurde durch das 1949 gegründete Militärbündnis NATO und die Präsenz von fast einer halben Million US-Soldaten auf dem Kontinent untermauert, ganz zu schweigen von den nuklearen Fähigkeiten. Auch hier waren die USA mit dem Drängen der einstigen Großmächte Europas konfrontiert, die versuchten, ihren alten Status zu erhalten. Die herrschende Klasse Frankreichs beispielsweise bestand darauf, ein eigenes, von der NATO getrenntes Atomwaffenarsenal zu besitzen. Sie bildeten sich gerne ein, dass sie dadurch mit den großen Supermächten auf eine Stufe gestellt würden, was natürlich nicht der Fall war. 

Natürlich waren die EU und ihre Vorgängerorganisationen nicht nur Vehikel für die Interessen der USA. Die europäischen Kapitalistenklassen hatten immer ihre eigenen Interessen und konkurrierten mit dem amerikanischen Kapitalismus. Der US-Imperialismus wollte nicht zulassen, dass sich der europäische Imperialismus zu einem mächtigen militärischen Konkurrenten entwickelt, und seiner Unterstützung für die europäische Integration waren stets Grenzen gesetzt. 

Die NATO ging Hand in Hand mit einer Begrenzung der deutschen Wiederaufrüstung, und während der gesamten Nachkriegszeit waren die USA stets auf der Hut vor einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik unabhängig von der NATO. Nachdem die Briten als treue Schoßhündchen des US-Imperialismus der EWG und dann der EU beigetreten waren, konnte man sich stets darauf verlassen, dass sie wiederholte Initiativen zur Bildung von so etwas wie einer europäischen Armee blockieren würden. 

Dennoch profitierte Europa eine ganze Zeit lang von diesem Arrangement, bei dem seine militärischen Ambitionen von den USA abgewürgt wurden. Mit Hilfe der NATO konnten die Militärausgaben relativ niedrig gehalten werden, und das so eingesparte Geld konnte wieder in Investitionen gesteckt werden. 

Die wirtschaftliche Macht der USA war die Grundlage dafür, dass die USA Europa wirtschaftlich und militärisch unterwerfen und dominieren konnten. Doch all die Faktoren, die den US-Imperialismus dazu anregten und es ihm ermöglichten, den europäischen Kapitalismus zu stützen und zu binden, haben sich in den letzten Jahrzehnten in ihr Gegenteil verkehrt. 

Seit den 1990er Jahren gibt es keine Notwendigkeit mehr, die Sowjetunion „einzudämmen“. Die NATO blieb ein nützlicher Schirm, um den westlichen (d.h. amerikanischen) Einfluss in die ehemalige sowjetische Einflusssphäre zu verlagern. Der Anstoß zur Gründung der EU im Jahr 1993 ging jedoch von den Europäern selbst aus. 

Um im Wettbewerb auf dem Weltmarkt bestehen zu können, mussten sie sich zusammenschließen. In einer Zeit der Handelsliberalisierung und Globalisierung stieß die Gründung des Gemeinsamen Marktes auf keinerlei Einwände der USA, und die Osterweiterung der EU diente als weiterer Transmissionsriemen für den amerikanischen Einfluss in Richtung Russland. 

In militärischer Hinsicht war der Abbau der US-Militärpräsenz in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges auch eine klare Botschaft an den europäischen Kapitalismus. Sie konnten sich nicht unbegrenzt auf die militärische Macht der USA verlassen. Sie unternahmen verschiedene Versuche, sich aus eigener Initiative militärisch zu vereinigen und scheiterten jedes Mal an dem unvereinbaren Flickenteppich nationaler Interessen, aus dem die EU besteht. 

Es genügt, die Frage zu stellen: „Worauf würde sich ein EU-Militär konzentrieren?“, um zu erkennen, in welche Zwangslage eine gemeinsame Verteidigungspolitik die EU bringt. Die Franzosen haben imperialistische Interessen in Westafrika zu verteidigen. Die baltischen und nordischen Länder würden sich auf die russische Bedrohung konzentrieren. Für die Iren stellt sich die Frage der transatlantischen Unterseekabel usw. usw. 

Die geringe Größe der europäischen Industrie stellt auch ein wirtschaftliches Hindernis für ihre militärischen Möglichkeiten dar. Das Projekt zur Entwicklung des Eurofighters beispielsweise führte aufgrund des komplizierten transnationalen Mischmaschs eines an der Entwicklung beteiligten Konsortiums zu einer Kostenspirale und immer neuen Verzögerungen. Es bestand aus verschiedenen europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen, von denen jedes einen Teil der Lieferkette bediente, und der gesamte Prozess war von Chaos geprägt. 

Doch trotz all dieser strauchelnden Bemühungen, auf eigenen Füßen zu stehen, hat Europa weiterhin zusammengehalten. Das ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass die herrschende Klasse der USA an der Vorstellung festgehalten hat, sie könne und werde die ganze Welt auf unbestimmte Zeit unter der Ägide ihrer eigenen Alleinherrschaft halten. Nachdem die Sowjetunion nicht mehr im Weg stand, schienen die USA eine imperialistische Macht mit scheinbar unbegrenzter globaler Reichweite zu sein. Dies sollte das neue amerikanische Jahrhundert sein.  

