Am 8. Mai zelebrierte die gesamte deutsche Politik- und Presselandschaft das 80-jährige Jubiläum der Befreiung vom Faschismus. Doch statt einer ehrlichen Auseinandersetzung mit diesem historischen Tag erlebten wir eine einzige große Propagandashow, deren Ziel vor allem eins war: die Rechtfertigung für eine neue „Kriegstüchtigkeit“.
Kriegsgedenken und Kriegspropaganda
Bereits im Vorau dröhnten die Propagandatrommeln. Die Botschafter von Russland und Belarus wurden als einzige von der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag ausgeladen. Als Begründung führte das Auswärtige Amt die Befürchtung an, dass Russland die Veranstaltung „instrumentalisieren und mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine missbräuchlich in Verbindung bringen“ würde – Wie ironisch, denn es waren die Ideologen der deutschen herrschenden Klasse, die am 8. Mai keine Möglichkeit ausließen, um ihre eigenen Zwecke durch eine Umdeutung der Geschichte zu rechtfertigen.
Zur Gedenkveranstaltung beim Sowjetischen Ehrendenkmal im Treptower Park Berlin beispielsweise wurden russische und sowjetische Symbole von der Polizei verboten. Dabei war es die Rote Armee der sowjetischen Arbeiter und Bauern, die das größte Verdienst an der Niederschlagung der Nazis hatte und mit Abstand die meisten Verluste im Krieg erlitt. Sie schlug die Wehrmacht in Stalingrad und Kursk, befreite im Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz und eroberte im Mai schließlich Berlin, womit das endgültige Ende des Kriegs eingeläutet wurde. Doch statt diese Leistung zu würdigen und an die Opfer des Kriegs und seine Befreier zu gedenken, versuchen die Meinungsmacher hierzulande, sie aus der Geschichte zu streichen.
Das ist natürlich kein Zufall, sondern steht unter dem Vorzeichen eines neuen Kriegs, auf den sich die herrschende Klasse mit der größten Wehmachungskampagne seit dem 2. Weltkrieg vorbereitet. Unter dem Vorwand, die Demokratie verteidigen zu müssen, rüstet Deutschland heute wieder auf, um seine Interessen in der Welt militärisch sichern zu können. Die ehemaligen Befreier seien zum Feind geworden, heißt es.
Besonders deutlich wurde dieses Sentiment während der bereits erwähnten Gedenkstunde im Bundestag. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in ihrer Auftaktrede unzweideutig erklärte:
„Lange haben wir uns den Frieden und auch uns als unantastbar vorgestellt. Jetzt müssen wir wieder umdenken. Um Frieden und Freiheit zu bewahren, müssen wir auch in der Lage sein, uns militärisch zu verteidigen. Am 80. Jahrestag des Kriegsendes geht es ums Erinnern und gleichzeitig auch um unser aller Auftrag: Wer befreit wurde, der ist auch verpflichtet zu verteidigen – die Freiheit. Das ist der Auftrag des 8. Mai.“
Wer den Frieden will, der muss sich bewaffnen, so die Devise der Bundestagspräsidentin. Unter den Applaudierenden ihrer Rede befanden sich auch die Mitglieder der Linksfraktion.
Wie sich die Geschichte fix umschreiben lässt
Der Tenor, den Klöckler anstimmte, setzte sich auch in der anschließenden Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fort. Diese liest sich wie ein Musterbeispiel bürgerlicher Geschichtsverfälschung. Das Ende des Kriegs sei für Steinmeier eine Befreiung von Außen gewesen, wofür er sich bei den Alliierten bedankt, den Beitrag der Roten Armee immerhin nicht „vergisst”. Die Nachkriegsordnung habe im Westen den Beginn eines langen Wegs hin zu Freiheit und Demokratie geöffnet und im Osten eine neue Diktatur geschaffen, die erst mit der Wiedervereinigung endgültig überwunden worden wäre. Heute sei diese Ordnung bedroht: Durch Russlands Angriffskrieg, durch Amerikas Wertebruch, durch die populistischen Kräfte in Europa und durch den wiederkommenden Antisemitismus in Deutschland, meint Steinmeier. Gemeinsam müsse man sich in Europa gegen diese Kräfte verteidigen und Deutschland habe darin eine führende Rolle einzunehmen, schließlich seien wir alle „Kinder des 8. Mai“, zitiert der Bundespräsident Jürgen Habermas.