Doch dieses Ziel geriet bald ins Wanken. Der US-Imperialismus wurde überdehnt. Inzwischen hat das Wachstum des Kapitalismus in Ostasien das Zentrum der US-Interessen vom Atlantik in den Pazifikraum verlagert. Europa ist für den US-Kapitalismus heute von geringer Bedeutung. Und selbst wenn der US-Imperialismus seinen einstigen Einfluss überall aufrechterhalten wollte, befindet er sich im relativen Niedergang. Er verfügt nicht mehr über die Ressourcen, die er einst hatte, um die Kosten zu tragen, die sein wirtschaftliches und militärisches Bündnis mit Europa mit sich bringt. 

Schon unter Biden wurde der Wandel deutlich. Die Zölle und Subventionen, die unter seiner Regierung durch den Inflation Reduction Act (IRA), den CHIPS Act und andere Gesetze eingeführt wurden, zielten genau auf die europäische Industrie ab. Trump spiegelt diese Tatsachen in seiner Politik nur noch deutlicher wider. 

Wir steuern auf schwere Zeiten zu 

Was bedeutet das alles nun für Europa? Es bedeutet, dass es in eine Zukunft blickt, in der es aus eigener Kraft untergehen oder schwimmen wird, und die Aussichten sind nicht gut. 

Die Gründung der Europäischen Union spiegelt das Bedürfnis kleiner, im Niedergang begriffener Mächte wider, sich zusammenzuschließen, um zu überleben. Sie wurde jedoch nicht durch eine Revolution, die die nationalen Gegensätze beseitigte, als politische Einheit geschaffen. Die europäische Integration wurde durch die Unterstützung des US-Imperialismus und das Glück eines lang anhaltenden Wirtschaftsbooms zusammengehalten, der die gesamte Nachkriegszeit andauerte und die unterschiedlichen nationalen Interessen eines Flickenteppichs von Kleinstaaten vorübergehend überdeckte. 

Dies ist die Ursache für den langfristigen Niedergang des europäischen Kapitalismus. Diese kleinen Nationalstaaten verfügen nicht über die Mittel, um Monopole von der Größe und Produktivität zu schaffen, die notwendig sind, um mit den amerikanischen und chinesischen Giganten zu konkurrieren. Indem sie mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges das russische Gas vom europäischen Markt abschnitten, trugen sie zu ihrer eigenen Misere bei, und ein erneuter Handelskrieg wird sie weiter verschärfen. 

Die wirtschaftliche Verschlechterung hat das Potenzial, eine erneute Staatsschuldenkrise auszulösen, nur dass dieses Mal nicht nur die kleineren, „peripheren“ europäischen Länder akut betroffen sein werden. Vielmehr dürften die Kernländer, darunter Frankreich und Italien, mit ihren ausufernden Defiziten und vor allem Schulden im Auge des Sturms stehen. 

Da die USA nicht mehr der einzige Gravitationspol sind, der auf den Kontinent einwirkt, werden die europäischen Nationen in alle möglichen unterschiedlichen Richtungen gezogen werden. 

Mit dem sich abzeichnenden Ende des Ukraine-Krieges wird es einige nationale kapitalistische Klassen geben, die ein Interesse an der Wiederherstellung der Öl- und Gasströme aus Russland haben, wie Österreich und Deutschland, und andere, die sehr feindselig sind, wie Polen, die baltischen Staaten und die Skandinavier. 

Ohne die USA, die den Marschbefehl geben, werden die Spannungen wahrscheinlich immer offener ausbrechen. Und Trump hat deutlich gemacht, dass er zwar kein Interesse an einer Fortsetzung des Ukraine-Kriegs hat, aber wenn Europa nicht den wirtschaftlichen Zorn der USA auf sich ziehen will, sollte es besser schnell anfangen, mehr amerikanisches Öl und Gas zu kaufen. 

Wenn die Mauern um den US-Markt hochgezogen werden, werden auch die verschiedenen europäischen Länder in unterschiedliche Richtungen ziehen, um neue Märkte zu finden. Einige werden eine vollständige Kapitulation vor allen US-Forderungen vorziehen. Auf andere wiederum wartet Russland, und China ebenso. 

Bereits im letzten Jahr kam es zwischen den Mitgliedsstaaten zu offenen Differenzen über die Einführung von Zöllen auf chinesische Elektrofahrzeuge. Frankreich, Polen und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, führten die Initiative an. Doch Deutschland, Ungarn, Spanien und die Slowakei äußerten öffentlich ihren Unmut über die Pläne – Deutschland aus Angst vor chinesischen Vergeltungsmaßnahmen, die anderen, weil sie um chinesische Investitionen buhlen. 

Und das alles, bevor wir die politischen Auswirkungen der wachsenden Unzufriedenheit in Europa betrachten, die eine Reihe rechter Parteien an die Macht zu bringen droht, die nicht zum traditionellen Establishment gehören: Le Pen in Frankreich, die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich und sogar Farage in Großbritannien. Welche neuen Variablen würden solche Regierungen darstellen, sobald sie an die Macht kommen? 

Ist das alles unvermeidlich? Es gibt Strategen in Europa, die nicht nur Trumps Missachtung der „regelbasierten Ordnung“ und anderer Schibboleths beklagen, sondern die kalten, harten Fakten verstehen. 

Draghi hat, wie wir bereits an anderer Stelle kommentiert haben, eine sehr interessante Studie vorgelegt, in der er massive, staatlich gelenkte Investitionen auf dem gesamten Kontinent fordert. Nur so könne der Kontinent eine Klasse von europäischen Champions hervorbringen, massive Monopole, die mit ihren amerikanischen und chinesischen Rivalen ernsthaft konkurrieren könnten. 

Es gibt jedoch ein paar Probleme. Wohin würden diese Investitionen fließen? Würden es deutsche oder französische Champions sein? Man kann sicher davon ausgehen, dass es keine griechischen, spanischen oder portugiesischen Champions sein werden. Eine solche Investition wirft einmal mehr das hartnäckige Problem der konkurrierenden nationalen Interessen des europäischen Kapitalismus auf. Darüber hinaus würde eine solche massive Erhöhung der Investitionen mit massiven Kosten verbunden sein, die nach Draghis eigenen Angaben 4,5 Prozent des europäischen BIP betragen würden. 

Auch andere haben mit Blick auf die Ära Trump eine Warnung an Europa ausgesprochen. Mark Rutte, Generalsekretär der NATO, hat die europäischen Mitglieder aufgefordert, die Militärausgaben auf 4 Prozent des BIP zu erhöhen und damit auf das Doppelte des derzeitigen Ziels von 2 Prozent. Wenn Europa auf eigenen Füßen stehen will, wenn es darum geht, seine imperialistischen Interessen militärisch zu verteidigen, hat es keine andere Wahl. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die EU keine eigene Armee hat und ihre Armeen über die NATO weiterhin unter US-Kommando stehen! 

Aber hier ist das Problem mit Ruttes Vorschlag: Die europäische Kapitalistenklasse hat die Ausgaben bereits mit massiven Sparmaßnahmen bis auf die Knochen gesenkt, und dennoch haben 10 der 27 Mitgliedsstaaten immer noch Defizite, die über der im Maastricht-Vertrag festgelegten Grenze von 3 Prozent des BIP liegen. Frankreich hat ein sattes Defizit von 6,1 Prozent. 

Obendrein wird ihnen von Leuten wie Draghi und Rutte gesagt, dass sie die Staatsausgaben für Investitionen und Militärausgaben enorm erhöhen müssen, wenn der europäische Kapitalismus eine Zukunft haben soll! Um das zu erreichen, müssten die europäischen Regierungen Sparmaßnahmen mit einer Brutalität durchführen, die es in der Geschichte des Kontinents noch nie gegeben hat. Genau dies erklärte Rutte in seiner Rede im Dezember: „Ich weiß, dass mehr Ausgaben für die Verteidigung bedeuten, dass wir weniger für andere Prioritäten ausgeben müssen“, erklärte er vor der Presse und den Politikern. „Aber es ist nur ein bisschen weniger.“ 

Nur ein bisschen weniger Lebensmittel, nur ein bisschen weniger für das Gesundheitssystem, ein bisschen weniger Heizung für die Rentner. Ein bisschen weniger, und Europa könnte eine Militärmaschinerie von Weltklasse produzieren, die für die europäische Milliardärsklasse töten und verstümmeln kann. 

Die französische Regierung ist jedoch nach einem gescheiterten Versuch im Herbst, ein Sparpaket zu verabschieden, mit dem das Defizit lediglich von 6,1 Prozent auf 5,4 Prozent des BIP gesenkt worden wäre, zusammengebrochen. 

Bisher haben sich die herrschenden Klassen davor gescheut, auch nur annähernd die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig wären, um dem europäischen Kapitalismus eine Zukunft in der kommenden Welt des „fressen oder gefressen werden“ zu geben. Und zwar deshalb, weil sie wissen, was dies bedeuten würde: soziale Unruhen, politischer Aufruhr, sogar Revolution. Dennoch könnten sie in Zukunft gezwungen sein, eine solche Politik zu betreiben, mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Denn die Alternative ist für den europäischen Kapitalismus in der Tat düster. Sie verspricht einen sich beschleunigenden Niedergang. Das Ende der NATO ist durchaus möglich, ebenso wie die völlige Zersplitterung des Kontinents und der Zusammenbruch der EU. 

Am Ende wird der Kontinent dort landen, wo er jetzt ist. Die Ereignisse legen den Grundstein für die europäische Revolution. 

SCHLIESS DICH DEN KOMMUNISTEN AN!