Die Worte von Steinmeier sind nichts als Heuchelei. Die sogenannte „regelbasierte Werteordnung“, die sich nach dem 2. Weltkrieg über den Globus ausbreitete, war kein nettes Geschenk der Westalliierten, sondern nur eine neue Fessel für die Arbeiterklasse in ihrem Kampf um Befreiung und ein Mittel der imperialistischen Unterdrückung und des Kampfs gegen die sozialistische Revolution. Der Faschismus war 1945 besiegt, aber die alten Eigentumsverhältnisse blieben unter dem Deckmantel der Demokratie bestehen. Die Arbeiterklasse blieb weiter der Ausbeutung durch die Banken und großen Monopole ausgesetzt.
Steinmeiers Darstellung versucht, diesen Aspekt auszublenden und die Klassenwidersprüche in der Gesellschaft zu verschleiern. Statt zwischen Ausgebeuteten und Profiteuren im Nationalsozialismus zu unterscheiden, spricht er von den „Deutschen“ als Kollektiv und macht sie alle gleichermaßen für die Verbrechen des NS verantwortlich. Er leugnet das Leid der deutschen Arbeiter unter dem Faschismus und ihren Widerstand gegen die Nazis am Ende des Kriegs, während deutsche Firmen bis heute von der Zwangsarbeit und Enteignung jüdischer Konzerne damals profitieren. Die Absicht dahinter ist einfach: dieselben „Deutschen“, die damals kollektiv den Holocaust und den 2. Weltkrieg begangen hätten, haben heute die Pflicht, die Demokratie zu verteidigen, indem sie Waffen nach Israel und in die Ukraine exportieren und sich tüchtig auf einen Showdown mit dem russischen Imperialismus vorbereiten sollen. Jeder, der das nicht mitmacht, gilt als Feind der Demokratie.
Wem gehört der 8. Mai?
Als Kommunisten stellen wir uns entschieden gegen die Märchen von Steinmeier und Co, die in den letzten Wochen die Kommentarspalten und Feuilletons aller großen Zeitungen füllten. So fragt beispielsweise der Spiegel in seiner Titelstory der Ausgabe 19/2025, „wenn Deutsche zu einem großen Teil ihre eigene Familiengeschichte nicht wahrhaben wollen, können sie dann überhaupt die Ursachen erkennen, an denen auch heute die Demokratie scheitern kann“? Die Bürgerlichen beweinen das Ende der „internationalen Ordnung“, des „Völkerrechts“ und der „Demokratie“. Aber dahinter steht nichts anderes als ihre Angst, im globalen Wettrennen um Einflusszonen zurückzufallen.
Die durch die USA dominierte Weltordnung, die nach dem Krieg entstanden ist, befindet sich heute im Zerfall und Europa steht im Zentrum dieses Prozesses. Die europäischen herrschenden Klassen versuchen, dem jetzt durch Militarisierung entgegenzuwirken und sind bereit, alle unsere Leben dafür zu opfern – „für die Demokratie“, versteht sich, und „im Auftrag des 8. Mai“.
Wir lassen uns nicht für diese Zwecke instrumentalisieren und das Gedenken an den 2. Weltkrieg für ihre Kriegspropaganda missbrauchen. Der 8. Mai gehört der Arbeiterklasse, die sich vor 80 Jahren mutig gegen die Naziherrschaft und Unterdrückung wehrte. Diesen Kampf fortzuführen, ist der eigentliche Auftrag dieses Tages. Das bedeutet, diejenigen zu bekämpfen, die heute wieder ihre Messer wetzen und den Krieg wollen, für den wir sterben sollen.
Die Ursache für den Krieg ist der Kapitalismus. „Nie wieder Krieg“ heißt, diesen zu stürzen und die Kriegstreiber zu enteignen. Das ist der einzige Kampf, der für wirklichen Frieden steht.